Kusel Warum bei einem großen Prozess Vorwürfe entfallen

Dass das Urteil „schuldig“ lauten wird, daran zweifelt niemand. Auch dass es mit einer Geldstrafe sein Bewenden haben könnte, ist nicht zu erwarten. Wenn heute um 11.30 Uhr im Justizzentrum in Kaiserslautern das Urteil verkündet wird, ist nur eines offen: Muss die ehemalige Mitarbeitern der Lebenshilfe Kusel hinter Gitter? Oder kommt die 53-Jährige doch noch mit einer Bewährungsstrafe davon? Ein Vierteljahr nach Eröffnung der Hauptverhandlung endet heute der Untreue-Prozess. Die RHEINPFALZ beantwortet vor der Urteilsverkündung eine von Reihe Fragen rund um den Strafprozess.

Die Angeklagte lebt im Landkreis Kusel, Tatort war Kusel, in Kusel ist ein Amtsgericht ansässig. Warum wird in Kaiserslautern verhandelt?

Die Zuständigkeit des Gerichts ergibt sich aus dem zu erwartenden Strafrahmen. Grundsätzlich werden Strafsachen am Amtsgericht verhandelt, wenn das mögliche Strafmaß vier Jahre nicht übersteigt. Droht bei schweren Vergehen oder gar Verbrechen eine Strafe von vier Jahren Freiheitsentzug und mehr, so ist in erster Instanz das Landgericht gefordert. Am Amtsgericht Kusel ist aber nur ein Einzelrichter tätig. Der darf allein nur Geldstrafen sowie Freiheitsstrafen bis höchstens zwei Jahre verhängen. Anders als in Kusel gibt es am Kaiserslauterer Amtsgericht ein Schöffengericht – bestehend aus einem Berufs- und zwei Laienrichtern (Schöffen). Diese Besetzung kann den Strafrahmen bis zu vier Jahren ausschöpfen. Weil die Staatsanwaltschaft nach erster Einschätzung eine Strafe von mehr als zwei, allerdings höchstens vier Jahren als realistisch erachtet hat, hat sie Anklage zum Schöffengericht am Amtsgericht erhoben. Das Gericht hat dies als schlüssig erachtet und die eigene Zuständigkeit bejaht. Dies geschieht in Form eines „Eröffnungsbeschlusses“. Kann die Angeklagte das Urteil anfechten? Selbstverständlich. Ihr stehen sogenannte ordentliche Rechtsmittel zu. Bei Entscheidungen des Amtsgerichts ist Berufung oder Revision möglich. Zuständig ist das Landgericht. Bei Revision wird nur das Urteil auf Rechtsfehler hin geprüft. Bei Berufung kommt es zu einer neuerlichen Hauptverhandlung samt Beweisaufnahme. Dann müssen auch die Zeugen – zumindest zum Teil – noch mal erscheinen. Übrigens kann auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel einlegen, wenn das Gericht auf ein geringeres Strafmaß erkennt als das, was die Anklagebehörde gefordert hat. Angeklagt sind viele Einzelfälle, in denen sich die Angeklagte schuldig gemacht haben soll. Im Laufe des Verfahrens sind nicht wenige davon eingestellt worden. Warum fallen mögliche Straftaten unter den Tisch? Es ist durchaus üblich, bei einer Fülle von Anklagepunkten weniger schwerwiegende Taten herauszunehmen. Grundlage ist Paragraf 154 der Strafprozessordnung. Der erlaubt es der Staatsanwaltschaft, von der Verfolgung einzelner Taten abzusehen, wenn diese mit Blick auf die ohnehin zu erwartende Strafe nicht sonderlich ins Gewicht fallen. Bei der Strafzumessung können die eingestellten Taten aber wieder einwirken und die Strafe erhöhen. Mit der Einstellung diverser Taten hat sich der Schaden verringert, den die Angeklagte angerichtet haben soll. Wirkt sich das aus? Bei der Frage „schuldig oder nicht schuldig?“ überhaupt nicht, bei der Strafzumessung kaum. Bei der strafrechtlichen Würdigung haben die Richter weniger die Summe selbst im Blick. Der Schaden ist als „erheblich“ anzusehen, das ist in erster Linie ausschlaggebend. Höherer Schaden heißt nicht etwa ein paar Monate Haft mehr. Problematisch ist allerdings: Der Verteidiger sieht viele der im Raum stehenden Fälle als nicht nachgewiesen an, erachtet die Schadenssumme als weitaus niedriger. Darauf gründet er seine Forderung nach einer Strafhöhe, die noch eine Aussetzung des Vollzugs zur Bewährung möglich macht. Dafür darf das Urteil nicht höher als auf zwei Jahre Gefängnis ausfallen. Wenn nun die Schadenshöhe geringer ist: Verringern sich damit auch die Ansprüche der Opfer? Das hat nichts miteinander zu tun. Der Anspruch der Lebenshilfe-Bewohner, ihr Geld wiederzubekommen, spielt im Strafverfahren keine Rolle. Hier geht es allein darum, dass die Rechtsordnung eine Ahndung möglicher Verfehlungen verlangt – dass also eine Straftäterin bestraft wird. Klage führt der Staat, vertreten durch die Staatsanwaltschaft – Kläger sind nicht etwa die Geschädigten. Deren Ansprüche auf Schadenswiedergutmachung sind Sache der Zivilgerichtsbarkeit. Der zivilrechtliche Streit um Ersatzansprüche wird dem Strafverfahren folgen. Was spricht für die Angeklagte? Strafmildernd fällt ihr (Teil-)Geständnis ins Gewicht, außerdem die Tatsache, dass sie strafrechtlich bislang unbescholten ist. Auch das völlige Kontroll-Versagen ist mildernd zu berücksichtigen. Weil offenbar über Jahre hinweg bei der Lebenshilfe niemand genauer hingeschaut – womöglich gar bewusst weggesehen – hat, sind ihr die Verfehlungen leicht gemacht worden. Was spricht gegen sie? Zum einen die Höhe der Summen, die sie beiseite geschafft haben soll, zum anderen Vielzahl und Dauer der Verfehlungen. Angeklagt sind ja nur Taten innerhalb der fünf Jahre vor dem Moment, da alles aufgeflogen ist. Was zuvor passierte, ist verjährt. Strafschärfend fällt ins Gewicht, dass sich die Angeklagte einen luxuriösen Lebensstil ausgerechnet auf Kosten von Menschen gegönnt haben soll, die sich nicht dagegen haben wehren können, ja denen nicht einmal aufgefallen ist, dass jemand sie fortwährend um ihr Geld gebracht hat.

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