Kaiserslautern Supergeiler Dorsch übrigens

7.970.619 Mal aufgerufen, Stand gestern 19.09 Uhr. Im Internet. Auf Youtube. Ein Werbefilm für den Discounter Edeka, bei dem ein überdrehter Alter mit Bart zu leierndem Elektro-Pop und leicht übersteuertem Rauschen durch einen Supermarkt tanzt und mit rauchiger Stimme alles daran und darin „supergeil“ findet – mindestens aber „sehr sehr geil“. Auch die Betrachter des Films, die Kunden, das Interieur und Klopapier. „Supergeil“, alle, alles. Supergeiler weiter weg von eigenen Erfahrungswerten war Werbung selten – also auch, was die Ansichten über die superungeilen Vollpfosten angeht, die einem an der Supermarktkasse mit ihrem Einkaufswagen in die Hacken fahren; die anderen Käufer, die natürlich sehr sehr stören, mindestens.

Im Edeka-Videoclip ist außer dem Spaß-Opa, der mit basstief sitzenden Enthusiasmus durch die Gänge groovt und ein paar Models, die mit dem Po wackeln, niemand zugegen. In realiter dagegen fehlt immer jemand, der die zweite Kasse bedient. Und vielleicht ist das das Geheimnis des Edeka-Videoclips der Agentur Jung von Matt, der statt im Fernsehen zu laufen, als virale Werbung unterm Netzvolk grassiert. Weil er nahelegt, dass hinter der Nervfassade noch ein Parallelentwurf jenes Grenzorts am Rande des Nervenzusammenbruchs existiert, noch ein Rewe, Edeka, Aldi, Netto, Lidl, Spar, Kaufland, Wasgau, ein schöneres.

Auch macht sich der Film werbeehrlich. Lieber, soll er bedeuten, besten Gewissens voll danebenliegen, als den Spruch „wir lieben Lebensmittel“ zu verbreiten, der sich an jeder Gemüsetheke widerlegen lässt.

Wie oft eigentlich ist man im Supermarkt bedient, statt es zu werden. Warum ist dort immer Inventur? Wieso funktioniert der Pfandautomat nicht? Wieso kaufen alle Rentner samstagmorgens ein? Wo war jetzt nochmal der Wagen abgestellt? Das Leben zwischen Einkaufsregalen ist oft so hart zu einem wie zwei Wochen altes Dinkelbrot. Der „Supergeil“-Typ dagegen vermittelt, alles eine Frage der Haltung. An der Käsetheke entscheidet das eigene Karma, ob der Kauf eines halbalten Gouda erotisch aufgeladen ist. Und auch zuhause bleibt es halt glatt falsch, die aufgetaute Baileys-Torte einfach so aufzureißen, statt sie wie der Zausel im Film formvollendet zu servieren.

Man sieht ihn im Altenheim charmieren, im Bett zwischen „super“ Leuten, „super lieb“ liegen, Eisessen. Er geistert – „Super Uschi. Super Muschi. Super Sushi. Supergeil“ – im Hintergrund eines Sofa-Stilllebens mit Frau, Katze und Tiefkühlfisch herum. An der Kasse sitzt er und bemerkt, wie „sehr sehr geil“ doch all die Sachen sind, die übers Band laufen. „Bio, sehr sehr geil“. Der Dorsch übrigens, „sehr geil“. Und erst die Fritten. Selbst auf den, der eigentlich lieber auf dem Biobauernhof kaufen würde, und die, die Kalorienangaben abgepackter Croissants mit dem Edding-Stift schwärzt, wirkt das wie eine große Umarmung, besänftigend. Egaler. Schon ok. Geiz war geil. Jetzt sind es Gummibärchentüten mit Gummibärchentütchen drin. Currywurst in Plastikschachteln. Umweltschmutz, „sehr sehr geil“. Der Reiz der Bejahung ist auf uns einfach eine Nummer größer. Mit einem Nein dagegen beginnt jede Krise. Mit dem Edeka-Werbefilm aber werden in den Krisenzeiten, in denen wir leben, alle Widersprüche mantraartig aufgelöst.

Wer könnte das besser verkörpern als der Berliner Friedrich Liechtenstein, der darin die Hauptfigur spielt. Liechtenstein ist Puppenspieler, Künstler, Musiker, Kunstfigur und weitgehend besitzlos. Gerade erscheint seine dritte Platte, Titel „Bad Gastein“. Seine Auftritte schillern zwischen peinlich und genial. Er selbst sagt: „Wenn Du eine Scheiß-Show von mir siehst, dann ist das keine Scheiß-Show, sondern ein sehr genauer Film von einer Scheiß-Show.“ Supergeile Selbst-Interpretation.

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