Neustadt Ausflüge in die Musikgeschichte

Ein Festival für Alte Musik in Neustadt ist eine Idee, die Bezirkskantor Simon Reichert schon lange mit sich herumträgt – 2017 nun wird der Traum endlich Realität. Am Montag erhielt die Stiftskirchengemeinde, die als Veranstalter auftritt, die Finanzierungszusage vom Kultursommer-Büro in Mainz. „Damit können wir jetzt in die weiteren Planungen einsteigen“, sagt Reinhild Müller-Hasse, die Vorsitzende der Neustadter Stiftskantorei, die mit zum Organisationsteam gehört. Nicht weniger als elf Konzerte plus Rahmenprogramm mit Kursen und Vorträgen sind im Zeitraum von 2. bis 12. September bislang schon geplant. Dabei ist nahezu alles mit im Boot, was in Neustadt in Sachen Alte Musik Rang und Namen hat: die Lautenistin Andrea C. Baur, die Barockfagottistin Jennifer Harris, der Cembalo-Virtuose Miklos Spanyi, der Flötist Norbert Gamm, der Barockviolinist Fritz Burkhardt mit seinen Ensembles, der Orgelexperte Koos van de Linde, der Posaunist Henning Wiegräbe mit seinem Stuttgarter „Capricornus Ensemble“ und natürlich Reichert selbst. Aber auch auswärtige Gäste, etwa das Orchester „Main Barock“ aus Frankfurt oder das „Ensemble L’Arcadia“ um den Geiger Martin Jopp, in Neustadt bekannt als Konzertmeister des „Ensembles 1800“, sind beteiligt. Die Grundidee hinter dem Festival sei es, die neue Chororgel der Stiftskirche anders als beim „Neustadter Orgelsommer“ in diesem Jahr nicht nur als Solo-Instrument, sondern auch im Zusammenspiel mit anderen Instrumenten erfahrbar zu machen, sagt Reichert. Als zweiter neuer Neustadter „Instrumentenstar“ kommt natürlich auch das diesen Sommer erworbene Skowronek-Cembalo der Greve-Stiftung zum Einsatz. Der Begriff Alte Musik werde dabei in einem erweiterten Sinne verstanden und auf alle Epochen bezogen, auf die sich heute das Interesse der historischen Aufführungspraxis richtet. So muss es nicht überraschen, dass beim Eröffnungskonzert am 3. September in der Stiftskirche ein reines Schubert-Programm vorgesehen ist. Der Neustadter Figuralchor und das „Ensemble 1800“ interpretieren dann unter Leitung Fritz Burkhardts die Große Messe Es-Dur und die „Unvollendete“. Das Abschlusskonzert am 12. September im Saalbau gestaltet das Orchester „Main Barock“ mit Werken des 18. Jahrhunderts, darunter Händels „Wassermusik“. Ein besonderer Schwerpunkt liegt außerdem – zur Feier des Jubiläums – auf der Musik der Reformationszeit, aber auch eine „Lange Nacht der Alten Musik“ mit Wein, Tanz und Tafelmusik ist vorgesehen. Nach Reicherts Vorstellung könnte das Alte-Musik-Festival in Neustadt durchaus zu einer Dauereinrichtung werden – etwa im Wechsel mit dem „Orgelsommer“ in einem Zwei-Jahres-Rhythmus. Bei der Reihe der von der Stiftskantorei organisierten Parkvilla-Konzerte im Mußbacher Herrenhof vollzieht sich 2017 gleichsam fließend ein personeller Wechsel: Ulrich Loschky, der die Reihe seit vielen Jahren künstlerisch betreute, reicht den Stab an Simon Reichert weiter. Das Programm für die nächsten Monate haben beide gemeinsam entwickelt. Es startet schon in knapp anderthalb Wochen mit dem traditionellen Konzert am Neujahrstag, bei dem in diesem Jahr das Ensemble „Gypsi Gold“ Wiener Kaffeehausmusik mit Csardas-Temperament verspricht. Das aus Bulgarien stammende, inzwischen aber in Neustadt beheimatete Straßenmusiker-Trio mit dem Akkordeonisten Zhivo Antonov, dem Gitarristen Stefdo Hristov und dem Geiger Caydar Kurtev erspielte sich im Sommer bei einem umjubelten Marktkonzert in der Stiftskirche die Eintrittskarte