Ludwigshafen Grenzgänger zwischen den Kulturen

Eine zentrale Gestalt der Gegenwartmusik hat die Gesellschaft für Neue Musik Mannheim in einem Atelierprojekt vorgestellt: den japanischen Tonsetzer Toshio Hosokawa. Dessen Kompositionen kombinierte das Programm mit zwei Stücken Ysang Yuns, seines koreanischen Lehrers an der Universität der Künste in Berlin.

Vorab: Werke und Aufführungen standen im Zeichen außergewöhnlich hoher Ansprüche. Zu hören gab es an diesem anregenden Abend in den Reiss-Engelhorn-Museen Avantgarde-Musik von unverwechselbarem Profil, wobei das Schlussstück, Hosokawas „Stunden-Blumen“, ohne Zögern den Gipfelwerken der zeitgenössischen Komposition zugezählt werden darf. Der in Tokio lebende Toshio Hosokawa (mit zweitem Wohnsitz in Mainz) wird oft als Grenzgänger zwischen den Kulturen angesehen. In seinem Stil finden europäische Avantgarde und japanische Musik zu einer vielschichtigen, reizvollen Synthese. „Ich möchte“, so der Komponist, „meinen Wurzeln treu sein, in meinen Stücken die Essenz der japanischen Musik erfassen, was ohne Aneignung der europäischen Musikkultur nicht möglich wäre.“ In seiner Heimatstadt Hiroshima und in Tokio genoss Hosokawa freilich zuerst ausschließlich westliche Ausbildung. In Japan, sagt er, kenne das Publikum nur europäische Musik. „Ich musste nach Berlin kommen“, erzählt er, „um zu erfahren, dass es eine japanische Musik gibt – und dass sie sogar schön ist.“ Im Gegensatz zur linear gedachten, horizontal verlaufenden, architektonisch strukturierten europäischen Komposition, stellt Hosokawa fest, habe in der japanischen Musik der einzelne verklingende Ton Vorrang. Um dessen Lebendigkeit zu erfahren, brauche man aber die ebenso wichtigen Pausen. Klang und Stille alternierten unentwegt miteinander. „In Europa werden Kathedralen errichtet für die Ewigkeit, in der japanischen Musik findet dagegen Liebe zur Vergänglichkeit Ausdruck.“ Andererseits sei dort auch nicht alles gesagt, wie etwa bei Richard Strauss: „Unsere Musik ist verschwiegener als die europäische, wir möchten nicht alles erzählen. Europäer sind aktiver; wir sind passiver und leben in der Natur.“ Da schränkt Hosokawa allerdings gleich ein: Dass das Kernkraftwerk in Fukushima nicht endgültig abgestellt werden soll, gilt für ihn als Verbrechen gegen die Natur. „Ich würde fast sagen“, so der Komponist, „heute sind die Europäer der Natur mittlerweile näher als die Japaner.“ Verbrechen gegen Natur, Menschheit und Menschlichkeit im Zweiten Weltkrieg beklagte er in leidenschaftlich aufgewühlten Klängen in seinen beiden großen Oratorien: in „Voiceless Voice in Hiroshima“ die Atombomben auf seine Heimatstadt und Nagasaki, dem mehrere Mitglieder seiner Familie zum Opfer gefallen waren, und in „Sternlose Nacht“ den Bombenangriff auf Dresden. Für Januar 2016 plant zudem die Hamburgische Staatsoper die Uraufführung seiner Oper über Fukushima. Das Ereignis war also diesmal der Klang, und am Anfang und Ende stand die Stille: Diese Feststellung bietet sich als Fazit des Mannheimer Konzerts an. Alle Werke des Programms, die Klaviertrios von Hosokawa und Isang Yun, die beiden Klarinettensoli, Hosokawas „Edi“ und Yuns „Piri“, sowie die grandiosen „Stunden-Blumen“ exponierten den einzelnen, lang gehaltenen, mit ausgedehnten Pausen alternierenden Ton als bestimmenden Gegenstand der Komposition. Mit unerhört verfeinerter Sensibilität wurden die Klänge erforscht, wurde tief in sie hineingehört, bis in ihre letzten hauchzarten Schwingungen an der Grenze zum Verstummen. Zum Einsatz kamen dabei so gut wie sämtliche unkonventionellen Avantgarde-Praktiken der Tonerzeugung. So war Glissando (kontinuierlich gleitende Veränderung der Tonhöhen) obligatorischer Bestandteil aller Stücke, gab es Geräuschklänge verschiedener Arten, scharf angerissene Zupftöne, Flatterzunge, Tremoli jeder Art zu vernehmen. Auch wurde immer wieder das Klavierinnere bearbeitet. Es entstanden dabei Konstellationen von geradezu magischer Schönheit und subtile lyrische Stimmungsbilder. Prägend wirkte andererseits die Dramaturgie der Stille zur Stille, der Geburt des Tons aus dem Schweigen. Ein ganz eigenes Kapitel bildeten der phänomenale Farbenreichtum, die melodischen Gesten und überwältigende Dramatik der „Stunden-Blumen“, Hosokawas klingender Huldigung an Olivier Messiaens „Quatuor pour la Fin du Temps“. Mit durchweg bravourösen Aufführungen warteten Brigitte Erz (Violine), Ilona Kindt (Cello), Momo Kodama (Klavier) und Nikolaus Friedrich (Klarinette) auf.

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