Kaiserslautern So weit die Füße tragen

Stimmungsvolles Konzert im Cotton Club: An Erminig.
Stimmungsvolles Konzert im Cotton Club: An Erminig.

ch, wie gut haben es doch die Kunstliebhaber in einer Langen Nacht der Kultur. Nur selten sind Ausstellungen am nächsten Morgen verschwunden. Und so bietet sich der lässig entspannte Rundgang an, solange der Kunst-Konsum Freude macht... Doch ganz so funktionieren Nächte geballter Angebote nicht. Und so nimmt solcher Art Nachtgang eilenden Schrittes Fahrt auf, weil erstens möglichst alles und zweitens am liebsten samt speziellem Kulturnachtflair inhaliert werden möchte. Von New York in schwarz-weißem XXL-Format entlang des Kammgarnzauns bis zu „Flüsterndem Blau“ in der Pfalzgalerie, von expressionistischer Pinselgestik in der Friedenskapelle bis zu geheimnisvollen Mineralienstrukturen in der Kammgarn-Schreinerei oder vom Vis-á-Vis hölzerner Figuren aus den Ateliers Schembs am Martinsplatz und Moroder am Museumsplatz – eine solche Reise von Haus zu Haus, von Kunst zu Kunst und von Künstler zu Künstler ist der wohl denkbar spannendste, abwechslungsreichste und bunteste Ausflug – na ja, wenigstens für Kunstinteressierte. Und was beispielsweise bunt in diesem Zusammenhang bedeuten kann, das ist – wie der Name es bereits vermuten lässt – im Atelier Zitronenblau sehen. Denn in der dortigen Ausstellung des ökumenischen Gemeinschaftswerkes wirkt Kunst elementar tief, bis hin zur absoluten Feststellung: „Freundschaft ist... bunt“. Schnell fallen die übertellergroßen Kreise in verschiedenen Farben auf und erinnern spontan an das Lenas Lied „99 Luftballons“. Vielleicht auch, weil im Songtext Freundschaft mit katastrophalen Folgen fehlt. Einen ganz anderen Aspekt künstlerischer Aussagen bot die Galerie Wack an. Galeristin Sigrid Wack datierte die Finissage der Objekt- und Fotogrammen-Schau der Künstler Ludwig Wilding und Sascha Langer auf die „Lange Nacht der Kultur“ und hatte die Berliner Mode- und Textildesignerin Jette Krämer zu Gast. Und zwar eines speziellen Grundes wegen: die Muster und Raster sowie der Modeton Grau ihrer neuesten Kollektion. Und plötzlich war es so, als ob die konkreten Flachen und Linien zu atmen begännen, als ob sie mit den Bewegungen der vier Models anfingen eigenständig zwischen Linien und Farbschattierungen zu pulsieren. Was hier anhand der Trägerinnen als Bildträger empfunden wird, überhöhten die fünf Pfalztheatertänzer auf der Werkstattbühne mit der bildenden Kunst der vier Nachtgaleristen Claudia Gross, Eva Henrich, Angie Horlemann und Elsa Vogt-Ramachers. Nach der Choreographie von Salvatore Nicolosi und Duncan Schultz formten sie dunkel eingekleidet in Zeitlupenbewegungen eigentümliche Ton-in-Ton-Figuren, die sich wie skulptural-dreidimensionale Kunstobjekte auf der Tanzfläche krümmten, hockten oder schritten. Ein Riesenapplaus derjenigen, die einen Platz im Auditorium ergattert hatten. Zeichnet gerade die Vielfalt künstlerischer Sparten und Genres die „Lange Nacht“ aus, so faszinieren Sparten-Mixturen besonders. Das erlebte auch das mehrfach proppenvolle Lauter Atelier in der Gaustraße. An den Wänden reihte Malerin Manuele Lieberich ihr buntes Lautern in Form farbverfremdeter Sehenswürdigkeiten auf, während Ulla van Daelen mit schwungvoll-konzentrierten Spielgesten „Harp goes Pop“ zelebrierte. Ruhiger, ja sogar meditativer begegneten dem Besucher im Hotel Alcatraz die Fotografien von Britta Scherfer und die Acryl-Malerei von Stefano Cattaneo. Und so nannten beide Künstler ihren Bilderserie bewusst „Ästhetik der Stille“ beziehungsweise „Middle East“. Bleibt Cattaneo im Sehbereich der Abstraktion, so zeigt Scherfer Räume, die in beruhigenden Minimalismus verharren. Und dann reichte die Nacht doch wieder mal nicht für geöffnete Ateliers und