Ludwigshafen Ludwigshafener Migrantenpartei betont: „Sind kein verlängerter Arm Erdogans“

Murat Sezer (links) tritt für die Partei BIG zur Wahl in den Ludwigshafener Stadtrat an. Tahsin Özkan führt den Verband in der R
Murat Sezer (links) tritt für die Partei BIG zur Wahl in den Ludwigshafener Stadtrat an. Tahsin Özkan führt den Verband in der Region an. Beide glauben, dass die Partei den Sprung in den Stadtrat schaffen wird.

Zur Stadtratswahl am 26. Mai tritt in Ludwigshafen auch die Migrantenpartei BIG an, das Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit. Es wurde 2010 in Bonn gegründet und wird immer wieder mit dem türkischen Präsidenten in Verbindung gebracht. Ludwigshafener Kandidaten der Partei zeichnen hingegen ein völlig anderes Bild.

Murat Sezer ist seit 18 Jahren Ludwigshafener. Jetzt möchte er endlich auch die Politik in der Stadt mitbestimmen. Er tritt auf dem zweiten Platz in der Liste der Partei Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG) bei der Stadtratswahl am 26. Mai in Ludwigshafen an. Seine Motive, Politik zu gestalten, und seine Ziele erläutert der 46-Jährige im Gespräch mit der RHEINPFALZ. Sezer kam 1979 nach Deutschland, besuchte in Osnabrück (Niedersachsen) die Schule. 2001 zieht es ihn nach Ludwigshafen – er wohnt bis 2018 in Hemshof, bevor er sich ein Haus in Friesenheim kauft und umzieht. Er spielt lange mit dem Gedanken, aktiv in die Politik gehen. Die Schwierigkeiten, die er in seiner Kindheit und Jugend in Deutschland erlebt hat, sollen seine Kinder und Enkelkinder nicht durchmachen müssen, erläutert er seine Motivation. In der Ludwigshafener SPD nicht heimisch geworden Er versucht zunächst, in der SPD Politik zu machen, wird Mitglied der Sozialdemokraten in Ludwigshafen. Das war vor anderthalb Jahren. Er nimmt auch einmal an der Mitgliederversammlung der Partei teil. Doch schnell merkt er, dass er sich da nicht heimisch fühlt, wie er sagt. „Mir ist aufgefallen, dass die großen Parteien sich für uns nicht einsetzen, sondern unser Potenzial für mehr Stimmen nutzen wollen“, sagt er. Deshalb habe er schließlich zur BIG-Partei gefunden, da diese sich für die Rechte aller Menschen, egal aus welcher Nationalität, einsetze. Die 2010 in Bonn unter der Führung des türkischstämmigen Haluk Yildiz gegründete BIG-Partei bezeichnet er als eine ideologielose Partei, die sich für die Belange aller Migranten in Deutschland einsetze. Mittlerweile sei sie in 40 Städten in Deutschland organisiert, um in der lokalen Politik mitzumischen. Sie sei zwar von Muslimen gegründet worden, sei aber trotzdem keine muslimische Partei. „Wir sind keine rechte, keine linke, keine konservative oder religiöse Partei. Unser großes Ziel ist es, die Interessen der Menschen zu vertreten, und zwar von allen Menschen“, sagt er. Medienberichten, in denen die Partei mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und seiner Partei der AKP in Verbindung gebracht wird, widerspricht der Ludwigshafener Sezer entschieden. „Wir haben keine Beziehungen zur AKP“, sagt er. Und weiter: „Es kann natürlich sein, dass es in unserer Partei Menschen gibt, die für Erdogan sind. Wir können das nicht verbieten, das ist eine persönliche Meinung.“ Sezer erwartet, dass die Liste seiner Partei am 26. Mai in den Stadtrat gewählt wird. Er rechnet mit vier Mandaten. Nach der Wahl möchte er sich um hohe Mieten, die Hochstraßenverkehrsprobleme, um die Bildung und die Einhaltung von Mindestlöhnen kümmern. Auch möchte er Aktivitäten in der Stadt schaffen, die alle Menschen zusammenbringen. Er glaubt, dass Vorurteile ein großes Thema sind. Mannheimer, die sich nicht auf den Marktplatz trauen Ein Thema, das auch Tahsin Özkan umtreibt. Özkan sieht sich als Mannheimer. Hier ist er großgeworden, Mannheim sei seine Heimat, betont er. Der 44-Jährige, der in Friesenheim eine Fahrschule hat und auch seit einem halben Jahr in Ludwigshafen wohnt, gründete vor zwei Jahren den Ortsverband der BIG in Ludwigshafen und Mannheim. Er sagt, dass es trotz des multikulturellen Lebens immer noch Vorurteile gibt. In seinem Beruf als Fahrschullehrer begegne er vielen Menschen. „Ich habe viele Bürger kennengelernt, die sich nicht getraut haben, auf den Marktplatz in Mannheim zu gehen. Sie hielten das wohl für gefährlich. Ich kann das einfach nicht verstehen“, sagt er. Das Wort Integration kann Özkan nicht mehr hören. „Wir leben seit 50 Jahren hier und erfüllen alle Pflichten als Bürger von Deutschland. Die permanente Forderung nach Integration sollte nicht dazu dienen, unsere Identität aufzugeben. Wir wollen, dass wir so akzeptiert werden, wie wir sind, und nicht ignoriert werden. Wir haben zwei Zugehörigkeiten, wir sollten nicht zwischen beiden entscheiden müssen“, findet er. Debatte um Völkermord an Armeniern gibt den Anstoß Den Anstoß, warum er in die Politik ging, bildete die Diskussion 2015, als der Völkermord an den Armeniern zur Debatte stand in Deutschland, erklärt er. Damals ging es anlässlich des 100. Jahrestages des Genozids an den Armeniern 1915/16 im damaligen Osmanischen Reich darum, dass der Bundestag den Völkermord als solchen anerkennt. Dies wird von der Türkei jedoch scharf kritisiert. Özkan hat sich über die Bundestagsresolution so empört, dass er politisch aktiv wurde und zur BIG fand. „Ich empfand diese Diskussion als niederträchtig und das Verhalten der Abgeordneten als beschämend“, sagt er. Die BIG sei entstanden, als man gemerkt habe, dass die anderen Parteien nicht die Interessen der Türkischstämmigen vertreten, sondern einfach Migranten zu Wahlkampfzwecken genutzt hätten. Sowohl Sezer als auch Özkan sehen die Zukunft ihrer Partei optimistisch. Beide glauben, dass die BIG Potenzial für einen bundesweiten Erfolg habe – obwohl mittlerweile drei Migrantenparteien miteinander konkurrieren. Neben der BIG-Partei sind es die „Allianz Deutscher Demokraten“ (ADD) und die „Alternative für Migranten“. Laut türkischen Medien scheiterte 2017 der Fusionsversuch zwischen der BIG und der ADD, die nach Aufruf von Erdogan von der BIG angestoßen wurde. Für seine Partei hat Sezer konkrete Ziele vor Augen: „Ich wünsche mir für die Partei, dass sie in den Bundestag kommt und sich dort langfristig etabliert. Ich glaube, dass wir es in zehn bis 15 Jahren schaffen können“, sagt er. Und er fügt noch hinzu: „Wenn es die AfD schafft, dann schaffen wir es auch.“

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