Ludwigshafen Goethe am Brunnen

Im Kultursommer geschehen seltsame Dinge, gerne im Freien. Der bulgarische Laiendarsteller Limeik Topchi und der Ludwigshafener Kunstdilettant Bernhard Wadle-Rohe hatten sich im Wasser des Lutherbrunnes positioniert. Sie deklamierten eigene Texte und sangen bulgarische Volkslieder. Goethe kam auch noch dazu. Es sollte um „Heimat“ gehen. Erarbeitet hatte den Abend Regisseurin Lisa Masetti.

Etwa 15 Personen sitzen auf dem kniehohen Mäuerchen, das den Lutherbrunnen umgibt. Zwischen einer wasserspeienden Schweineschnauze und dem Schemel mit der Aufschrift „Doktor Martin Luther“ steht Bernhard Wadle-Rohe mit blauem Seidenschal, schwarzer Nickelbrille und spärlichem Zöpfchen. Eigentlich sei mit der Stadt vereinbart gewesen, dass der Brunnen für eine Stunde zu schweigen habe. Der zuständige Wasserabsteller habe aber seinen Dienst nicht getan, und so mussten die beiden Darsteller gegen die plätschernde und gurgelnde Wasserlebendigkeit ansprechen. Für das Publikum war das kein Problem. Man rückte nahe zusammen. Der Begriff „Heimat“, dieses „hochglanzposierende Unwort“, so Wadle-Rohe, sollte kritisch hinterfragt werden. Es begann Limeik Topchi, der bulgarische Elektrotechniker, der sich in Deutschland eine Karriere vom Küchenhelfer zum Amateurschauspieler erarbeitet hat. Er ist Leiter der internationalen Theatergruppe BIZIM und spielte gemeinsam mit Wadle-Rohe zuletzt in Hansgünther Heymes Inszenierung von Shakespeares „Sturm“ in der Mannheimer Neckarstadt. Nun sprach Topchi eigene biografische Texte. „Neun Höllenkreise“ nennt er den Zyklus aus neun Stationen, die sein Leben im Niedriglohn-Land Bulgarien kennzeichneten. Vom mageren Gehalt, das nicht reicht, um Strom und Versicherungen zu zahlen, ist die Rede. Von der „Korruption der Marodeure“, vom „Hunger, der schwindlig macht“, vom Teufelskreis, dass Arme arm bleiben, weil sie sich Schulen und Universitäten nicht leisten können. Bekleidet mit Latzhose und blauer Arbeiterjacke, auf der lockigen Mähne ein schwarzer Hut, dazu eine rotgemalte Nase und schwarze und weiße Augenringe, so trat Topchi vor sein Publikum. Er ist Arbeiter und Clown und doch auch als Person biografisch greifbar. Eher sachlich listete Topchi die Missstände Bulgariens auf, seiner Liebe zu dem Land, das er verlassen hat, gab er Ausdruck mit einem Volkslied. Leidenschaftlich sang Topchi, die Augen geschlossen, den Arm zum Himmel erhoben. „Ich habe meine Hoffnungen und einige Erinnerungen mitgenommen und jetzt stehe ich hier. Was sagen Sie dazu?“ endete er und erntet Applaus. Dann deklamierte Wadle-Rohe seine Liebeserklärung an Ludwigshafen, beklagte das Fehlen von Freiheitskämpfern wie Rudi Dutschke und wirkte mit seiner 68er-Polit-Dichtung um die „Alptraummetropole in Minderheitenhand“ etwas aus der Zeit gefallen. Beide Männer sangen noch gemeinsam ein bulgarisches Lied und mit Hilfe des Publikums schafften sie auch Goethes „Zauberlehrling“ mit anthroposophisch wirkenden Gesangseinlagen, bevor der Abend am Brunnen in ein gemeinsames Erzählen, Singen und Zitieren mit dem Publikum überging.

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