Geschichten aus der Geschichte Ferien vor 80 Jahren fielen für Schulabgänger aus

Kindheit auf dem Lande 1939: Albert Emmerling (li. oben) mit seinen Kameraden.
Kindheit auf dem Lande 1939: Albert Emmerling (li. oben) mit seinen Kameraden.

Albert Emmerling, einer der noch wenigen lebenden Zeitzeugen, erinnert sich an seine letzten Sommerferien als Schulabgänger im Jahr 1943. Gechillt hat er nach seinem Abitur damals nicht.

Die großen Ferien sind angebrochen. Für viele sind sie Reisezeit, die Schulabgänger auch mal länger planen als Orientierungsphase vor dem Einstieg ins Berufsleben. Wie anders sah es für die Schulabgänger vor 80 Jahren aus, wie der heute 97-jährige Albert Emmerling aus Leimersheim erinnert. Im Sommer 1943 wurde der jüngste Sohn des Leimersheimer Müllers Emil Emmerling und seiner Frau Sophie mit einem „Notabitur“ vorzeitig aus der Schule entlassen, nicht zum Chillen und Reisen, sondern zur Arbeit im Reichsarbeitsdienst (R.A.D.).

Nach dem Besuch der Volksschule in Leimersheim von 1932 bis 1938 war Albert in der Oberschule für Jungen in Speyer gewesen. Auch in diesen Jahren vor Ausbruch des Krieges verbrachte der junge Albert die Ferien auf dem Dorf, das er als „ungeheuren Schutzraum“ empfand. „Ich war geliebt und geschätzt von den Eltern und den sieben älteren Geschwistern.“ Mit zunehmender Reife erwarteten ihn jedoch auch „altersgemäße Verpflichtungen in der Mühle, auf dem Acker und der Füllenweide. Im Sommer durfte ich die Pferde in die Schwemme am Erlenbach einreiten. Ich half beim Abladen von Erntewagen in der Scheune und beim Abschmieren der Wägen.“ Daneben assistierte Albert mit vier bis fünf Kameraden, den „Waldschütze-Buben“, den Aalfischern auf ihren Schockern. Dennoch blieb auch viel Zeit zum Schwimmen in den Baggerseen rund um den Ort.

Jugend im Zweiten Weltkrieg: Albert Emmerling als Arbeitsmann beim R.A.D. im Sommer 1943 und anschließend als Matrosen-Anwärter
Jugend im Zweiten Weltkrieg: Albert Emmerling als Arbeitsmann beim R.A.D. im Sommer 1943 und anschließend als Matrosen-Anwärter 1944.

Mit Ausbruch des Krieges 1939 endete diese ländliche Idylle und Mitarbeit in der Landwirtschaft und im Mühlenbetrieb. Nach einem mehrmonatigen Arbeitsdienst beim R.A.D. begann Alberts Wehrdienst bei der Marine, bei der er sich als Freiwilliger gemeldet hatte. Für den soldatischen Dienst wurde er schon in der Jungvolkgruppe in Leimersheim vorbereitet, bei deren Aktivitäten er „mit großer Begeisterung“ teilnahm. „Wir hatten alle Braunhemden, trugen Halstücher mit Lederknoten, einen Dolch im Gürtel und ein Koppelschloss vorm Bauch – wie kleine Soldaten kamen wir uns vor! Im ’Hitler-Heim’ am Fußballplatz hatten wir unsere Zusammenkünfte, Heimabende, Spielabende, Singabende. Draußen liebten wir Geländespiele mit zwei feindlichen Parteien, denen wir ihre Lager zerstören und ihre Fähnlein rauben mussten, auf die Sportfeste wurde tüchtig geübt, schwimmen lernten wir auch. Unser Jungvolkführer war der ’Schwarze-Mannle’ aus der ’Schinnergass’...“

Flucht nach Saint-Malo

Schnell war Albert Emmerling mitten im Kriegsgeschehen und erlebte die Endphase des von den Deutschen vom Zaun gebrochenen Zweiten Weltkrieges. Nach der militärischen Ausbildung kam Albert Emmerling an den Atlantik zum Einsatz, wo die Invasion der Alliierten Mitte 1944 bereits voll zugange war. Mit seiner Schnellbootflottille lag er bei Cherbourg in einem Betonbunker, von wo aus nachts zwischen 23 und 3 Uhr rausgefahren wurde, um die Invasionsarmee zu torpedieren. Allerdings waren bereits nach zehn Tagen Einsatz neun der zehn Boote zerstört. Albert Emmerling und die paar anderen übrig gebliebenen Kadetten sahen keinerlei Sinn mehr weiterzumachen und brachen unter schrecklichem Feuerbeschuss nach Saint-Malo durch, wo sie ihr Boot liegen ließen und von dort aus Ende Juni 1944 zu Fuß bis nach Paris marschierten.

