Kaiserslautern Seele, Ausdruck, Rührung

Er ist der Vater; wir sind die Bub’n. Wer von uns was Rechts kann, hats von ihm gelernt. Nein, das hat Wolfgang Amadé Mozart nicht über Johann Sebastian Bach gesagt, sondern über dessen zweitältesten überlebenden Sohn Carl Philipp Emanuel. Der heute vor 300 Jahren in Weimar geborene Komponist war eine der prägenden Figuren der Musikgeschichte im 18. Jahrhundert und zu seiner Zeit berühmter als sein Vater.

Carl Philipp Emanuel Bach hat nach bereits tausendjähriger Musikgeschichte im Abendland zum ersten Mal das Subjekt in der Musik unmittelbar sprechen lassen. Die gängige Vorstellung, dass Musik konkret Gefühle einzelner Menschen ausdrücke und das möglichst frei und ungebunden, war zuvor unbekannt - und trifft ohnehin nur auf einen sehr kleinen Teil aller je komponierter Musik zu. In der Klaviermusik Carl Philipp Emanuels aber wurde sie erstmals und in Reinkultur verwirklicht.

In seiner Klaviermusik hat Carl Philipp Emanuel Bach den empfindsamen Stil in der Musik begründet, bei der das Gefühl des Ichs zum ersten Mal zur wesentlichen Substanz des Werks wurde. Im Überschwang seiner Empfindung befreit sich das Subjekt an den Tasten auch vom Zwang des Taktes und des Tempos. Es äußert sich in ausdrucksvollen Gesten, die sich vom überkommenen Regelwerk lösen und eine ganz neue musikalische Sprache begründen. Die Fantasien Philipp Emanuels sind denn auch wirklich freie Musik. Sie erscheinen wie eingefrorene Improvisationen, wie zufällig festgehaltene emotionale Momentaufnahmen in Musik. Seele, Ausdruck, Rührung, das hat Bach erst dem Claviere gegeben, und der Flügel konnte davon nicht anders den kleinsten Grad erhalten, als durch Hand dessen, der das Claviere zu beseelen wußte , schrieb Kollege Johann Friedrich Reichardt. Klar, dass diese Art des Musizierens nicht für öffentliche Repräsentation taugt, sondern in Kammer, vor allem die bürgerliche, gehört. Carl Philipp Emanuel war in Berlin trotz der Position als Hofcembalist beim Alten Fritz , die 28 Jahre währte, fest vernetzt im bürgerlichen Kulturleben der preußischen Hauptstadt. Im Dienst Friedrich II. war er schon, als dieser noch Kronprinz war und in Ruppin residierte. Nach Berlin kam er nach der Krönung Friedrichs zum König von Preußen.

1768 trat Carl Philipp Emanuel Bach dann seine zweite wichtige Stelle an. Er wurde als städtischer Musikdirektor Nachfolger von Georg Philipp Telemann, der ihn einst als Pate über den Taufstein in der Herderkirche in Weimar gehalten hatte. In Hamburg komponierte er dann vor allem seine großen geistlichen Werke, aber auch weiter Klaviermusik. 1788 starb er in der Stadt an der Elbe. Sein Grab ist in der Gruft des Wahrzeichens der Hansestadt, der St. Michaeliskirche. Steh hier nicht still, Nachahmer, Denn du mußt erröthen, wenn du bleibest, Karl Philipp Emanuel Bach, der tiefsinnige Harmonist, vereinte die Neuheit mit der Schönheit, war groß in der vom Worte geleiteten Musik größer in der kühnen, wortlosen, übertraf den Erfinder der Musik: denn er erhob die Kunst des Spiels, durch die Lehre und Ausübung, bis zu dem Vollendeten , schrieb der Dichter Klopstock für ein Denkmal im Michel .

Ohne Carl Philipp Emanuels Sorgfalt und Achtung des Werks seines Vaters wüssten wir über dessen Leben und Werk heute weitaus weniger gut Bescheid. Der vom Sohn verfasste Nekrolog ist eine zentrale Quelle über Bachs Biografie und Schaffen. Und die von Philipp Emanuel geerbten Autografe sind die Basis der Überlieferung von Bachs Kompositionen. Bei den Noten, die der ältere Bruder Wilhelm Friedemann bekam, sieht die Sache weit weniger günstig aus. Carl Philipp Emanuel hat aber auch in eigenen Werken das Erbe des Vaters bewahrt und in einer Matthäus-Passion Teile aus der Großen Passion Johann Sebastians quasi wörtlich übernommen.

Ohne Carl Philipp Emanuel hätte es aber auch die historische Aufführungspraxis viel schwerer, sich über die Spielweise im 18. Jahrhundert zu informieren, denn sein 1753 und 1762 erschienener Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen ist neben Quantzens Anweisung zum Flötenspiel und Leopold Mozarts gründlicher Violinschule das zentrale Lehrwerk in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Aus der Seele muss man spielen, und nicht wie ein abgerichteter Vogel - so heißt es über die wahre Art des Klavierspiels.

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