Kaiserslautern Mal ein Löwe, mal ein Lämmchen

Sting brüstete sich damit, Bruce Springsteen tat es, auch Peter Gabriel und „Metallica“. Nun umgab sich auch der ehemalige „Genesis“-Sänger Ray Wilson mit einem Orchester, um die „Genesis Classics“ auf ganz neue Weise zu präsentieren. Im ausverkauften Konzertsaal des SWR-Studios Kaiserslautern feierte das Ray-Wilson-Orchester am Samstagabend Weltpremiere. 300 Besucher waren begeistert. Organisiert wurde das Ganze vom Landstuhler AndersWeltEvent.

Ray Wilson ist ein bescheidener Mensch. Exzentrische Mätzchen oder gar dauernde Wechsel von Posen und Kostümen hat er nicht nötig. Er überzeugt allein mit seiner außergewöhnlichen Stimme. Nicht nur der SWR-Musikredakteur Michael Dorka, auch die Zuhörer, die teils sogar aus Ro-stock, Dresden, Dortmund oder Essen angereist kamen, konnten sich davon überzeugen, dass Ray Wilson „einer der besten, wenn nicht sogar der beste Rocksänger der Welt ist“. Auch begnügte sich Wilson mit einer 14-köpfigen Formation. Aber die überzeugte vom ersten Song an, dem „Turn it on again“ aus dem Jahr 1965. Vier Streicherinnen, vier Bläser und Wilsons Band „Stilskin“ verschmolzen die „Genesis“-Klassiker zu einer völlig neuen Dimension. Das hatte eine Wucht, dass die Magennerven vibrierten. Obwohl, bei den subtil ausgefeilten musikalischen Strukturen schlich sich der Blues schwerlich ein, selbst der Begriff Rock war irrelevant. Dennoch wurde der Originalcharakter nie verloren. Getragen waren diese Songs von Wilsons Stimme. In „Another Day in Paradise“ klang sie satt und kernig, in „Carpet Crawlers“ und „First Day of Change“ war die Träne in der Stimme unverkennbar. Und wenn er sein ungemein flexibles Organ bis zum Rock-Crescendo hinaufschraubte, in Liebeslyrik schwelgte und in schleppenden Molltönen klagte, kreischten die Damen im Publikum vor Begeisterung. Fast schon dramatisch klang Wilsons Stimme in „No Son of mine“ und „Invisible Touch“. Die ganze Achterbahn der Emotionen lag da in seiner Kehle. Die Band spielte sich in Ekstase, die Zuhörer lauschten wie gebannt, wenn Wilson die ganze Bandbreite seiner Stimme darlegte. Mit einem schier unerschöpflichen Potenzial an Energie faszinierte das Orchester. Sein Credo war, die Vielfalt für sich zu entdecken, in sich zusammenfließen zu lassen und bei aller technischen Perfektion vor allem die Vitalität und Freude an der Musik zu erfahren und zu vermitteln. Jeder Song ließ eine andere Facette der Künstler aufleuchten. Da prallten die Gegensätze der zarten Streicher und der druckvollen Bläser, der satten E-Gitarren und der knallharten Schlagfolgen des Ashley MacMillan am Schlagzeug aufeinander und erzeugten faszinierende Klangwelten. Bestechend war die Dynamik, die sich behutsam aufbaute, wie die Titel „Another Cup of Coffee“ oder „Inside“ demonstrierten. Oft begann Ray solistisch, während die Streicher, Bläser und Rockmusiker nach und nach einfielen, der Sound immer dichter wurde. Der Harmoniegesang mit den Gitarristen Ali Ferguson und Steve Wilson sowie dem Bassisten Lawrie MacMillan sorgte zudem für ständig neue Schattierungen. Die vier Streicherinnen verstanden es, einen spannungsvollen Bogen aufzubauen. Am Klavier und Keyboard begeisterte der famose Darek Tarczewski, während Marcin Kajper am Saxofon eine heiße Kanne blies. So drang die Formation in „Congo“ mit Poly-Rhythmen tief ins afrikanische Unterholz vor, in „Inside“ schienen die Instrumente zu einem Wüstensturm anzuwachsen. Ray Wilson brüllte dazu wie ein Löwe, während er in der Ballade „Ripples“ und in „Solsburry Hill“ so sanft agierte wie ein Lämmchen. Die Zuhörer riss es von den Stühlen, standen im zweiten Teil nur noch und forderten nach zwei Stunden ohne Pause noch Zugaben.

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