Kindheit 1939: Albert Emmerlingmit seinen Freunden und im Hintergrund die alte Leimersheimer Kirche.
Kindheit 1939: Albert Emmerlingmit seinen Freunden und im Hintergrund die alte Leimersheimer Kirche.

Von dort wurden die Überlebenden geschlossen nach Sassnitz auf Rügen geschickt, wo sie in eine neue Flottille eingegliedert und sofort weiter nach Finnland geschickt wurden. „In der zerklüfteten Region Südfinnlands mit den zahlreichen Scheren und Klüften konnten sich die Kampfboote gut verstecken. Wir fuhren stets mit vier Torpedos in den Rohren und zwei in der liegenden Schale sowie kleinen Bordkanonen los und sollten Feindschiffe vernichten. Unser Einsatz endete aber bereits im Juli 1944. Da ging unser Boot selber hops, als es auf eine russische Treibmine stieß, die unter der Wasseroberfläche trieb“, erzählt Emmerling. Das war in der Wyborg-Bucht. Dort sei ein deutsches U-Boot mit besonders neuen Konstruktionen für die Navigation abgesoffen. Das russische Militär wollte „es heben, um die neue Technik kennen zu lernen. Um dies zu verhindern, sollten wir das U-Boot sprengen“. Mit gedrosselten Motoren wurde aufs Meer gefahren. „Plötzlich wurde unser Boot von einer Treibmine getroffen. Unser Schiff ging sofort auf Grund. Wir konnten uns aufgrund von Schwimmwesten durch einen Sprung in die brennende Diesellache retten“, erinnert sich der Leimersheimer. Die Kameraden auf den anderen Booten seien „verduftet, da vom südlich gelegenen St. Petersburg nach der Explosion gleich eine Kanonade losging. So versuchten wir armen Hunde uns über dem brennenden Wasser zu halten, bis zwei Boote kamen und uns retteten“, schildert er das Erlebte. „Ich war noch voller Panik und wehrte mich nach dem Entkleiden mit Händen und Füssen ins Unterdeck zu gehen aus Angst, mich von dort nicht mehr retten zu können im Falle, dass das Schiff untergeht“, so Emmerling.

Seeuntaugliches Boot

„Nach diesem traumatisierenden Einsatz hatten wir nur noch harmlose Einsätze bei Reval“, sagt der 97-Jährige. Zu jener Zeit sei die russische Armee „schon auf dem Landweg in Richtung Westen, und Finnland hatte sich dem Feind zugewandt, weshalb die Deutschen Finnland verlassen mussten. Wir pendelten deshalb über die Ostsee nach Deutschland zurück, wobei wir an verschiedenen Ostseeinseln vorbeikamen und noch versprengte Soldaten aufluden und so retten konnten. Ich habe heute noch vor Augen, wie der Himmel voll mit Kampffliegern war, die wie Hornissen auf uns herunterstießen und kaputt machten, was sie konnten“, berichtet der Leimersheimer von seinen Kriegserlebnissen. In Riga seien die Boote so demoliert gewesen, dass sie seeuntauglich waren. In Gotenhafen (Gdynia, Danziger Bucht, Polen) war die Kadetenzeit nach einem halben Jahr abgelaufen, „und wir wurden in die Kriegsschule geschickt“, so Emmerling.

Nach Kriegsende wurden die Soldaten in „Dittmarschen für ein halbes Jahr interniert. Ich ließ mich dann in die amerikanische Zone entlassen, weil die französische Zone, in der Leimersheim lag, deshalb verrufen war, weil die französischen Besatzungskräfte viele als Kriegsgefangene zum Aufbau nach Frankreich schickten. Im Oktober 1945 kam ich nach Karlsruhe und ging von dort aus zu Fuß über Maxau nach Hause“, berichtet er von seiner Zeit direkt nach der Schule.

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