Kaiserslautern Schiller, Goethe und zum Schluss noch Rio Reiser

Hier hätten wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, gerne ein Foto von Ben Beckers Lesung in der Fruchthalle präsentiert. Der Kün
Hier hätten wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, gerne ein Foto von Ben Beckers Lesung in der Fruchthalle präsentiert. Der Künstler und sein Produzent hatten aber während der Vorstellung keine Bilder erlaubt. Natürlich hatte die RHEINPFALZ einen Fotografen vor Ort, der aber unverrichteter Dinge wieder abziehen musste. Stattdessen zeigen wir ein Bild Beckers aus dem Jahr 2012. Mit Hut. Einen Hut trug er am Freitag ab und an auch ...

„Ich hatte eigentlich versprochen, mich heute zu benehmen. Hat nicht sollen sein“, sagte Schauspieler und Sänger Ben Becker bei seiner Lesung am Freitag in der Fruchthalle und nippte keck am Weinglas. Anlässlich des Literaturfestivals las der Mime ausgewählte Werke aus 800 Jahren deutscher Dichtkunst, vereint in Ludwig Reiners Sammelband „Der ewige Brunnen“. Zwischen Goethes „Erlkönig“ und Fontanes „John Maynard“ gewährte Becker auch private Einblicke und sparte nicht mit verbalen Seitenhieben.

„Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind …“: Nur wenige Zeilen in der deutschsprachigen Literatur jagen einem noch heute einen solchen Schauder über den Rücken wie die aus Goethes Ballade vom „Erlkönig“. Aus dem Munde eines begnadeten Schauspielers wie Ben Becker intoniert, nimmt der Schauder neue Ausmaße an. Im abgedunkelten Saal der Fruchthalle herrschte gebannte Stille, als Becker las. Das Werk von Ludwig Reiners, eine Auswahl von Balladen und Gedichten aus acht Jahrhunderten deutscher Lyrik, hat Becker um einige persönliche Lieblinge erweitert und nahm das Publikum mit auf eine Reise durch die großen und kleinen Klassiker der Dichtkunst – alle im wahrsten Sinne von unheimlicher Schönheit. Begleitet von seinem langjährigen Freund und musikalischen Weggefährten Yoyo Röhm am Piano, bekreuzigte sich der Schauspieler bevor er sich hinsetzte und entführte sein Publikum sogleich in die düstere Welt des Erlkönigs, um gleich danach mit Friedrich Hebbels nicht minder düsterem Werk „Der Heideknabe“ zu verstören, das Becker mit Tränen in den Augen beendete. „Schrecklich oder? Ja, herzlich willkommen, liebe Kaiserslauterer“, grüßte der Mime mit raubeinigem Charme. 630 Kilometer Fahrtweg hat das Duo zurückgelegt und landete dafür in einem „total beknackten Hotel“. Wer Becker kennt, ist diese Art gewöhnt. Er genießt es, mit kleinen Bemerkungen zu provozieren, zu polarisieren und hin und wieder auch zu brüskieren. Mit dieser Art traf er jedoch beim Publikum, das er im Dunkel gar nicht sehen konnte – „Da hätte ich auch zu Hause bleiben können und das Licht ausmachen“ –, am Freitag den richtigen Nerv. Nonchalant wetterte er immer wieder gegen das „schreckliche Hotel“, dessen Toilette er bei der Ankunft „selbst sauber geputzt“ habe, und löste damit schallendes Gelächter aus. Sobald er jedoch zu den Gedichten zurückkehrte, breitete sich eine fast ehrfürchtige Atmosphäre aus. Vom Dichterfürsten Goethe – dessen „Zauberlehrling“ er mit Zauberhut und Brille rezitierte – zum Dichterprinzen Heinrich Heine und dessen Ballade „Ritter Olaf“ las Becker mit präziser Hingabe auch Friedrich Schillers „Der Handschuh“, Emanuel Geibels Seemannsgarn „Die Goldgräber“ und das wenig bekannte „Nis Randers“ von Otto Ernst. Die feinen Nuancen, mit denen er jeder Figur eine eigene Charakteristik verlieh, war herausragend. In erhobener Lautstärke bohrte sich seine tiefe und verraucht-raue Stimme bis ins Mark. Die stummen Pausen dazwischen wirkten dagegen fast schon beklemmend und verliehen den Werken eine bedrohlich-tragischen Note. Zwischendurch erzählte Becker: Von den Weihnachtsfesten seiner Familie, bei denen Freunde und Künstler zusammenkamen, um aus „Der ewige Brunnen“ zu lesen. Aber auch von seinem Bezug zum Kulturchef Christoph Dammann, der ihm an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg bei der Gesangs-Prüfung half – vier Wochen lang. „Der arme Kerl war fertig. Ich habe vom ersten Moment an keinen Ton getroffen“, erinnerte sich Becker lachend. „So trifft man sich zweimal im Leben.“ Die anrührendsten Anekdoten drehten sich jedoch um seinen 2013 verstorbenen Stiefvater, den Schauspieler Otto Sander. Theodor Fontanes Epos „John Maynard“, Sanders Lieblingsballade, las Becker unter Tränen „nur für ihn“. Mit Rio Reisers „Übers Meer“, das Becker anscheinend auch in Gedenken an Sander – seiner Zeit Fähnrich zur See – sang, ging eine fesselnde und dramaturgisch geschickt zusammengestellte Lesung zu Ende.

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