Neustadt Das Meer kommt, der Gletscher geht

Neustadt-Haardt. Eine Wiederbegegnung mit Betty Beiers „Erdschollenarchiv“ gibt es bei der derzeit laufenden Haardter Abschiedsausstellung der Galerie „Upart“, die sich künftig an einem neuen Standort im Neustadter Zentrum präsentieren will. Die im südpfälzischen Rohrbach lebende Künstlerin, die seit 1996 schon an vielen Orten weltweit Bodenoberflächenprofile abgenommen und diese anschließend als Reliefbilder mit Acryl oder Kunstharz fixiert hat, um menschgemachte Veränderungen zu dokumentieren, widmet sich diesmal vor allem den Folgen des Klimawandels.

Im Zentrum der Präsentation stehen bei der zweiten Ausstellung Beiers in der Galerie Upart nach 2011 neu entstandene Reliefbilder aus Alaska und Island, die den Anstieg des Meeresspiegels und das Abschmelzen der Gletscher dokumentieren. Aber auch mehrere Arbeiten aus heimischen Gefilden, darunter aus dem Schlossgarten in Stuttgart und vom Daimler-Gelände in Wörth, sind zu sehen. Wie immer bei Beier basieren die exakt einen Quadratmeter großen Platten auf Gipsabdrücken und Fundstücken, die die Künstlerin vor Ort abgenommen oder eingesammelt hat. In einem aufwendigen Prozess rekonstruiert die gebürtige Südbadenerin danach in ihrem Atelier die ursprüngliche Beschaffenheit des Bodens – mit einer Exaktheit, die jedem naturhistorischen Museum zu hohen Ehren gereichen würde. Schlamm sieht dann wirklich wie Schlamm, Eis wie Eis aus, auch wenn es in Wahrheit Glas ist. Die „Königsaufgabe“ freilich sind für Beier die Pflanzen, die diesmal sogar noch um einen Deut natürlicher wirken als bei der Schau vor drei Jahren. Kein Wunder, wenn wie etwa bei einer Arbeit, die den Zustand des „Stuttgart 21“-Geländes wenige Tage nach einer Großdemo festhält, jeder einzelne Halm des zertrampelten und von Wasserwerfern durchnässten Rasens mit einem kleinen Metalldraht verstärkt wurde. Abgerundet wird alles immer durch eine umfangreiche Dokumentation in Texten, Fotos und manchmal auch Zeichnungen der Künstlerin. Dabei bestechen alle Arbeiten Beiers auch durch hohen ästhetischen Reiz, sprechen also neben dem Kopf auch die Sinne an. Das gilt zum Beispiel besonders für die drei Reliefs aus Alaska, die jetzt in Haardt zu sehen sind. Sie stammen aus dem Inuit-Ort Kivalina, der auf einer Insel an der Beringstraße liegt, die gerade einmal zwei Meter aus dem Wasser aufragt und in den vergangenen zehn Jahren zur Hälfte vom Meer verschlungen wurde. Die 400 Menschen, die hier überwiegend vom Fischfang leben, wissen, dass ihre Heimat in spätestens 15 Jahren verschwunden sein wird. Von ihrem vergeblichen Kampf gegen das Unabwendbare zeugen die Reste eines Sandsacks, den Beier in einem ihrer Kunst-Quadrate verewigte. Geradezu verblüffend ist der Naturalismus, mit dem sie in einer anderen „Erdscholle“ den Gischtkranz am Strand eingefangen hat. Feuer und Eis begegnet man in den Arbeiten, die Beier auf Island am Solheimajökull, einer Gletscherzunge, unter der sich ein Vulkan befindet, dokumentierte. Auch hier verändert der Anstieg der Temperatur das natürliche Gleichgewicht. Während der Einfluss des Menschen hier aber nur indirekt spürbar ist, wird er bei den in Deutschland abgenommenen Bodenstücken ganz unmittelbar greifbar: In Wörth etwa steht da, wo die Künstlerin ihr quadratisches Exempel statuierte, inzwischen ein Erweiterungsbau der Firma Mercedes-Benz. Regenwurmspuren im Lehm zeigen auf der entsprechenden Scholle, dass auch andere Lebewesen bei diesem Stück Land ihre Rechte haben.

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