für die Mußbacher Konzertreihe. „Die haben eine Musikalität im Blut, da kann man nur staunen“, zieht Reichert den Hut vor den drei Kollegen. Bis zum Sommer folgen danach ein Klavierabend mit dem Speyerer Pianisten Stephan Rahn (19. Februar), ein Liederabend mit dem Neustadter Tenor Thomas Jakobs und dem Pianisten Christian Strauss (19. März), bei dem unter anderem Schumanns „Dichterliebe“ erklingt, ein romantisches Duo-Konzert für Harfe und Gitarre mit Mirjam Schröder und Maximilian Mangold (30. April) sowie eine Wiederbegegnung mit dem „Gambenconsort Les Escapades“ (21. Mai), das schon einmal 2014 mit Musik der Tudor-Zeit in der Parkvilla zu erleben war. Auch diesmal bringen die vier Damen aus Karlsruhe wieder eine musikalische Rarität mit: Bearbeitungen spanischer Orgelmusik des „Siglo de Oro“, des 16. Jahrhunderts, als die Spanier ein Reich beherrschten, in dem die Sonne nie unterging. Am 16. April steht im Herrenhof außerdem noch das traditionelle Ostersonntagskonzert auf dem Programm, das wieder von Henning Wiegräbe, dem aus Mußbach stammenden Professor für Posaune an der Musikhochschule Stuttgart, organisiert wird. Es spielt das „Peter Lehel Quartett“ zusammen mit Eckart und Henning Wiegräbe. Zu hören gibt es Kompositionen des Saxophonisten und Komponisten Peter Lehel, die er speziell für das Osterkonzert schreiben und arrangieren wird. Für die Zeit nach der Sommerpause wird das Programm der Parkvillakonzerte (zu denen das Osterkonzert nicht gehört) dann in künstlerischer Hinsicht bereits allein von Reichert verantwortet. Bislang steht hier nur ein Termin, das traditionelle Jugend-musiziert-Preisträgerkonzert am 19. November, fest. Schon seit Jahrzehnten sind die Mandelringkonzerte im Anwesen der Musikerfamilie Schmidt in Haardt eine Institution im Neustadter Musikleben. Fünf bis sechs gibt es jedes Jahr – mittlerweile ist man bei Nummer 211 angekommen. Er bekomme unentwegt Anfragen von Künstlern, die hier spielen wollten, erzählt Initiator und Hausherr Jörg Sebastian Schmidt. Wichtiges Kriterium bei der Auswahl sei, „dass ich die Leute gehört habe und dass sie gut sind“. Zwar seien nicht mehr alle Konzerte ausverkauft wie noch in den Anfangsjahren, „doch es ist immer sehr schön bei uns“, sagt Schmidt. Froh sei er darüber, dass die Besucher großzügig spendeten, so dass den Künstlern immer eine kleine Gage gezahlt werden könne. Auch in diesem Jahr ist dabei je ein Konzert für Studenten der Musikhochschulen Nürnberg und Hamburg reserviert, an denen die Söhne Bernhard und Sebastian Professoren sind. Am 13. Mai sind Studenten der Nürnberger Kammermusikklasse von Bernhard Schmidt an der Reihe, am 25. November die Hamburger mit Werken für Violine und Klavier. Immer mal wieder bietet Schmidt auch Studenten, von denen er überzeugt ist, die Möglichkeit ein Konzert als Generalprobe für ihr Examen zu nutzen. So wird am 4. Februar die junge Pianistin Elena Schöndorf, die früher bei dem bekannten Neustadter Musikpädagogen Werner Feyrer Unterricht hatte und nun in Regensburg und Wien studiert, Stücke von Scarlatti, Beethoven, Ravel, Skrjabin und Ginastra vorstellen. Am 18. März folgt die aus Neustadt stammende Harfenistin Maria Stange mit einem Gedächtniskonzert für ihren Vater, den in diesem Jahr verstorbenen Ehrenvorsitzenden der Pfälzischen Musikgesellschaft, Karl Stange. Auf dem Programm stehen Kompositionen von Carlo Salzedo, Gabriel Fauré, André Caplet, Benjamin Britten, Nino Rota und Johann Sebastian Bach. Am 8. April wird dann das Duo Sebastian Schmidt