Neustadt „Alles spiegelt dich zurück in meine Sprache“

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Neustadt-Mussbach. Der Auftakt ist gelungen: Mit einer erfrischenden Lesung der Frankenthaler Lyrikerin Natascha Huber stach am Donnerstagabend die neue Veranstaltungsreihe „Literaturvilla präsentiert ...“ im Mußbacher Herrenhof in die bewegte See der regionalen Kulturszene. Mit an Bord waren rund 40 Zuhörer, was im ehemaligen Wohnzimmer der Parkvilla schon für leichtes Gedränge sorgte.

Die maritime Metaphorik kommt dabei nicht von ungefähr: Denn Huber trug hauptsächlich Gedichte aus ihrem erst vor zwei Wochen erschienenen ersten Gedichtband „die Nacht trägt Flutsplitter aus Malachit“ vor, den sie zusammen mit ihrer Würzburger Kollegin Marina Maggio im „Verlag 3.0“ veröffentlicht hat. Der Band verwebt zwei Gedichtzyklen der beiden Dichterinnen miteinander, von denen der eine der Erde und der andere dem Meer und den Gezeiten zugeordnet ist. Letzterer ist Natascha Hubers Beitrag und trägt den Titel „Als mein Mund zur See ging“. Passenderweise hatte die 30-Jährige, die mit ihren blau gefärbten Haaren auch äußerlich gut mit dem maritimen Thema korrespondiert, an diesem Abend auch noch eine an Strand und Seefahrt erinnernde Bühnendekoration mitgebracht. Die gebürtige Passauerin, die seit 2009 als Leiterin eines Tattoo- und Piercing-Studios in Frankenthal lebt, nimmt seit 2015 an der Darmstädter Textwerkstatt des Schriftstellers Kurt Drawert teil und hat bereits mehrere Preise und Stipendien eingeheimst. Am 17. und 18. März kämpft sie als eine von neun Nominierten in Darmstadt um den mit 8000 Euro dotierten Leonce-und-Lena-Preis, der als bedeutendste Auszeichnung für junge Lyriker im deutschsprachigen Raum gilt. Natürlich trug sie an diesem Abend in Mußbach – übrigens ihre erste Solo-Lesung, wie sie mit der ihr eigenen Bescheidenheit gleich zu Beginn einräumte – auch einige jener Gedichte vor, die ihr diese Nominierung eingebracht haben. Von Anfang an bestach ihr Auftritt dabei durch einen sehr offenen und lebendigen Vortragsstil und große Auskunftsfreude, was die Inspirationsquellen und Entstehungsbedingungen ihrer Werke anbelangt. Dem entsprechen ihre Gedichte auch auf inhaltlicher und formaler Ebene: Sie sind assoziativ, aber fast nie hermetisch-distanziert und bestechen durch sehr schöne, eingängige Sprachbilder, die oft gerade durch ihre Schlichtheit für sich einnehmen. Oft sind Alltagserlebnisse oder -beobachtungen der Ausgangspunkt – so in „Why so serious?“, das nach Hubers Aussage vom morgendlichen Schminkritual vor dem heimischen Badezimmer-Spiegel inspiriert wurde, oder in „Kinderspiel“, in dem die Lyrikerin Erinnerungen an das Faltspiel Himmel und Hölle verarbeitete. In „Marvels Märchen“ ist ein Kinobesuch das Thema, in „Morsezeichen“, das die Poetin sinnigerweise gleich als erstes vortrug, eine Dichterlesung. Ohne irgendwelche Allüren gibt Huber dabei auch bereitwillig Auskunft, welche Dichterkollegen sie bei bestimmten Poemen inspiriert haben, so Clemens J. Setz und seine Synästhesien bei „Skyline“ oder Marion Poschmann bei „Frühlingsanfang“. Dass sie in dieser Reihe auch Paul Celan, den Meister der „Todesfuge“ nennt, zeugt von gesundem Selbstbewusstsein. Aber der Zyklus „Als mein Mund zur See ging“ wie auch die drei bislang unveröffentlichten Gedichte „Am Marktplatz“, „Freiflächen“ und „Nur Schnee auf Zelluloid“, die ebenfalls an diesem Abend zu hören waren, rechtfertigen tatsächlich große Erwartungen. Besonders eingängig und berührend sind Hubers Verse auch deshalb, weil es sich dabei sehr häufig um Liebes- oder Sympathiegedichte handelt, wie die Autorin es nennt, in denen ein lyrisches Ich ein lyrisches Du anspricht. „Nordseestrände, Schilfdächer, Wattträume und Windräder: Alles spiegelt dich zurück in meine Sprache und ich weiß, dass jede Flut ohne dich mitternachtslos war“, heißt es zum Beispiel in „Sandspuren zu Mitternacht“, das sie selbst als Schlüssel des gesamten Zyklus interpretiert. In „Inselnächte“ findet sich der schöne Satz „Deine Worte sind ein Treppenhaus, durch das mein Herz schleicht“. Allerdings kann auch die Fremdheit nach einem One-Night-Stand zum Thema werden: „Wie Polaroids / im Dunkeln stehen wir zu später Stunde / voreinander und können nichts mehr / aus den Gesichtern lesen: Blicke, gezückte / Spielkarten, ziellos durch die Nacht / geworfen. Weit in die ruhende Landschaft / reicht das Blatt unseres Schweigens“, heißt es in „Fast König und Dame“, das ebenfalls zu Hubers Darmstädter Wettbewerbsbeiträgen gehört. Flankiert wurde Natascha Hubers Vortrag durch drei Blöcke mit der sphärisch anmutenden Gitarrenmusik von Patrick Müller. Der Absolvent der Mannheimer Popakademie ist seit einigen Jahren in verschiedenen regionalen Bands wie „The Kling-Ding“ aktiv, präsentierte sich an diesem Abend aber erst zum zweiten Mal überhaupt solo. „Meine Einsamkeit auf der Bühne kompensiere ich mit viel Technik“, kommentierte er mit trockenem Humor seinen minimalistischen Stil, der unter anderem mit Loops, zeitversetzt eingespielten Wiederholungen, arbeitete, und so teilweise erstaunliche, teilweise aber auch ein wenig arg spannungslose Soundeffekte hervorbrachte. Neben Eigenkompositionen präsentierte der junge Gitarrist auch ein sehr eigenwilliges Arrangement des „Beatles“-Klassikers „All The Lonely People“. Die bildkünstlerische Komponente schließlich war an diesem Abend durch die Bilder des Haßlocher Fotografen Cane Harry, bürgerlich Viktor Schwab, im Untergeschoss der Villa präsent, der auch schon 2016 beim „Querfälltein“-Festival mit einigen Bildern zu sehen war. Der 31-Jährige, der sich seit 2010 autodidaktisch mit Fotografie und Video beschäftigt und dies künstlerisch in Zukunft noch vertiefen will, arbeitet in ganz unterschiedlicher Genres und Techniken, die sich kaum über einen Kamm scheren lassen, aber fast alle den Geist spontaner Momentaufnahmen atmen, also perfekt zu diesem Abend mit junger, frischer Kunst passten. Termin Die nächste Veranstaltung der Reihe „Literaturvilla präsentiert ...“ findet am Donnerstag, 2. Mai, um 20 Uhr in der Herrenhof-Parkvilla statt. Lesen wird dann der junge Maikammerer Erzähler Freddy Mork. Den musikalischen Part übernimmt Steffen Weick, der Kontrabassist der „Blue Note Big Band“. Der Eintritt ist frei.

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