Kreis Südwestpfalz Sommerfrischler auf Strohsäcken

WALLHALBEN/MASSWEILER. Renate Brenner tauschte vor 60 Jahren unfreiwillig ihre thüringische Heimat gegen einen bewegten Lebensabschnitt auf der Kneispermühle im Wallhalbtal. Im winterlichen Februar 1953 wanderte sie mit ihren Eltern Helmut und Katharina Schröter aus Ostdeutschland aus. Noch vor der völligen Abriegelung durch Stacheldrahtzäune und Minenfelder flüchteten in dieser Zeit viele Bauernfamilien von ihren Hofgütern aus der ehemaligen DDR, da die Enteignung durch die sozialistische Staatsmacht begann.

Niemand konnte ahnen, dass die Kneispermühle für die kommenden 60. Jahre zum neuen Lebensmittelpunkt werden sollte. Dem Vater drohten als sogenanntem Großgrundbesitzer mit über 50 Hektar Ackerland Probleme durch die staatliche Ordnung. Im Februar lüftete die Mutter das lange gehütete Geheimnis, dass Renate Brenner zusammen mit ihren beiden Geschwistern aus ihrem Dorf Großbrembach bei Weimar flüchten müssen. Die Eltern wussten keinen anderen Ausweg, um sich und ihre Kinder Adelheid, Bärbel und Renate in Sicherheit zu bringen. Es war eine Flucht ohne Hab und Gut, denn fast nur was jeder auf dem Leib trug, konnte mitgenommen werden. Es begann ein Spießrutenlauf über Berlin nach Westdeutschland. Mit einem amerikanischen Flugzeug flogen sie in die Freiheit. Vor dem Abflug habe der Vater geschworen, dass er aus diesem Flugzeug nicht aussteigen werde, wenn es notlanden müsste. Die Angst vor der Bestrafung durch die Staatsmacht sei beim Vater riesig gewesen, berichtet Renate Brenner. Aus diesem Grund hat er auch keinen Einreisantrag in die DDR gestellt, als 1959 seine einzige Schwester starb, obwohl es für ihn unendlich schmerzvoll war, dass er ihr nicht die letzte Ehre erweisen konnte. Im Grenzdurchgangslager Friedland erfolgte die offizielle Registrierung als Flüchtling, obwohl man eigentlich deutscher Staatsbürger war. Eine Formalität, die später noch ihren Zweck erfüllt, erzählt die Mühlenwirtin. Es folgten weitere Stationen quer durch Deutschland, bis schließlich die Pfalz zur Ersatzheimat wurde. Eine ruhelose Wanderschaft, erinnert sich Renate Brenner, denn wo die Flüchtlingsfamilien auftauchten, da waren sie weitgehend unbeliebte Gäste, da sie Hilfe und Unterstützung benötigten. In einem Nachkriegsdeutschland, wo es an vielen Dingen noch mangelte, da war Teilen nicht einfach. Die Pfalz war eine Empfehlung eines Freundes ihres Vaters. Der Freund bezweifelte jedoch, dass man auf dem Mühlengut mit Landwirtschaft und Gaststube eine fünfköpfige Familie ernähren könne, erzählt Renate Brenner lächelnd. Die Mühle von Georg und Frieda Lenhard aus Hermersberg war zu jener Zeit an die Eltern des späteren Bürgermeisters und Müllermeisters auf der Würschhauser Mühle, Willi Hamm aus Winterbach, verpachtet. Die Familie Schröter pachtete die Kneispermühle ebenfalls, um sie 1957 schließlich zu kaufen, da es ein Darlehen der Siedlungsgesellschaft gab, was langfristig abbezahlt werden konnte. Für diese Darlehensgewährung war die Flüchtlingseigenschaft zwingend. „Es war eine gute Entscheidung, denn der Weg zurück nach Thüringen war verbaut“, sagt die Mühlenwirtin. Auf der Kneispermühle heimisch zu werden bedeutete auch, mit der Pfälzer Lebensart und dem dörflichen Brauchtum vertraut zu werden. Bei der ersten Kerwe auf der Kneispermühle im Sommer 1954 gab es Unterstützung von den ersten Freunden aus der Umgebung des Mühlentales. Unverzichtbar seien die Ratschläge der Familien Utzinger, Müller, Salzmann, Ludes und Peifer aus Herschberg und Schmitshausen gewesen. Der Brauch mit dem Kerwestrauß und seinen bunten Bändern wurde übernommen, damit dieses beliebte Fest im Zweibrücker Land auch auf der Kneispermühle großen Zuspruch finden konnte. Tanzmusik gab es auf dem Tanzboden vorm Wasserhaus, wo einst Kapellmeister Manfred Zimmer aus Schmitshausen für Stimmungsmusik sorgte. Die Pfälzer Küche mit ihren Spezialitäten musste erlernt werden, denn sie war der Schlüssel für die vielen Stammgäste bis in die heutige Zeit. „Bratwurst, Blut- und Leberwurst, Leberknödel und Sauerkraut waren die Lieblingsgerichte