an der Violine und Daniel Heide am Klavier Sonaten von Prokofiev, Grieg und Karol Szymanowski spielen. Für Herbst 2017 ist ein Cembaloabend mit Medea Bindewald mit Musik vom Frühbarock bis zum 20, Jahrhundert geplant. Zwei Konzerte gibt das Neustadter Sinfonieorchester in der Regel jedes Jahr – und das wird auch 2017 so sein. Das erste findet am 19. Februar in der Hambacher Pauluskirche statt: Hier steht, als Reverenz an das Reformationsjubiläum, Mendelssohns Reformationssinfonie auf dem Programm, bei der, wie Caspar Grote, der Vorsitzende des Sinfonieorchesters erläutert, ein sehr ungewöhnliches Instrument zu hören ist: ein Ophicléide, ein sehr tiefes Blasinstrument. Mit dem Notturno aus „Ein Sommernachtstraum“ erklingt noch eine weitere Komposition Mendelssohns. Außerdem wird das Liebhaberorchester die Serenade für Streicher von Edward Elgar und ein Konzert von Hyacinth-Eleonore Klosé spielen. Das zweite Konzert des Jahres ist die Hofserenade am 25. Juni im Innenhof des Rathauses. Da würde das Neustadter Sinfonieorchester gerne mit seinem französischen Partnerorchester, dem „Orchestre Résonances“ aus Mâcon, musizieren, doch gebe es noch Probleme bei der Abstimmung, so Grote. Nach dem die Kirrweilerer Kammerkonzerte im vergangenen Jahr ihr zehnjähriges Bestehen feiern konnten und dabei auf große Publikumsresonanz stießen, blickt der Vorsitzende Norbert Gamm optimistisch auf das neue Jahr, bei dem wie gehabt in den Sommermonaten vier kleine, aber feine Kammerkonzerte in der barocken Marienkapelle am Kirrweilerer Friedhof auf dem Plan stehen. Dass die Konzerte ihren besonderen Charakter verlieren könnten, fürchtet er dabei nicht. „Schon aufgrund der begrenzten räumlichen Kapazität wird die Reihe ihre Intimität behalten“, sagt er. Auch die Programme sind auf diesen Rahmen abgestimmt. Schwerpunktmäßig führen sie ins Deutschland des 17. und 18. Jahrhunderts. So präsentiert zum Start am 27. Mai das Alte-Musik-Ensemble „Cyrano“ um den Neustadter Kontrabassisten und Gambisten Markus Kroell Werke wenig bekannter deutscher Komponisten des 17. Jahrhunderts. Dabei soll die barocke Arpa Doppia (Doppelharfe), gespielt von der renommierten Schweizer Harfenistin Vera Schnider, für besonderen Klangzauber in der Marienkapelle sorgen. Am 10. Juni folgt ein Konzert, mit dem die Reihe des 250. Todestages des deutschen Barockmeisters Georg Philipp Telemann gedenkt, der lange im Schatten Bachs und Händels stand, sich nach Gamms Worten aber immer mehr als eine der bedeutendsten Musikerpersönlichkeiten des 18. Jahrhunderts erweist. Im Konzert in Kirrweiler widmet sich das Heidelberger Ensemble „Flauto con bassi“, verstärkt durch den Mannheimer Barockgeiger Hans-Joachim Berg, Telemanns Pariser Quartetten, vielleicht seiner bedeutendsten kammermusikalischen Produktion. Für das erste Konzert nach der Sommerpause am 19. August hat sich dann Besuch aus New York angekündigt, ein Alte-Musik-Ensemble um die Geigerin Claire Jolivet , das virtuose deutsche Violinmusik der Barockzeit vorstellen und dabei auch die historische Barockorgel der Kapelle zum Klingen bringen will. Ein Kontrastprogramm verspricht dagegen der Gitarrist Maximilian Mangold am 16. September. Er präsentiert ein Solo-Programm mit spanischer und italienischer Gitarrenmusik. „Sehnsucht nach dem Süden“ lautet passenderweise der Titel. Zwei Konzerte pro Monat veranstaltet die Fördergemeinschaft Alte Winzinger Kirche auch im neuen Jahr im Schnitt in Neustadts ältestem Gotteshaus. Anfragen von Künstlern gebe es noch weitaus