Galerien. Ein Vorhaben für die nächsten Tage also, doch wieder Mal bei ihnen reinzuschauen. n früheren Zeiten war das Angebot an populärer Musik hier ja eher überschaubar. Das hat sich geändert, und besonders in diesem Jahr schien das anders zu sein: Mindestens zwei Dutzend Auftritte, ein gefühlter Rekord, ließen sich diesmal den Bereichen Rock, Pop, Jazz und artverwandten Genres zuordnen. Nicht schlecht. Aber, wie immer bei Veranstaltungen dieser Art, auch schwierig für zielgerichtete Fans – und derer dürfte es nicht wenige geben. Die Zeitfenster sind klein, die Wege mitunter weit, die Busse nicht immer im richtigen Moment verfügbar. Wo also anfangen, wo hingehen bei einem Programm, das sich stetig zwischen diversen Stilistiken, Formationsgrößen und lockenden bekannten Namen hin- und herbewegt? Einer der zentralen Orte bot sich da zunächst an: die Open-Air-Bühne am Stiftsplatz. Dort fand die Bekanntgabe der Sieger des „Music Power Bandwettbewerb“-Finales statt. Das Ergebnis: Die dreifach vergebenen ersten Preise gewannen die Bands Stagefire 2.0 (Bernkastel-Kues), Young Jeeze (Koblenz) und Julicious (Mainz). Unter den anderen Preisträgern waren auch etliche Kaiserslauterer Bands. Gut waren sie alle, der Applaus und die Freude entsprechend groß. Nach einem Abstecher in den Eingangsbereich der Fruchthalle, in dem diverse DJs diesmal vermehrt gut tanzbare Produktionen vorstellten, ging’s erstmal durch die Burgstraße flott zur Kammgarn und direkt hinein in den Cotton Club, wo Sängerin Pauline Ngoc mit Band gerade die „Nuit de la Chanson Spéciale“ eröffnete. Bereits jetzt herrschte hier eine ungemein Stimmung. Ein paar Meter weiter war es derweil in der Schreinerei des Hauses deutlich lauter: Die junge Lautrer Rockband Lio zeigte insbesondere mit ihren treibenden Eigenkompositionen ihre Qualitäten. Und die dieses Mal zum Quintett erweiterte Band Winterland bewies danach, dass ihre Titel auch live nahezu genau so gut klingen wie etwa auf ihrer tags zuvor veröffentlichten CD. Klasse! Die Zeit drängte. Flugs zurück in Richtung Innenstadt, vorbei an der mitreißend agierenden Bigband der Hochschule Kaiserslautern, der man etwas mehr Zuhörer gewünscht hätte, und links hinauf ins Hotel Alcatraz, wo eine Seltenheit für Kenner wartete: Das Quintett Four spielte Funkiges und Jazzrockiges – komplex, aussagekräftig, bewegend, dennoch unterhaltsam. Das hochkonzentrierte Publikum war zu Recht fasziniert. Und immer weiter, immer rasch, immer das nächste Highlight quasi an der nächsten Ecke erwartend. Und man wurde selten enttäuscht in dieser Nacht. In der Scheune des Theodor-Zink-Museum ging eine zünftige Jazz-Jam-Session ab, weiter unten auf dem Pflaster vorm Juz intonierte die Band uffgeBrassd! in der fortschreitenden Dämmerung vor einem aufgekratzten und ausgelassen mittanzenden Publikum just ihre berühmte „Balkanbalkonpolka“. Und wer mehr auf Folkiges stand, hatte wiederum nur ein paar Schritte weiter bei der ebenfalls im Freien spielenden Band Acoustic Fight vorm Irish Pub The Snug seine Freude. Was für eine musikalische Meile! Zurück in der Fruchthalle: Die nach ihrer Sängerin Dota benannte Band spielte hier zu später Stunde einen manchmal experimental-reizvollen Mix aus populären Stilen und scharfzüngig formulierten Texten über Geld, Liebe und schwangere Frauen im Baumarkt. Blues, Salsa, elektronische Klänge, Gypsy-Jazz – noch so viele Stile, so viele gute Ausführende, so wenig Zeit. Fast würde man sich da eine zweite „Lange Nacht“ wünschen. Hätte eine „Winter-Edition“ mit entsprechender Besetzung und Ausstattung vielleicht eine Chance? Oder gar ein „Langes Wochenende der Kultur“? er Klassik-Rundgang bei der „Langen Nacht“ verleitete unweigerlich zu diskussionswürdigen Fragen: Setzt man auf Quantität (151 Angebote mit 500 