Ludwigshafen Alle unter einem Dach

Bevor man auf andere schaut, sollte man wissen, wo man eigentlich selbst – inzwischen – zu Hause ist. Ich bin nämlich kein Hemshöfer von Geburt, ich bin Migrant. Wie so viele andere in dem Stadtteil auch. Aus dem Westerwald mit dem Umweg Heidelberg hierhergekommen, vor gut elf Jahren. Wohnhaft in der Hohenzollernstraße, auf jeden Fall in dem Teil, der nicht zu Friesenheim gehört. Aber ist das noch Hemshof? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage findet sich auch im Stadtarchiv nicht. „Am südlichen Rand davon, ist sicher nicht verkehrt“, meint Archivleiter Stefan Mörz. Also: Ich wohne am südlichen Rand des Hemshofs – auf der gegenüberliegenden Straßenseite erstreckt sich der Marienpark. Der, ist der „Ludwigshafener Stadtgeschichte“ zu entnehmen, hat eine eher unrühmliche Entstehungsgeschichte. Ende der 1930er-Jahre war das heute grüne Gelände als „Aufmarschfeld“ für Paraden der Nazis angelegt worden. Auch die Häuser stammen aus dieser Zeit kurz vor, beziehungsweise kurz nach Kriegsbeginn. Laut Mörz haben Privatleute die Gebäude errichtet, nach bestimmten Vorgaben vom Staat und von diesem finanziell unterstützt. Heute gehen Hundehalter mit ihren Tieren im Marienpark spazieren, im Sommer sitzen Anwohner im Gras und in der Sonne, und ein Hobby-Golfer übt oft stundenlang den perfekten Abschlag. Auch nachts ist dort, hinter den Büschen, die den Park zur Straße hin begrenzen, nicht selten einiges los – man guckt dann aber lieber nicht so genau hin. Schöner ist sowieso der Blick vom kleinen Balkon gen Norden. Da erstreckt sich in der Tat ein kleines, grünes Paradies inmitten des Wohnquadrats Hohenzollern-, Bessemer-, Carl-Friedrich-Gauß- und Schanzstraße. Mehr oder weniger das ganze Jahr über tummelt sich hier – außer den Bewohnern – allerlei Getier, das man in der Stadt nicht unbedingt vermuten würde: Eichhörnchen etwa oder Igel, und hin und wieder kommt auch ein Buntspecht zu Besuch. Diese Begrünung war eine der Zielsetzungen der Hemshof-Sanierung, die Anfang der 1970er-Jahre begann und voraussichtlich in diesem Jahr mit Schließung der Sanierungssatzung ihren förmlichen Abschluss findet. Kleine Betriebe, Schuppen und Garagen wurden über die Jahre entfernt, die Hinterhöfe entrümpelt, Bäume und Sträucher gepflanzt. Anwohner fanden zurück zum Ackerbau, wenn auch nur in Form von Erdbeer- oder Tomatenzucht. „Wenn man von oben auf den Hemshof schaut, sieht man erst, wie grün der Stadtteil tatsächlich geworden ist“, sagt Georg Heinrich von der Ludwigshafener Stadterneuerung. Aber nicht nur grüner. Auch die Häuser und Wohnungen wurden herausgeputzt, die Fassaden, die heruntergekommen und verrußt waren, wieder aufpoliert, die Haustechnik auf einen modernen Stand gebracht. 60 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln sind laut Heinrich in den gut 40 Jahren in die Hemshof-Sanierung geflossen, und ein Vielfaches mehr noch mal aus privater Hand. Man kann das sehen, wenn man durch die Straßen des Viertels schlendert und dabei genauer hinschaut. Andreas Bold und Barbara Fischer leben mit ihren drei Kindern in solch einem alten, denkmalgeschützten Haus in der Prinzregentenstraße, der Flaniermeile des Viertels. Dass das Sandsteingebäude im Hemshof steht, der ob seiner Vergangenheit und auch wegen seiner heutigen sozialen Struktur nicht unbedingt als beste Wohnlage gilt, störe sie in keiner Weise. „Wir fühlen uns hier sicher“, sagen Bold und Fischer. Schließlich seien immer genügend Leute auf der Straße, auch spät abends. „Angst muss man doch eher in ruhigeren Gegenden haben, wo nachts eigentlich niemand unterwegs ist“, meint der Familienvater. Das Leben pulsiert im Hemshof aber auch bei Licht gesehen, in Lebensmittel-, Obst- und Gemüseläden, dass ein Thilo Sarrazin seine helle Freude hätte, in Kneipen, Cafés und Geschenkeläden, deren Auslagen deutlich machen, dass Geschmäcker nicht nur verschieden sein können, sondern von Kultur zu Kultur tatsächlich auch sind. Natürlich will ich im „Vielvölkerviertel“ auch mit einem Türken, die hier doch quasi aus dem Boden sprießen, sprechen. Vor einem Lebensmittelladen in der Rohrlachstraße kommt mir ein mutmaßlicher Kandidat entgegen, er lächelt milde, als ich ihn frage, ob er türkischer Herkunft sei. Kamaran Raza sei sein Name, sagt er, 48 Jahre alt und Kurde aus dem Irak. Raza lebt seit den 1990er-Jahren hier, seit 2001 habe er, der einstige Asylbewerber, einen deutschen Pass. Nächste Anlaufstelle ist ein Lebensmittelgeschäft in der Von-der-Tann-Straße, das dort seit mehr als 30 Jahren die Anwohner versorgt. Der Inhaber, Türke? Josef Awwad, 45, schaut mich pädagogisch wertvoll an. „Wir sind Palästinenser“, sagt er dann. Mit „Wir“ meint er sich und seine Frau Victoria. Durch die Hartmannstraße gehe ich zurück, ich weiß, wo ich meinen Türken finde. Ali Günes, 41, hat noch eine Jeans von mir und eine Änderungsschneiderei in der Rohrlachstraße, zwei Häuser neben dem Kult-Lokal „Maffenbeier“. „Woran erkennt man einen Türken?“, wiederholt Günes meine Frage. „Ich kann das“, betont er. „Aber Sie?“ Und nutzt dann die Gelegenheit, um noch zu beklagen, dass ihn am Hemshof der viele Müll und Dreck störe. „Und niemand kümmert das.“ Er habe schon in Paris und in Wien gelebt. „Da“, sagt Günes, „habe ich so etwas nicht erlebt.“

x