Ludwigshafen Zerstörte Träume

Dieses Stück kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Während die Welt sich über ein Massaker in Frankreich entsetzt und in Deutschland selbsternannte Patrioten in Massen gegen eine angebliche Islamisierung Europas demonstrieren, entwirft Roland Schimmelpfennig, der am häufigsten gespielte deutsche Dramatiker in der Welt, eine Utopie des Zusammenlebens. „Das schwarze Wasser“ heißt sein im wahrsten Sinne des Wortes zauberhaftes Stück. Heute erlebt es am Mannheimer Nationaltheater seine Uraufführung.

In einem Schwimmbad treffen nachts zwei Gruppen Jugendlicher aufeinander. Die eine besteht aus Deutschen „aus guter Familie“, wie man so schön sagt; die andere aus Jugendlichen mit Migrationshintergrund, wie man ebenfalls so schön sagt. Schon sieht es so aus, als würde es im Aufeinandertreffen der durch eine soziale und ethnische Kluft Getrennten zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung kommen. Stattdessen kommt es aber zu einer unerwarteten Verständigung. „Das hier gehört allen oder niemandem“, sagt eine. „Es spielt keine Rolle, wer zuerst hier war“, ein anderer. Olli, der Erbe eines Fleischimperiums, und Mehmet, der Sohn eines Imbissbudenbesitzers, schmieden Pläne für eine gemeinsame Restaurantkette. Kerstin und Aishe diskutieren miteinander über Gott. Und Frank und Leyla werden gar ein Liebespaar. Und der Nachtwächter des Schwimmbads drückt verständnisvoll ein Auge zu. Was entwickelt sich aus dieser Begegnung einer verklärten Nacht? Und was ist aus Frank und Olli und Mehmet und Kerstin und Aishe und Leyla zwanzig Jahre später geworden? Roland Schimmelpfennigs neuestes Stück ist ein Auftragswerk der „Frankfurter Positionen“, eines seit 2001 alle zwei Jahre stattfindenden Festivals für neue Werke, das vom 22. Januar bis 1. Februar wieder in Frankfurt stattfinden wird. Gezeigt wird hier neben Konzerten, Tanz, Performances Dea Lohers „Gaunerstück“, das sie für das Deutsche Theater Berlin geschrieben hat, Falk Richters „Zwei Uhr nachts“ vom Frankfurter Theater und eben Roland Schimmelpfennigs „Das schwarze Wasser“ vom Mannheimer Nationaltheater. Mannheims Schauspielchef Burkhard C. Kosminski ist glücklich, nach langjährigen Bemühungen die Uraufführung eines Stücks von Roland Schimmelpfennig inszenieren zu dürfen. Bei einem begehrten Autor, wie es Schimmelpfennig mit seinen mehr als 30 Stücken, in über 40 Ländern der Welt aufgeführt, ist, muss ein Theater da schon gegen die Konkurrenz von bedeutenden Häusern wie dem Burgtheater oder dem Deutschen Theater Berlin antreten. 2007 hat Kosminski zwar – nur wenige Tage nach der New Yorker Uraufführung – bereits die deutsche Erstaufführung von Schimmelpfennigs „Start up“ inszeniert, einem Stück über drei junge Deutsche, die in der amerikanischen Provinz mit einem experimentellen Theater scheitern. Dabei handelte es sich allerdings um ein kurzes Stück, das damals im Studio Werkhaus gezeigt wurde. „Das schwarze Wasser“ nun hat eine respektable Länge und wird im Schauspielhaus aufgeführt. Der Regisseur ist begeistert von der dramatischen Kraft, vor allem aber von der Sprache Schimmelpfennigs. Einen „großen Dichter, der über die Sprache Welten schafft und beim Zuhörer etwas auslöst“, nennt ihn Kosminski. Allerdings verlangt „Das schwarze Wasser“ dem Zuschauer auch eine gewisse Konzentration ab. Von zehn Personen ist in dem Stück die Rede, sechs Darsteller stehen in Mannheim auf der Bühne. Das ist möglich, weil immer nur indirekt über andere gesprochen wird. Dieses narrative Theater oder „Kopfkino“, wie Kosminski sagt, erlaubt es dem Autor, in kurzer Zeit große Zeitsprünge zu vollführen, Jahrzehnte in Momenten zusammenzudrängen und Problemkomplexe anzureißen, ohne dabei die Moralkeule zu schwingen. So entwirft „Das schwarze Wasser“ eine Utopie des Zusammenlebens in greifbarer Nähe und erzählt vom Scheitern und Verlust dieser Utopie.

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