Ludwigshafen Eine Hommage an das Buch und das Lesen

Mit „Here & Now“ hat das TiG7 ein kleines feines Festival geschaffen, das nun schon zum 5. Mal Avantgardetheater in englischer Sprache nach Mannheim bringt. Die Einladungen freier Theatergruppen aus Großbritannien und USA gehen auf persönliche Begegnungen zurück. Das Festival startete mit „Borges and I“ von Idle Motion aus Oxford, einer hochästhetischen, ambitionierten Hommage an Jorge Luis Borges.

Von dem argentinischen Autor ist in Deutschland kaum mehr als der Name bekannt, der allenfalls von Insidern mit den literarischen Begriffen „magischer Realismus“ und „Poststrukturalismus“ in Zusammenhang gebracht wird. Borges hat kurze Texte geschrieben: Gedichte, Erzählungen, Essays. Was darin Realität ist und was Fiktion, lässt sich oft nicht auseinanderhalten. In Großbritannien ist der in Philosophie und Literatur universal gebildete Autor vermutlich etwas populärer, da er eine enge Beziehung zur britischen Literatur hatte. „Borges and I“ in der Regie Paul Slaters folgt unter Verwendung von Zitaten und biographischen Details Borges’ Struktur, die Ebenen so zu verschränken, dass eindeutige Zuordnungen nicht möglich sind. Die Gruppe aus vier Darstellerinnen und zwei Darstellern spricht und agiert so vorzüglich, wie es Theater verlangt. Sie setzt choreographische Elemente ästhetisch abstrahiert ein und lässt dabei bildkünstlerische Szenerien aus Papieren und Büchern entstehen. Aus einem Schirm fällt ein Regen von Papierschnitzeln. Aufgeschlagene Bücher fügen sich zur Form eines Flugzeugs. Aus Büchern werden Stege und Ringe gebaut. Es sind ehrwürdige, altmodische Bücher. Mehr noch als eine Hommage an einen spezifischen Autor, ist das Stück eine Hommage an das Buch und das Lesen. Borges war auch Direktor der argentinischen Nationalbibliothek. Mit der Bibliothek als Hort kulturellen Wissens beginnt und endet das Stück. Hier trifft sich ein spießiger Lesezirkel, dessen Attitüden viel Heiterkeit hervorrufen. Die Charaktere sind von dem jungen Ensemble farbig besetzt. Es gibt die Autoritäre, die aufruft und abtadelt. Sie ragt durch Körpergröße und strenge Miene heraus. Die Sachliche und die Eifrige wirken neben ihr in den Hintergrund gedrängt. Die Naive unterstreicht ihren klischeehaften Diskussionsbeitrag durch expressives Mienenspiel. Von den Männern ist der eine ein Mitläufer, der brav liest und diskutiert, der andere ein Querläufer, der das falsche Buch gelesen hat. Die Naive und der Mitläufer verlieben sich, echt englisch unter dem Regenschirm. Der Lesezirkel wird für sie zusehends unwichtiger. Aber wenn sie auseinanderdriften, geschieht das im Streit über ihre und seine Bücher, die im gemeinsamen Regal zusammenwachsen sollen. Fiction und Nonfiction sind seine Kategorien, ihre eher mein und dein. Nonfiction und Fiction sind sachliche englische Unterscheidungen, die Borges nicht gemacht hat. Er bewegte sich zwischen den philosophischen Begriffen Realität und Surrealität, die für ihn austauschbar waren. In der Inszenierung werden Jacken herumgereicht, um Identitäten zu wechseln. Eine weit schlotternde bekommt der Darsteller des am Stock gehenden Borges. Als er die Direktion der Nationalbibliothek übernahm, war er 56 Jahre alt und schon eine Weile erblindet. Im Stück sitzt die Naive bei der Augenärztin und erfährt, dass sie erblinden wird. Altmodisches Bücherlesen setzt dem Leser keine fertigen Bilder vor, wie die neuen Medien. Es lädt ihn ein, sich aus dem Gelesenen eigene Bilder zu machen. Analog verfährt „Borges and I“, indem es Puzzleteile aus Werk und Leben des Autors mit gegenwärtigen Biographien verquickt.

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