Neustadt Der Mensch und seine Gefühle

Hassloch. „Ich gehöre zur Kissel-Dynastie“, sagt Hiltrud Martha Kissel mit deutlich hörbarem Stolz auf den in Haßloch nicht ganz unbekannten Teil ihrer Familie. Die Theaterregisseurin und Künstlerin hat selbst nie in Haßloch gelebt, doch ihre „schönsten Kindheitserinnerungen“ sind die Aufenthalte im Haus ihrer Haßlocher Großeltern. Und in diesem Haus hat sie vor vier Jahren begonnen, Skulpturen zu gestalten und Bilder zu malen, in denen sie ihre Theater-Arbeit weiterentwickelt. Ein Teil dieser Werke ist derzeit in Éva Czakós Kunstwerkstatt „Magazinum“ zu sehen.

Im Zentrum der künstlerischen Arbeit Hiltrud Kissels steht das Theater. Nach einem Lehramtsstudium in den Fächern Anglistik, Geschichte und Philosophie, das sie auf Wunsch ihres Vaters absolvierte, studierte die gebürtige Heidelbergerin in Boston Regie. Seitdem arbeitete sie an verschiedenen Theatern in Deutschland. Zuerst als Regieassistentin, inzwischen schon lange als Regisseurin. Ihr Lebensmittelpunkt ist Köln. Vor vier Jahren allerdings zog sie sich für einige Zeit aus privaten Gründen in das Haus ihrer Großeltern in Haßloch zurück, das sie inzwischen geerbt hat. „Ich bin nie auf die Idee gekommen, es zu verkaufen, sondern wollte es erhalten, wie es ist“, erzählt sie. Während sie erstmals seit ihrer Kindheit wieder längere Zeit in Haßloch war, fehlte ihr die Möglichkeit, sich in gewohnter Form künstlerisch auszudrücken. So begann sie zu malen, und als sie in den alten Sachen ihrer Großeltern herumstöberte, entstanden auch Ideen für Skulpturen. So entdeckte sie die eiserne Spitze einer alten Gartenhacke „und ich habe gesehen, das sind die Flügel eines Engels“. Sie stellte die Hacke in einem bestimmten Winkel auf ein Podest aus Edelstahl, so entstand eine Figur. Es war ihre erste Skulptur, der in der Folgezeit viele weitere folgen sollten. Alle sind aus Metall, und fast immer verbindet Kissel alte Bestandteile mit neuen aus Edelstahl. Hacken, Schaufeln, Fassreifen aus dem Haus ihrer Großeltern hat sie verwendet. Inzwischen sucht sie gezielt auf Schrottplätzen nach alten Materialien. Ihr Motiv sind immer menschliche Figuren, meist Frauen, häufig Engel. Dies stellt eine Verbindung zu ihrer Arbeit am Theater dar. „Ich inszeniere oft auch die Schauspieler wie Skulpturen, die Figuren der Stücke zeigen zwar Emotionen, doch sie sind oft wie Skulpturen“, erzählt Kissel. So habe sie beispielsweise in einer Inszenierung des Stücks „Glückliche Tage“ von Samuel Beckett einen der Akteure wie eine Skulptur an einem Seil hängen lassen. Menschen, ihre Gefühle und ihr innerer Zustand sind es, was Kissel sowohl bei ihrer Arbeit am Theater, wie auch als bildende Künstlerin interessieren. Sie will diese Gefühle und das Empfinden der Menschen zum Ausdruck bringen. „Es ist für mich sehr interessant, wie die Zuschauer im Theater oder diejenigen, die meine Bilder und Skulpturen betrachten, reagieren und was sie beim Betrachten empfinden“, sagt Kissel. Dabei sei für sie auch vollkommen in Ordnung, wenn jemand etwas anderes beim Betrachten empfinde als sie selbst. Das sei für sie oft eine gute Anregung. „Fragile Art“ nennt Kissel ihre Arbeiten. Denn meist wirken die Figuren sehr fragil und leicht, scheinen manchmal sogar fast zu schweben, so wie ein großer Reifen aus Edelstahl, der eine menschliche Figur darstellt und der sich bewegt, wenn er durch den Wind oder einen Betrachter leicht berührt wird. Als Regisseurin ist Kissel gewohnt, dass man sich bei der Arbeit mit Menschen austauscht und mit Publikumsreaktionen umgehen muss. Bei der bildenden Kunst fehle ihr das etwas, sagt sie. Deshalb stelle sie gerne aus oder nutze andere Möglichkeiten, ihre Skulpturen und Bilder öffentlich zu machen. Inzwischen führt Hiltrud Martha Kissel quasi zwei Leben, zwischen denen es aber durchaus Verbindungen gebe. Einige Monate des Jahres verbringt sie in Haßloch, hier hat sie sich ein Atelier eingerichtet und arbeitet als bildende Künstlerin. Die restliche Zeit lebt sie in Köln und arbeitet dort als Theaterregisseurin. „In Köln habe ich keine Zeit und keinen Platz für die bildende Kunst“, sagt Kissel. Zu ihrem Leben in Haßloch gehört, dass sie hier besonderen Wert auf ihren zweiten Vornamen legt, denn Martha Kissel, die in Haßloch vielen bekannt war, war ihre Großtante.

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