mehr, berichtet Ursula Baade, eine der beiden Vorsitzenden der Fördergemeinschaft. Was sicher auch daran liegt, dass die Musiker zwar keine große Gage bekommen, von den Aktiven der Fördergemeinschaft aber liebevoll betreut werden. „Im Lauf der Jahre sind einige schöne Verbindungen zwischen Künstlern und uns entstanden“, erzählt Baade. Auch über mangelnden Zuspruch von Zuhörern kann der Verein nicht klagen. Der Eintritt zu den Konzerten ist frei, doch wird um Spenden gebeten. Das Geld ist je zur Hälfte für Sanierung und Erhalt der Kirche und die Künstler bestimmt. Deshalb ist Baade immer enttäuscht, wenn manche Besucher nur ein oder zwei Euro in den Spendenkorb werfen. Der Erlös eines Konzertes pro Jahr wird der Tagesbegegnungsstätte Lichtblick gespendet, das ist Tradition. Mit einem Neujahrskonzert beginnt am 15. Januar das Jahresprogramm. Die Sopranistin Seungmin Baek, der Tenor Daniel Ewald und der Bariton Ralph Jaarsma werden, begleitet von dem Pianisten Younggeun Yoon, Opernarien und -duette sowie Operettenmelodien singen. Keltische Musikkultur präsentiert das Quartett „Reliléma“ am 21. Januar an Flöte, Drehleier, Geige, Gitarre, Cajon und Percussions. „Tango Nuevo“ wird am 4. Februar von dem Duo „Algo Nuevo“ dargeboten, zwischen den musikalischen Beiträgen werden Tangotexte gelesen. Regelmäßiger musikalischer Gast in der Alten Winzinger Kirche ist das Mandolinenorchester Rietania aus Rhodt. Am 19. Februar kommt das Orchester erneut und präsentiert verschiedene Facetten der Zupfmusik. Jazz-Standards und verjazzte Lieder aus Japan werden am 4. März die Sängerin Jutta Glaser und der Pianist Sachie Matsushita vortragen. Zu einer musikalischen Reise mit Klassikern aus vier Jahrhunderten lädt das „Trio Musica“ am 19. März. Das Duo „Andrew Wiles“ spielt am 2. April unter dem Motto „Romantissimo“ romantische Kompositionen. Der Speyerer Frauenchor „Quintessenz“ gibt am 29. April wieder einmal ein Konzert mit Jazz, Pop, Balladen und Musicalmelodien in der Alten Winzinger Kirche. Am 21. Mai folgt der Knabenchor Mannheim. Mit deutscher und französischer Musik zum Frühling ist am 11. Juni das Duo „So Nat’s“ in Winzingen zu Gast. Und gleich zweimal spielt das Trio „Amaro-Dji“ am 25. Juni Musik der Sinti und Roma. Kompositionen von Vivaldi und Telemann werden am 24. September von dem Mannheimer Barockorchester „Concerto E-Quadro“ präsentiert. Und „Musica barocca“ verspricht die Gruppe „Flautando“ am 22. Oktober. Das sei nur eine Auswahl der zahlreichen Konzerte, so Baade, einige weitere sind auch noch in Planung. Ostermontag, Pfingstmontag und Erster Advent sind die feststehenden Termine des Kurpfälzischen Kammerorchesters für seine Konzerte im Festsaal des Hambacher Schlosses – das wird nach Angaben von Anna Speth, Mitglied des Orchestermanagements, auch 2017 wieder so sein. Zu Ostern, am 17. April, spielt das Orchester Kompositionen von Johann Stamitz, Franz Xaver Richter, Sylvie Bodorová, Josef Suk und Leos Janácek. Dirigent ist Marek Stilec, Solisten sind David Petrlik an der Violine und Kristina Fialova an der Viola. Beim Pfingstkonzert am 5. Juni wird Chefdirigent Johannes Schlaefli dann selbst zum Stab greifen. Solistin ist hier die Geigerin Maria Solozobova. Gespielt werden Kompositionen von Mozart, Piazzolla und Dvorák. Das Adventskonzert am 26. November steht dann wie schon dieses Jahr wieder ganz im Zeichen des italienischen Barock. Dirigent ist Alessandro Quarta, Solist der Trompeter Simon Höfele. |hpö/ann

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