Kreis Kusel „15 bis 20 Wege führen zu völlig neuen Resultaten“

35 Sänger und Chorleiter treffen sich ab morgen im zweiten „Classic Camp“ der Fritz-Wunderlich-Gesellschaft auf Burg Lichtenberg. Es steht unter dem Motto „Erlebnis-Singen“. Das Dozententeam bilden der Bezirkskantor und stellvertretende Vorsitzende der Fritz-Wunderlich- Gesellschaft, Roland Lißmann aus Offenbach-Hundheim und die Musikantenland-Preisträger Roland Vanecek und Leonhard Paul; die Leitung hat der schwedische Arrangeur und Chorleiter Gunnar Eriksson (78), der dank seiner improvisatorischen Arbeit in Europa als Erneuerer der Chormusik gefeiert wird. Auch Erikssons Sohn Mats, ein Jazz-Gitarrist, nimmt teil. Welche Wege er geht, damit Teilnehmer jeder Ausbildungsstufe während des fünftägigen Camps die eigene Stimme neu entdecken können, erzählt Eriksson im Interview mit Klaudia Gilcher. Kurzentschlossene können als Tagesgäste noch am Camp teilnehmen.

Roland Lißmann nennt Sie einen „maßgeblichen Erneuerer der Chormusik“. Was ist denn so erfrischend anders an Ihrem Ansatz?

Schwer zu sagen. Ich nähere mich der Chormusik eigentlich nur so, wie ich es immer schon getan habe. Das heißt, so wie in meiner Kindheit und in meiner Jugend. Ich lernte Notenlesen recht spät, mit 16 oder 17. Aber solange ich denken kann, habe ich schon meine Ohren genutzt, um zu erkennen, was Musik ist. In meiner Arbeit mit Chören habe ich gemerkt, dass es ein sehr langer Prozess ist, wenn all die Symbole und Noten durchs Gehirn gehen müssen, bevor die Musik aus dem Mund wieder rauskommt. Deshalb habe ich etwa 1960 ziemlich radikale Reflexionen begonnen, um zu erkunden, was mit Chören ohne Notenblätter möglich ist. Ich zitiere noch einmal Roland Lißmann: Er sagt, Sie seien berühmt für Ihre Improvisationen. Das Wort benutze ich selbst nicht gern. Improvisation ist sehr schwer, auch wenn wir in unserer Kommunikation eigentlich ständig am Improvisieren sind. Zwischen zwei Musikern ist es noch einfach, die können sich ansehen und aufeinander eingehen. Bei Dreien wird es schon schwierig und bei 30 Sängern wird es sehr kompliziert. Ich denke lieber an spielende Kinder: Das Spiel braucht ein paar Regeln, sonst wird es chaotisch. Wenn wir nur improvisieren würden, wäre das Ergebnis banal – man bekommt nur, was man schon gehört hat. Wenn wir aber innerhalb der Regeln improvisieren, erhalten wir vielleicht im Augenblick wirklich neue Musik, die noch niemand zuvor gehört hat. Können sie ein Beispiel für eine solche Regel nennen? Beispielsweise arbeite ich mit verschiedenen Tempi. Ich gebe, sagen wir, drei vor, die nicht improvisatorisch, sondern exakt gesungen werden. Das ist sehr schwierig, wenn es vom Blatt gesungen werden soll, aber wenn es über das Gehör erarbeitet wird und mit rhythmischen Klatschen, dann ist es sehr viel einfacher. Ich habe vor, während des Classic Camps 15 bis 20 Wege aufzuzeigen, mit denen Chöre ein einfaches Kinder- oder Volkslied zu völlig neuen Resultaten bringen können. Lassen sich Amateursänger gerne auf solche Neuerungen ein? Ich denke, die sind alle wie ich. Ich kann nicht tanzen. Wenn Sie zu mir sagen, „komm, tanz“, dann würde ich lieber sterben. Aber wenn Sie sagen, „erst den rechten Fuß nach rechts, dann den linken vor“, dann ist es besser. So wären auch Sänger ängstlich und verloren, wenn ich sagen würde, lasst Eurer Fantasie freien Lauf. Aber mit der Struktur durch die Regeln fühlen sie sich sicher. Das ist bei Amateursängern, die nicht gut Noten lesen können, vielleicht sogar einfacher als bei Musiklehrern oder Profisängern. Die haben eine starke Tendenz, von Anfang an zu analysieren, was sie tun. Das kann den kreativen Prozess stoppen. Was hat Sie am Classic Camp gereizt? Dass es um einen Prozess geht, bei dem nicht, sagen wir, ein ums andere Mal Brahms wiederholt wird. Das kann ich auch, aber mir ist wichtig, Musik nicht in einem Wettbewerb, sondern als Teil echter menschlicher Kommunikation zu erleben. Ist es möglich, mit Musik unsere Herzen so zu öffnen, dass wir über unser Leben kommunizieren können? Das Camp wird von der Fritz Wunderlich-Gesellschaft veranstaltet. Was kommt Ihnen in den Kopf, wenn Sie diesen Namen hören? Ich kenne nur seinen Namen. Oper und romantisches Lied als klassischer Solo-Gesang waren nie mein Weg zur Musik. Nur ein sehr berühmter Name von daher. (kgi)

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