Neustadt Der „kleine Hexer“ kann es noch nicht lassen

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Neustadt/Ludwigshafen. Joachim Thiel ist wieder einmal in ein Handballtor zurückgekehrt. Nach fünfeinhalb Jahren Pause. Seit Ende November steht der langjährige Torwart des TV Hochdorf und der HSG Haßloch/Hochdorf beim Pfalzligisten MSG TG Oggersheim/ASV Ludwigshafen zwischen den Pfosten – im Alter von nunmehr 49 Jahren.

Beim zweiten Versuch ist Joachim Thiel, der in Mußbach lebt, schwach geworden. Michael Collignon, der Trainer der MSG TG Oggersheim/ASV Ludwigshafen, hatte schon im vergangenen Sommer versucht, seinen ehemaligen Hochdorfer Mitspieler für ein Comeback zu gewinnen. Damals jedoch ohne Erfolg. Thiel wollte keine Verpflichtung eingehen. Als Collignon es Ende November erneut probierte, nach dem längerfristigen Ausfall seiner beiden Torhüter gute Argumente hatte, sagte Thiel zu. Nach zwei Tagen Bedenkzeit und einem „Probetraining“, bei dem er feststellte, noch wettbewerbsfähig zu sein. Eigentlich wollte er nur für die drei Spiele bis zur Weihnachtspause aushelfen. Eigentlich ... In einer Mannschaft, in der er der Vater seiner Mitspieler sein könnte. Und sogar fast schon der Opa, wie er leicht scherzhaft anmerkt. „Ich spiele für ,Colle’“, sagt Thiel. Einerseits. Aber andererseits spielt er auch irgendwie für sich. Denn er hat noch immer sichtlich Spaß an seinem Sport. Und den Ehrgeiz, immer alles zu geben. Im Handballtor zu stehen, scheint für Joachim Thiel wie eine Droge zu sein. „Ich habe Wettkampfsituationen immer genossen“, sagt der Mußbacher. „Es gibt nichts Schöneres, als wenn es darum geht, kurz vor Schluss den entscheidenden Ball zu halten.“ Deshalb hat der „Comeback-Experte“ immer wieder zurück aufs Parkett gefunden. 2003 hörte er das erste Mal auf. Doch weil es beim TV Hochdorf nicht so lief, kehrte er ins Tor zurück. Schon damals wurde aus einer Aushilfsaktion für drei, vier Spiele mehr. Drei Jahre nämlich. 2006 folgte dann der zweite Rücktritt. Er stand nur noch als Torwarttrainer bereit – eigentlich. Doch nach einem schlechten Saisonstart mit 0:6 Punkten, „hieß es, ich soll wieder ins Tor“. Also stellte er sich wieder ins Tor. Thiel, der Unersättliche, konnte einfach nicht aufhören. Zu gerne übt er seinen Sport aus. 2010 beendete er seine Karriere dann endgültig – so dachte man. Der Verantwortliche für Maschinenbautechnik in der BASF global ging beruflich nach Shanghai. Wäre er damals nicht ins Ausland gegangen, hätte er den Absprung vom Handball auch damals nicht geschafft, sagt er heute. Ein Comeback ist immer mit einem Risiko verbunden. Das haben schon ganz andere Sportgrößen bitter erfahren müssen. Daher hat Joachim Thiel im vergangenen November auch erst gezögert. Die Bedenken seiner Frau, er könne sich verletzen, waren da noch eine Lappalie. Es ging vielmehr darum, seinen Ruf, den er sich über Jahre, über Jahrzehnte aufgebaut hatte, nicht zu beschädigen. Wie wäre das angekommen, wenn die Hauptaufgabe von Thiel, über rund 25 Jahre in Hochdorf stets ein zuverlässiger Rückhalt, plötzlich darin bestanden hätte, Ball um Ball aus dem Tornetz zu holen. 60 Minuten lang. Es scheint, als wolle er austesten, wann seine Zeit vorbei ist. „Man geht das Risiko ein, dass es peinlich wird“, sagt Thiel. Er wusste, dass dieses Risiko bestand. Er wusste aber auch, dass er in den fünfeinhalb Jahren seit seinem Abschied in Hochdorf nicht alles verlernt haben konnte. Obwohl er nur ein einziges Mal zwischenzeitlich in einem Handballtor stand. Und das eher, um alte Freunde wiederzutreffen. Ansonsten hielt er sich mit Tennis und Laufen fit. Bislang kann man sagen: Es ist gut gegangen. Joachim Thiel, der in Anspielung auf seinen Bruder Andreas, den früheren Nationaltorhüter, stets „der kleine Hexer“ genannt, verhext die gegnerischen Angreifer zumindest noch phasenweise, hält stets eine zweistellige Anzahl an Bällen. Auch wenn ihm nun ab und zu mal ein Ball durchrutscht, der ihm früher nicht durchgerutscht wäre. „Man muss der Realität Rechnung tragen“, sagt Thiel. Und die Realität ist nun mal die, dass die Reaktionsfähigkeit im Alter abnimmt. Auch wenn der 49-Jährige durch ein gutes Stellungsspiel und Antizipation vieles wettmachen kann. In der kommenden Saison wird er wieder als Torwarttrainer in Hochdorf arbeiten, sagt er. Er kann sich sogar vorstellen, in der Zweiten Mannschaft des TVH im Tor zu stehen. „Aber nur, wenn man mich braucht. Ich will niemanden verdrängen“, erklärt Thiel. Einem bisschen „Bewegungstherapie“, wie er das nennt, wäre er aber natürlich nicht abgeneigt. Es scheint so, als wolle er noch ein bisschen Spaß haben. Beweisen muss der Torwart-Routinier jedenfalls niemanden mehr etwas. Am allerwenigsten sich selbst. (tnf)

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