Ludwigshafen Wollüstiger Faust

Inspirierend: der neue Blick auf Faust.
Inspirierend: der neue Blick auf Faust.

Die Legende von Doktor Faust wird hierzulande mit Goethes Drama assoziiert. Grüblerischer Tiefsinn ist gefragt. Die Oper, die der Franzose Charles Gounod aus dem Stoff gemacht hat, galt deutschen Kritikern als „zu leicht“, sie lief lange unter dem Titel „Margarete“. Das Pfalztheater Kaiserslautern hat das Werk neu inszeniert und im Pfalzbau als „Faust (Margarete)“ gespielt.

Die Inszenierung von Michael Sturm beruht auf der 1869 uraufgeführten Fassung der durchkomponierten Oper mit Text von Jules Barbier und Michel Carré. 1859 gab es eine Fassung mit gesprochenen Dialogen, die ein Flop war. Die eigentliche Handlung beginnt im Studierzimmer des alt gewordenen Doktors. Faust ist frustriert. Sein Leben lang hat er geforscht, doch dem Wesen der Natur ist er nicht näher gekommen. Er greift zu einem Gifttrunk, da hört er aus der Ferne einen Chor junger Leute. Sie enden ihren Gesang mit „gelobt sei Gott“ und das lässt Faust fluchen: „Dieser Gott, was vermag er für mein Glück? Gibt er mir Glauben, Lieb’ und Jugend je zurück?“ Auftritt Mephisto, der ihm Jugend und Lust bietet – für Fausts Seele. Von hier an entwickelt Gounods Oper einen anderen Schwerpunkt als Goethes Drama. Im weiteren Verlauf ist der Doktor eine getriebene Figur. Wie ein Süchtiger will er nur noch der Wollust frönen. Sehr anschaulich gemacht wird das durch Gustave Corbets Bild „Der Ursprung der Welt“, ein Blick auf die Vulva einer Frau, im Original 46 mal 55 Zentimeter groß, auf der Bühne etwa zwei auf drei Meter. Das Bild ist erst verhüllt. Siebel (anrührend dargestellt von Rosario Chávez), einer von Fausts Studenten und schüchtern und reinen Herzens in Margarete verliebt, kann nur mal durch den Vorhang spähen. Faust jedoch enthüllt sich der Weg zur Lust. Margarete wird das Ziel seiner Begierde. Eine der vielen interessanten Ideen der Inszenierung ist es, Margarete als mechanisches Geschöpf aus Mephistos Hand zu präsentieren. Sie bewegt sich ruckartig, ein Lederkorsett und -kappe wirken, als wollen sie Räder und Getriebe verbergen. Wirklich menschlich ist sie erst, als sie sich Faust hingegeben hat und der sie sitzenlässt. Margaretes Verzweiflung, ihre an Wahnsinn grenzende Angst, werden von Susanne Langbein eindringlich vermittelt. Margarete tötet ihr Kind und kommt ins Gefängnis. Faust schenkte Margarete ein Herz, um sie zu gewinnen – buchstäblich. Und es ist nicht mal sein eigenes Herz, sondern eines, mit dem Mephisto und seine dämonische Schar herumgespielt haben. Und so singt Susanne Langbein als Margarete die bekannte Juwelen-Arie auf das symbolträchtige Organ, nicht über Edelsteine. Der heimlich-unheimliche Held dieser Inszenierung ist Mephisto. Wieland Satter gibt dem Fürst der Finsternis eine großartige Präsenz. Bei Mephisto laufen alle Fäden zusammen, er bringt Geschehnisse in Gang. Bei der Ouvertüre werden die großartigen Illustrationen des Höllensturzes gezeigt, die Gustave Doré für John Miltons Epos „Paradise lost“ geschaffen hat. Und wir hören die Stimme von Hannelore Bähr, die aus Miltons Gedicht vorliest. Wir hören die Zweifel, die die Schlange (also Mephisto) sät. Warum nicht vom Baum der Erkenntnis kosten? Und zu Beginn des dritten Akts hören wir, wie Mephisto lieber in der Hölle herrschen, als im Himmel dienen will. Faust hat in Gounods Oper bald die Kontrolle verloren. Daniel Kim vermittelt in dieser Rolle sehr gut Getriebensein, Angst und späte Reue. Valentin, Margaretes Bruder, ist eigentlich Soldat. Er tritt hier im Kardinalspurpur auf. David Pichelmaier macht aus ihm eine starke Figur. Valentin ist die personifizierte Bigotterie, was sein Auftritt als Kirchenmann besonders deutlich macht: Eigentlich der Menschenliebe verpflichtet, kennt er keine Gnade mit seiner „gefallenen“ Schwester und verflucht sie bis zum letzten Atemzug. War in dieser Inszenierung vielleicht nicht Faust, sondern Mephisto der Forscher? Dass die Bühne sich immer wieder in einen Hörsaal und anatomisches Theater verwandelt, spricht dafür. Und Mephisto ist nicht nur Handelnder, sondern auch Beobachter – beide Positionen nimmt ein Forscher ein. Oliver Pols hat die Musik mit angemessener Dramatik umgesetzt, Orchester und Chor lassen keine Wünsche offen. Die Inszenierung hat eindrucksvolle Bilder geschaffen. Die Unterschiede zum klassischen „deutschen“ Faust sind gewollt. Der neue Blick auf den Stoff durch die Inszenierung von Gounods Oper ist anregend und inspirierend.

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