Kreis Germersheim „Man überwindet jahrhundertealte Vorbehalte“

Michael Landgraf schlüpft in die Rolle eines Druckermeisters.
Michael Landgraf schlüpft in die Rolle eines Druckermeisters.

«Rülzheim.»Der Dozent, Schriftsteller und Theologe Michael Landgraf liest am Donnerstag in Rülzheim aus seinem historischen Roman „Der Protestant“. Im Interview spricht der Neustadter, der als Druckermeister auftreten wird, über die Reformation als Medienrevolution, seine persönlichen Verbindungen nach Germersheim und bringt Luthers Lehre auf den Punkt.

Herr Landgraf, Ihr Romanheld Jakob Ziegler erlebt einschneidende Ereignisse der Reformation hautnah mit. Inwieweit steht sein persönliches Schicksal für den gesellschaftlichen Umbruch hin zur Neuzeit?

Der Roman ist so angelegt, dass man in die Zeit der Reformation zwischen 1500 und 1529 eintauchen kann. Man erlebt die Schulzeit und das Studium eines Weinhändlersohns mit, und wie er als Spion des Kurfürsten reformatorische Schriften begutachten und die neuen religiösen Strömungen im süddeutschen Raum auskundschaften soll. Als Leserin und Leser spürt man durch die Mutter Jakobs mit dem damaligen Volksglauben nach, man begegnet Humanisten, Reformatoren und den Mächtigen der Zeit, hört in Mainz eine Ablasspredigt und Luther 1518 in Heidelberg, man sitzt beim Reichstag 1521 in Worms und wird hineingenommen in die Geschehnisse rund um Franz von Sickingen. Schon früh merkt der Romanheld, dass es unter den Bauern gärt, wird 1525 verstrickt in den Bauernkrieg sowie 1527 in die Verfolgung der Täufer. 1529 ist er in Speyer beim Reichstag, wo die Evangelischen den Namen „Protestanten“ erhielten. Sein persönliches Schicksal, die Liebe zu einer jungen Adeligen und die Feindschaft zu deren Bruder, zeigen, in welche Probleme man in der damaligen Gesellschaft hineingeraten konnte. Auf seiner Reise kommt Ziegler auch nach Germersheim. Welche Rolle spielt die Oberamtsstadt im Roman? Die (Kur)Pfalz ist Hauptspielort des Romans. Mit Bretten bildete Germersheim die Südgrenze der Kurpfalz, die im Norden bis Simmern ging. Durch meine früheren Verbindungen hierher war mir wichtig, dass Germersheim auftaucht. Jakob Ziegler kommt mit dem Reichsherold Kaspar Sturm von der Bischofsresidenz Udenheim über den Rhein und übernachtet auf der damaligen Germersheimer Burg. Auch der aus Rheinzabern stammende Reformator Paul Fagius kommt im Roman vor. Sie waren von 1991 bis 1999 Lehrer am Germersheimer Gymnasium. Bei der Lesung treffen sie sicher viele bekannte Gesichter. Welche Erinnerungen haben Sie an die Zeit? Sehr gute. Ich war Religionslehrer und zeitweise Verbindungslehrer am Goethe-Gymnasium. Darüber hinaus war ich in der Jugendarbeit aktiv, habe Ferienfreizeiten sowie Reflexionstage gestaltet und im Rahmen eines „Philosophencafés“ oft mit Jugendlichen bis in die Nacht hinein über spannende Themen diskutiert. Daher habe noch zu einigen ehemaligen Schülerinnen und Schülern Kontakt. Sie treten bei der Lesung als Druckermeister auf. Welchen Einfluss hatte der Buchdruck auf die Reformation – und umgekehrt? Die Medienrevolution des Buchdrucks war ein wichtiger Faktor bei der Verbreitung reformatorischer Ideen. So habe ich im Roman auch Flugschriften und Holzschnitte verarbeitet, die zeigen, was die Menschen damals bewegte. Die Rolle des Druckermeisters ermöglicht es mir, zwischen den Lesetexten zu moderieren und in die damalige Zeit sowie in die Buchdruckerkunst einzuführen. Die Holzschnitte üben teils scharfe Kritik an Papst und Kirche. Die Polemik hat eine deutliche Sprache, besonders für das Volk, das im 16. Jahrhundert größtenteils nicht lesen konnte. Auch dieser Aspekt war wichtig. So stellten Evangelische den Papst als Drachen oder als Mischwesen aus einem Esel und einer Echse dar, während die Gegenseite Luther als Dudelsack des Teufels abbildete. Dies zeigt, dass das, was teilweise im Internet läuft und man heute „dissen“ nennt, keine neue Erfindung ist. Die Verunglimpfung durch Bilder war seit der Frühzeit des Buchdrucks möglich. Einen original Holzschnitt vom „Papstesel zu Rom“ von 1523 habe ich bei der Lesung dabei. Ihre Publikationen haben eines gemein: Sie wollen komplexe Gedanken oder historische Ereignisse in einfachen Worten verständlich machen. Verknappt ausgedrückt: Was war der Kern von Luthers Lehre? Gott liebt jeden Menschen ohne Vorbedingung. Luther machte deutlich, dass man nicht aus Angst Ablassbriefe kaufen, Wallfahrten machen oder ins Kloster gehen soll. Diese gewonnene Freiheit sollen wir nutzen, um uns füreinander einzusetzen. Sie sind als Reformationsbotschafter und Autor in diesem Jahr viel unterwegs, haben Lesungen von Lübeck bis Graz. Welche Eindrücke haben sie über das Reformationsjahr? Ich erlebe eine große gesellschaftliche Offenheit für das Thema, wie man daran sieht, dass der 31. Oktober ein Feiertag sein wird. So hat mich die Stadt Neustadt zum Reformationsbotschafter ernannt. Das Kulturministerium Rheinland-Pfalz schickt mich im Juli für eine Lesung zur „Weltausstellung Reformation“ nach Wittenberg. Darüber hinaus ist dies das erste große Reformationsjubiläum, bei dem sich die Protestanten kritisch mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen und das Fest in ökumenischer Offenheit feiern. Letzte Woche erlebte ich in Graz im Rahmen eines Kirchentages, dass selbst in der extremen Minderheitssituation der Evangelischen in Österreich eine gemeinsame Feier an Fronleichnam möglich war. Man besinnt sich auf Gemeinsamkeiten und überwindet jahrhundertelange Vorbehalte – und das ist gut so. Termin Szenische Lesung mit Michael Landgraf am Donnerstag, 22. Juni, 19.30 Uhr, Gemeindesaal protestantischen Kirche Rülzheim, Hoppelgasse 35, Eintritt frei, Spenden sind erbeten. Lesezeichen Michael Landgraf: Der Protestant, Wellhöfer Verlag 2016, 422 Seiten, ISBN: 978-3-95428-193-0. | Interview: Natascha Ruske

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