der Ausflügler aus der Region, dem Saarland und dem Ruhrpott“, sagt die Mühlenwirtin mit Blick in die Jugendzeit. Hinzu kam weißer Käse auf würzigem Mühlenbrot aus Wallhalben. Diese bodenständige Küche treffe noch heute den Geschmack der Wandergäste und Urlauber. Nicht wegzudenken ist auf der Kneispermühle das heute jeden Donnerstag stattfindende Schlachtfest. Seit 1953 hat der Schlachttag auf der Mühle Tradition, denn bereits im Dezember 1953 gab es das erste Schlachtfest. In diesen Anfangsjahren hat es im Monat nur einen Schlachtfesttag gegeben, erzählt Brenner. Gut vier Jahrzehnte hindurch wurden die Schweine für das Schlachtfest am Mittwoch im Hof der Mühle geschlachtet. Im Arbeitsvertrag des Wassermeisters des Wasserversorgungsverbandes Schmitshausen, Hans Redinger aus Maßweiler, war niedergeschrieben, dass er immer fünf Stunden freihat, um den Metzger Hermann Kiefer aus Herschberg beim Schlachten am Mittwoch tatkräftig zu unterstützen. Im Mühlental war gegenseitige Hilfsbereitschaft eine Selbstverständlichkeit, erinnert sich Wassermeister Hans Redinger, der diese Einmaligkeit seines Arbeitsvertrages gerne einhielt. Der Zusammenhalt war zu jener Zeit eine Besonderheit, was das Leben auf der Mühle erleichterte, fand auch die Mutter von Renate Brenner. Katharina Schröter durfte mit über 90 Lebensjahren noch die Biergarten-Atmosphäre in ihrer pfälzischen Wahlheimat genießen. Längst hat Renate Brenner mit dem plätschernden Mühlenbach und der Stille im Talgrund Freundschaft geschlossen. Mit Christine, Martin, Andreas und Beate hat sie gleich vier Kinder auf dem Mühlengut großgezogen und dazu noch jeden Tag eines der bekanntesten Ausflugslokale im Pfälzer Mühlenland in Schwung gehalten. Die Kneispermühle ist zu ihrem Lebenswerk geworden, das sie bereits an die Tochter Beate und Enkel David weitergegeben hat. Beate Hartmann mag nicht in die Ferne schauen, ob der Sohn, der aufs Gymnasium in Zweibrücken geht, die Mühlengaststätte in der dann vierten Generation weiterführen wird. Wer die ersten zarten Spuren des Tourismus im Mühlental aufspüren möchte, wird auf der Kneispermühle fündig. Im Sommer 1954 hat eine holländische Mutter mit ihren beiden Söhnen völlig unerwartet die Weichen für das Mühlengut gestellt. In Winterbach hätten die radelnden Abenteurer nach einem Bett zum Übernachten gefragt. Auf der Kneispermühle sollten sie es einmal versuchen, ob sie dort schlafen könnten. Aus Mitleid mit der ermüdeten holländischen Familie richtete die Mutter ein Zimmer zur Übernachtung her. Dies war die Geburtsstunde für die spätere Erweiterung der Mühlengaststätte um das Übernachtungsangebot für Sommerfrischler, so nannte man die ersten saarländischen Gäste aus den Dörfern der Kohlegruben. Die erste Urlauberfamilie machte deutlich, dass neben Bettzeug vor allem auch Geschirr und Bestecke fehlten, um Gäste gut zu umsorgen. Geschlafen wurde noch auf Strohsäcken, denn erst nach und nach hat man von den Gänsen und Enten die Federn genutzt, um einen gesünderen Schlaf zu genießen. Es gab 1954 nur fünf Essbestecke und Teller auf der Mühle, da nicht mehr benötigt wurde. Die Kinder mussten noch zu Fuß in die Volksschule nach Herschberg laufen. Bis die Mühle auf Asphaltstraßen erreicht werden konnte, bedurfte es ebenfalls Geduld. Erst vor rund 70 Jahren erreichte das elektrische Licht die Kneispermühle, da gehörte das Mühlengut noch der Familie Lenhard. Nach den ersten holländischen Gästen kamen in den vergangenen Jahren Urlauber aus allen Teilen Deutschlands. Besondere Gäste an die man sich auf der Mühle gerne erinnert, waren Fußballer des 1. FCK – Ronnie Hellström, Roland Sandberg, Torbjörn Nilsson, Hans-Peter Briegel und Olaf Marschall –, außerdem Bundesumweltminister Klaus Töpfer mit seiner Familie, der legendäre Kammersänger Rudolf Schock und die Band Boney M. Einen Ehrenplatz haben jedoch die beiden Besuche von Gräfin Sonja Bernadotte von der Mainau im Bodensee und später des Sohnes Björn Bernadotte mit seiner heutigen Frau Sandra Bernadotte zur Einweihung des Gräfin-Sonja-Bernadotte-Weges.

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