Künstlern an über 30 Orten) oder auf Qualität? Auf Zentralisation oder Dezentralisation? Und programmatisch: Bringt man Publikumsmagnete oder eher Nischenbesetzungen mit Raritäten? Also: Will man populär sein oder eher elitär? Themen- und Gesprächskonzerte mit fundierten musikwissenschaftlichen Einführungen bei Kammerkonzerten im SWR-Studio und auf der Werkstattbühne des Pfalztheaters fanden vor vielen leeren Reihen statt. Geringere Resonanz und Akzeptanz stellen nicht die künstlerische Qualität, aber die grundsätzliche Disposition in Frage, weil Nachhaltigkeit fehlt. An anderer Stelle hätte das SWR-Konzert mit Musikern der DRP von den Nazis verfemten oder verbotenen Komponisten noch mehr zur Ehrenrettung und Wertschätzung verhelfen können. Zumal das Streichquartett aus Xiangzi Cao und Helmut Winkel (Violine) sowie Benjamin Rivinius (Viola) und Mario Blaumer (Cello) mit Akribie und Esprit die bewegte Dramatik von Mendelssohns letztem Streichquartett ebenso treffend auslotete, wie es bei einem noch in spätromantischer Tradition stehenden Quartettsatz von Anton Webern auch dessen breit angelegte lyrische Kantabilität und Duktus in spielerischer Reinkultur traf. Erwin Schulhoffs Klangbeispiele für die Königsgattung Streichquartett waren aber so kompliziert im polyphonen Stimmengefüge, dass sich deren Struktur schwerer erschloss. Noch heikler war der Kreislauf aus Komposition, Interpretation und Rezeption bei den Solostücken für Bläser zeitgenössischer, in der Pfalz lebender und wirkender Komponisten: So läßt sich etwa Dieter Torkewitz in seinem Stelzenberger Wochenendhaus inspirieren und von der Sammlung von Solostücken von Luciano Berio anregen, um neben klassisch definierten Tönen den Luftstrom der Flöte als gleichberechtigte „Note“ zu präsentieren. Dies bedeutete für die Flötistin Delphine Roche, dass sie die verschiedensten Ton- und Geräuschbildungen wie Flatter- und Doppelzunge, Hauchen und differenziertes Anblasen zum Gegenstand einer von der Sprache abgeleiteten Darstellung machte. Burkhard Egdorf führte nicht nur durchs Programm, sondern steuerte mit einer ebenfalls von sprachlichen Gliederungsformen abstrahierten Komposition eine Uraufführung bei: Es handelt sich um eine Art Fantasie über Frage- und Ausrufezeichen, über Affirmation oder Negation für Flöte. Und wieder setzte sich Delphine Roche hochkonzentriert und engagiert für die Finessen der wechselnden Episoden ein. Allerdings verließen einige – der ohnehin wenigen – Besucher vorzeitig das Konzert. Eine andere Programm-Kombination, etwa mit den Solo-Fantasien des Jubilars Telemann, hätten mehr Abwechslung und so mehr Interesse geweckt. Dies gelang bei einem Telemann-Gedenkkonzert anlässlich seines 250. Todestags in der gut besuchten Martinskirche: Diese wurde zum Schauplatz ansprechender weiterer Kammermusik, in der gemischten Besetzung aus Cembalo (Simon Gräber), Viola da Gamba ( Anne Clement sowie Alt-Blockflöte (Christina Ewald). In Kombination mit der Sopranstimme von Karline Cirule ergab sich bei Sonaten- und Triosonatensätzen sowie Kantaten ein abwechslungsreiches, lebendiges und nie dogmatisches historisches Musizieren. Einen noch publikumswirksameren Weg wählte im Lauterer Atelier in der Gaustraße die Harfenistin Ulla van Daelen: Die Mixtur aus Klassik-Hits (selbst bearbeitet) ab Bach über Eigenkompositionen bis hin zu adaptierten Popballaden ließen das ohnehin reizvolle Instrument in neuem gleißenden Licht erscheinen. Und beim Kinderkonzert wurden bekannte Kinderlieder und die „Zauberflöte“ zu einem Mitmachkonzert. Da war sie: die Nachhaltigkeit, die Kids auf dem Heimweg noch beflügelte. uch in Sachen Literatur gab es bei der Langen Nacht einiges zu hören und zu erleben. Darunter ein neuer Bettina-Boll-Krimi aus der Feder von Monika Geier, ein