Ludwigshafen Bruderzwist in Zeiten des Terrors

Die syrischen Flüchtlinge – hier Ammar Alsaied – bescheren den Frankenthalern einen Theaterabend, der lange nachwirkt.
Die syrischen Flüchtlinge – hier Ammar Alsaied – bescheren den Frankenthalern einen Theaterabend, der lange nachwirkt.

„Wir sind Verbrecher“. Mit diesem Drama, das an Friedrich Schillers „Die Räuber“ angelehnt ist, bewies das Theater Alte Werkstatt in Frankenthal eindrucksvoll, dass deutsche Klassiker nach wie vor ihre Berechtigung auf dem Spielplan haben. Zehn junge Syrer übertrugen Schillers Gedanken in die heutige Zeit und erzählten vor ausverkauftem Haus eine Geschichte über die Suche nach der eigenen Identität.

Selbst für Muttersprachler sind „Die Räuber“ von Friedrich Schiller alles andere als leichte Kost. Um ihnen für ihre eigene Version den sprachlichen Zugang zu erleichtern, bot Jürgen Hellmann, der Leiter des Theaters Alte Werkstatt, den erst seit 2015 in Deutschland lebenden Darstellern eine sprachliche Vereinfachung an. Mit seiner Idee, eine Art barrierefreien Klassiker zu inszenieren, stieß Hellmann bei den jungen Syrern jedoch auf taube Ohren. „In Schillers Sprache gibt es etwas Schönes und damit wollten wir das Publikum auch ansprechen“, erzählt Ammar Alsaied nach der gelungenen Premiere. Entstanden ist so ein Theaterstück, das inhaltlich nah an den Originalvorgaben bleibt und vor allem in seiner Intensität berührt. „Wir sind Verbrecher“ legt die Spannungsfelder offen, in denen die Hauptakteure ihre Bedürfnisse formulieren, ihre Grenzen erfahren und mit den Folgen ihres Handelns konfrontiert werden. Da gibt es zum einen den reichen Unternehmer Alsaied, dessen zwei Söhne vom Leben mit sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen bedacht wurden. Während der erstgeborene Sohn Rageb mit der wunderschönen Nariman verlobt ist und zum Studieren die Heimat verlässt, hadert der jüngere Bruder Zed mit seiner Rolle als Zweitgeborenem und wird vom Neid zerfressen. Gleich zu Beginn steht Zed alleine im Scheinwerferlicht und fragt sich: „Muss ich ihnen gute Worte geben?“ Vater und Bruder zu ehren, das sind Normen und Ausprägungen einer Hierarchie, gegen die sich Zed mit aller Gewalt auflehnt. Er wird den Bruder beim Vater als Mörder und Vergewaltiger denunzieren und dazu beitragen, dass der Erstgeborene verbannt und enterbt wird. Besonders eindrucksvoll an der Darstellung des herrschsüchtigen Zeds sind seine Sprechszenen, in denen er hoch oben auf einem Container steht. Der von Ensemblemitglied Werner Metzler gebaute Container ist eine Holzkonstruktion. Auf der einen Seite ist er mit Blechwänden beschlagen, kann durch eine Drehung aber auch in die vornehmen Räume der Unternehmerfamilie verwandelt werden. Mit Hilfe des Bühnenbilds wechseln sich so Tristesse und Hoffnungslosigkeit immer wieder mit der Atmosphäre einer vermeintlichen Geborgenheit und Zugehörigkeit ab. Ein Sinnbild dafür, wie schnell Grenzen verschwimmen und eigene Handlungsspielräume sich ändern können. Rageb erlebt dies am eigenen Leib. Vom Vater fallen gelassen, gründet er mit seinen Freunden eine Räuberbande, die zunächst noch einem Gerechtigkeitsideal à la Robin Hood folgt, sich doch schon bald als nichts anderes als eine terroristische Vereinigung entpuppt. „Verbrecher zu sein, ist besser als bei Wasser und Brot im Keller des Vaters zu sitzen“, sagt Rageb zu seinen Beweggründen. Den Kampf um Anerkennung, die Suche nach der eigenen Identität und die Wirkungsmacht geplatzter Träume mit dem gleichzeitigen Abrücken von gesellschaftlichen oder familiären Werten und Regeln werden von den jungen Syrern hervorragend dargestellt. Auf absolut beeindruckende Weise haben Mohammed Jlelaty, Mohammad Alhusain, Ammar Alsaied, Houda Ben Rhaim, Khaled Daoud, Nour Abido, Haydar Alhassan, Samer Alkadi, Ahmad Jlelaty und Yaser Alsalkini sich den phonetischen Herausforderungen der deutschen Sprache gestellt und schufen einen Theaterabend, der lange nachwirkt. Am Ende des Dramas haben alle verloren: Zed bringt sich um, auch weil er nie die Liebe der Verlobten seines Bruders gewinnen konnte. Rageb tötet die schöne Nariman und wird zu dem Mörder, den Zed mit seiner Verleumdung bereits heraufbeschworen hatte. Und auch der Vater stirbt. Am Wissen, dass ein Sohn bereits tot ist und der andere seiner Verlobten das Leben nimmt, zerbricht er.

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