Ludwigshafen Zufluchtsort für Bücher und Menschen

Am 10. Mai 1934, ein Jahr nach den Bücherverbrennungen in Nazi-Deutschland, wurde in Paris ein Haus mit deutscher Literatur eröffnet. Die Freiheitsbibliothek sollte ein Refugium sein für zensierte Bücher und verfolgte Autoren und „dem anderen Deutschland“ im Ausland ein Gesicht geben. Mit Ausstellungen, Vorträgen und Lesungen erinnert die Initiative Buchkultur in Ludwigshafen an diese weitgehend vergessene Einrichtung.

Irgendwann sind Marita Hoffmann, Ralph Aepler und ihre Mitstreiter von der Initiative Buchkultur auf die Deutsche Freiheitsbibliothek gestoßen. „Es gibt bis auf eine monografische Untersuchung fast keine Literatur zu diesem zu Unrecht vergessenen Thema“, sagt Marita Hoffmann. Von den etwa 25.000 Büchern, die in dem kleinen Atelierhaus am Boulevard Arago im 13. Arrondissement zusammengetragen worden waren, sind heute nur noch wenige erhalten. Hoffmann und Aepler können sogar auf regionale Bezüge verweisen und damit gute Gründe anführen, warum diese Erinnerungsarbeit nun nach 80 Jahren in Ludwigshafen geleistet wird. Der Publizist Alfred Kantorowicz, der die Gründung der Freiheitsbibliothek maßgeblich betrieb, arbeitete in den 1920er Jahren als Feuilletonredakteur der „Badischen Neuesten Nachrichten“ in Mannheim und war später mit Ernst Bloch befreundet. Der gemeinsame Briefwechsel findet sich im Ernst-Bloch-Archiv in Ludwigshafen. Mit einer Reihe von Veranstaltungen zwischen dem 10. Mai und dem 20. Juli an verschiedenen Orten in Ludwigshafen soll nun an Freiheitsbibliothek und deutsche Exilautoren erinnert werden. Eine kleine Ausstellung im Stadtmuseum rekonstruiert die Eröffnungsveranstaltung 1934 in Paris. Auf einem Foto kann man erkennen, wie klein der Raum war und wie dicht gedrängt die Menschen den Worten von Egon Erwin Kisch lauschten, der sich auf eine Bücherkiste gestellt hatte, um besser gesehen zu werden. Im Stadtmuseum wird man auch die Reden von Alfred Kerr und Alfred Kantorowicz hören können, die damals gehalten wurden. Bis zu ihrer Schließung durch die französischen Behörden im Jahre 1939 war die Freiheitsbibliothek nicht nur ein Ort, wo die Bücher der nach Frankreich geflohenen deutschen Schriftsteller verwahrt wurden. Hier war auch ein Treffpunkt für diese Autoren; Kundgebungen, Lesungen und Diskussionen wurden veranstaltet. Die Ausstellung „Das freie deutsche Buch“ entdeckte 1936 die Wahrheit über die Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland und stellte damit eine Gegenöffentlichkeit zum Propagandabild der Nazis dar. Wer über die Zustände im deutschen Reich recherchieren wollte, fand in der Freiheitsbibliothek ein Archiv mit 250.000 Zeitungsausschnitten. Und sogar publiziert wurde von hier aus, etwa die „Mitteilungen“, die getarnt in der Aufmachung von Nazi-Schriften nach Deutschland geschmuggelt wurden. Viele prominente Autoren haben die Freiheitsbibliothek unterstützt, darunter Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Romain Rolland und H.G. Wells. Das Ende der Bibliothek war wenig spektakulär. Viele der nach Paris geflohenen Autoren hatten sich 1936 der Volksfront im Spanischen Bürgerkrieg angeschlossen. Nach dem Sieg der Faschisten verlor auch die Arbeit der Exilautoren in Frankreich an Kraft. Dann wurden die Bücherbestände der Bibliothek 1939, ein Jahr vor dem deutschen Einmarsch, von den französischen Behörden beschlagnahmt. Wo die Bücher geblieben sind, ist unklar. 56 landeten in der französischen Nationalbibliothek, eines im Deutschen Exilarchiv in Frankfurt. Im Original wird man diese Bücher im Stadtmuseum nicht betrachten können, dafür aber zahlreiche Bücher von Exilautoren in Ausgaben aus dieser Zeit. Eine zweite Ausstellung im Schillerhaus in Oggersheim erinnert an Heinrich Heine, der ja ein Jahrhundert früher und ebenfalls von deutscher Zensur verfolgt, nach Paris gegangen war. 1937 wurde dann auch von den Exil-Autoren in Paris der Heine-Preis verliehen. Vom auch nach dem Krieg noch schwierigen und in den beiden deutschen Staaten unterschiedlichen Umgang mit Heine kündet die Ausstellung, die 1956 in der DDR zusammengestellt und an verschiedenen Orten gezeigt wurde. Obwohl viele der Leihgaben aus der Bundesrepublik stammten, ist diese Ausstellung nun erstmals im Westen Deutschlands zu sehen. Ergänzt werden die 67 Informationstafeln von Lithografien der 1942 in Auschwitz ermordeten Künstlerin Rahel Szalit-Marcus zu Heines Gedichtzyklus „Hebräische Melodien“. Im umfangreichen Begleitprogramm zu den Ausstellungen gibt es zahlreiche Vorträge. Zu den Referenten zählen Dorothee Bores, die die einzige monografische Arbeit über die Freiheitsbibliothek geschrieben hat, Deborah Kämper vom Institut der Deutschen Sprache, der Exilliteratur-Experte Wolfgang Kaiser, Franziska Sperr, Vizepräsidentin des deutschen PEN, und Joseph Kruse, ehemaliger Leiter des Heinrich-Heine-Instituts in Düsseldorf. Ein Film über Alfred Kantorowicz zeigt diesen zusammen mit dem Filmemacher Ralph Giordano an Orten seines Exillebens in Paris, Südfrankreich und New York.

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