selbst gemalter und verfasster Comic von Französisch-Schülern des Burg-Gymnasiums und eine Live-„Stand-Up“-Lesung von Tim Boltz in der Fruchthalle. Die Lese-Show des hessischen Literatur-Komikers um 21.15 Uhr hatte sich mancher im Programmheft markiert. Bis dahin blieb aber noch genügend Zeit, um andere literarische Brennpunkte abzuklappern. Etwa die Lesung der Pfälzer Krimi-Autorin Monika Geier um 19.30 Uhr in der Thalia-Buchhandlung. Mit durchweg lobenden Worten kündigte Filialleiterin Karin Schliermann die Autorin an: „Ich bin selbst mitten im Buch, und es ist klasse.“ Gemeint ist die siebte Folge der Bettina-Boll-Krimireihe namens „Alles so hell da vorn“. Für ihr Erstlingswerk „Wie könnt ihr schlafen“ wurde Geier bereits 2000 mit dem Krimipreis Marlowe ausgezeichnet. Der siebte Kriminalfall ihrer Heldin, Kommissarin Bettina Boll, dreht sich um das tragische Thema Kinderprostitution. „Mein Lieblingsthema ist es nicht“, gestand die Autorin selbst gleich zu Beginn der Lesung. Eine wahre Begegnung mit einem jungen Mädchen in Wien inspirierte Geier zum Buch. „Ich fragte mich, ob ich etwas hätte tun können“, erinnerte sie sich. Die Geschichte selbst entsprechend düster, zwischen Realität und literarischer Raffinesse verpackt und mit komplexen Charakteren. Durchaus schwere Kost für den leichten Sommertag, die auch in der Buchhandlung Blaue Blume serviert wurde. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens der deutsch-französischen Partnerschaft zwischen Kaiserslautern und Saint-Quentin, haben die deutschen und französischen Schüler der 9. Klassen jeweils einen Comic gestaltet, dessen Geschichte sich um einem erinnerungswürdigen Ort aus beiden Städten dreht – verfasst in der Sprache des jeweils anderen Landes. Die 9e des Burg-Gymnasiums entschied sich für die Stolpersteine in der Alleestraße 10, die an zwei junge Opfer des Nationalsozialismus’ erinnern: Carola und Claus Tuteur, beide 1944 in Auschwitz ermordet. Eine Fünftklässlerin des Burg-Gymnasiums stellte das Buch in der Blauen Blume vor. Im Anschluss lasen Franz-Josef Burkhart und Katja Scheidhauer Werke französischer Autoren, darunter Anna Gavalda, Michel Houellebecq und Philippe Delerm. Leichte französische Kost gab es aber auch, in Form von Brot, Oliven und Wein sowie leichten Akkordeon-Melodien von Alexandra Maas. 21.15 Uhr – höchste Zeit für ein wenig Literatur, die das Zwerchfell anregte. Tim Boltz (bürgerlich: Zeno Diegelmann), der mit seinen Comedy-Romanen „Weichei“, „Nasenduscher“ und „Linksträger“ schnell zum Geheimtipp der Literaturszene und noch schneller zum Bestseller-Autor mutierte, brachte Stimmung in den fast vollbesetzten Saal der Fruchthalle. Mit seiner schauspielerisch-komödiantischen Lese-Show „Rügen haben kurze Beine“ erklärte er, warum Männer schlechte Lügner seien und Frauen daran Schuld hätten. Seine Begleiterin am Klavier, Corinna Fuhrmann – mit den deutlich längeren Beinen – wurde direkt auf ihren Platz „verwiesen“ und vervollständigte die Textpassagen mit häppchenweise eingeworfenen Melodien aus Klassik und Popmusik. Mit Schiebermütze und Matrosen-Hemd versetzte er sich stimmlich in seinen Antihelden Robert Süßemilch, sprachlich gewieft und schonungslos amüsant – der perfekte Schlusspunkt für den literarischen Rundgang.

Die Galerie wurde zum trendigen Laufsteg: Mode von Jette Krämer im Look und vor der Kulisse konkreter Kunst bei Wack.
Die Galerie wurde zum trendigen Laufsteg: Mode von Jette Krämer im Look und vor der Kulisse konkreter Kunst bei Wack.
Stellte ihren neuen Krimi bei Thalia vor: Monika Geier.
Stellte ihren neuen Krimi bei Thalia vor: Monika Geier.
Zu späterer Stunde in der Fruchthalle: Dota Kehr.
Zu späterer Stunde in der Fruchthalle: Dota Kehr.
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