Ludwigshafen In vielen Ämtern viel bewegt

„Viel Überzeugungsarbeit“: Jeanette Rott-Otte musste über den Namen ihres Ministeriums diskutieren.
»Viel Überzeugungsarbeit«: Jeanette Rott-Otte musste über den Namen ihres Ministeriums diskutieren.

Von der einen Seite ihres Wohnzimmers schaut Jeanette Rott-Otte auf die Bergstraße, von der anderen in Richtung Weinstraße. Sie liebt diese Blicke in die Ferne. Schon seit 1988 lebt sie im fünften Stock eines Hochhauses mitten in der Gartenstadt. „Als ich Ministerin wurde, habe ich oft gehört, ich würde jetzt bestimmt ausziehen“, sagt sie und scheint sich darüber auch nach Jahrzehnten noch zu wundern. „Aber warum soll eine Ministerin denn nicht in einem Hochhaus wohnen? Es ist doch wunderbar hier.“ Die Erwartungen anderer Menschen zu erfüllen – das ist wohl noch nie das vorrangige Ziel von Jeanette Rott-Otte gewesen. Sonst hätte sie nach der Geburt ihrer Tochter 1967 nicht weiter gearbeitet, und zwar als Chefsekretärin bei Giulini. „Ich dachte mir, ich möchte doch nicht umsonst zur Abendschule gegangen sein“, erinnert sie sich. In der Firma um eine Teilzeitstelle zu kämpfen, wegen der unzureichenden Öffnungszeiten des Kindergartens auf die Unterstützung durch die Mutter angewiesen zu sein – all das kennt Rott-Otte aus eigener Erfahrung. Jeanette Rott-Ottes politische Karriere begann mit dem Engagement im Kindergarten und später im Schulelternbeirat. 1976 trat sie – ohne Mitglied der Jusos gewesen zu sein – in die SPD ein. Sie führte damit eine Familientradition fort: Schon ihr Urgroßvater und ihr Großvater waren in der sozialdemokratischen Partei und in der Gewerkschaft aktiv gewesen. Ihr Großvater Adam Folz war 1906 Mitbegründer des SPD-Ortsvereins Maudach. Jeanette Rott-Otte ist ein halbes Jahr nach Kriegsende 1945 in Mutterstadt geboren, wo sie „mit zwei großen Brüdern und einer starken Mutter“, einer Kriegswitwe, bis 1957 lebte. Dann zogen sie nach Ludwigshafen, ins Westend, mitten in die immer noch vom Krieg gezeichnete Stadt. Nach der Mittleren Reife arbeitete Rott-Otte im Gesundheitsamt und dann bei der BASF. Bei Giulini, wo sie bis zum ersten Einzug in den Landtag 1987 beschäftigt bleiben sollte, war Rott-Otte von 1981 an auch Betriebsrätin. Bei Veranstaltungen, in Arbeitskreisen, als Vorstandsmitglied des SPD-Ortsvereins Gartenstadt (später führte sie ihn), in unzähligen Sitzungen hatte sie gelernt, zu reden, zu argumentieren, hatte ihr Selbstbewusstsein geschult. Sie war Vorsitzende und stellvertretende Landesvorsitzende der Frauengruppe des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) und ab 1987 Vorsitzende der SPD-Frauen im Bezirk Pfalz. Nur eins war sie nie: Mitglied des Ludwigshafener Stadtrats. „Ich stand einmal bei einer Wahl auf Platz 57 von 60“, erinnert sie sich an eine Nominierungskonferenz bei Stromausfall und Kerzenlicht. Als sie nach Mainz ging, sei ein Mandat im Stadtrat kein Thema mehr gewesen. Es war Rudolf Scharping, der Jeanette Rott-Otte 1991 zur ersten Frauenministerin des Landes Rheinland-Pfalz machte oder vielmehr zur Ministerin für die Gleichstellung von Frau und Mann, wie es korrekt hieß. Nicht nur um den Namen des Ministeriums hat es heftige Diskussionen gegeben. „Es war viel Überzeugungsarbeit zu leisten gewesen“, sagt die 72-Jährige. Auch wenn es manchen Rückschritt gegeben habe, sei sie doch froh, „dass ich etwas bewegen durfte für die Menschen“. Das Bewusstsein habe sich geändert. Weil ihr kleines Ministerium mit 48 Mitarbeitern immer Angriffen ausgesetzt gewesen sei, habe sich Kurt Beck nach der Übernahme des Ministerpräsidenten-Amtes 1994 entschlossen, es als Abteilung in ein größeres Ministerium einzugliedern. Jeanette Rott-Otte hatte die gleichen 48 Mitarbeiter wie vorher, saß aber nicht mehr als Ministerin am Kabinettstisch, sondern war Staatssekretärin. Nach zwei Jahren kehrte sie 1996 für eine weitere Legislaturperiode als Abgeordnete ins Parlament zurück. Aus dem Landtag und aus der Politik schied sie 2001 aus. Engagiert hat sie sich weiter: als Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes. Heute hat Jeanette Rott-Otte nur noch ein Amt: das der stellvertretenden Vorsitzenden der Vereinigung ehemaliger Abgeordneter des Landtags. Drei- bis viermal im Jahr treffen sich die früheren Mandatsträger, um sich zu einem Thema auszutauschen. Neues erfahren, Dinge kennenlernen – das motiviert Jeanette Rott-Otte auch dazu, philosophische und theologische Vorlesungen und Seminare an der Universität Mannheim zu besuchen. Privat musste und muss sie viel Leid verkraften. Ihre Tochter ist vor einigen Jahren gestorben, ihr Mann befindet sich seit Sommer 2017 im Wachkoma. Lieber als darüber zu sprechen, erzählt sie „Anekdötchen“ aus ihrem (frauen-)bewegten Leben. Zum Beispiel kann sie sich immer noch darüber amüsieren, dass die RHEINPFALZ den Artikel über ihre erste Nominierung als Landtagskandidatin mit der Überschrift „Gruppenbild mit Dame“ versah.

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