Kaiserslautern Leitartikel: Redespirale

Von Markus Clauer Ehrlich gesagt, wir waren uneins in der Redaktion, ob wir dem Wut-Delirium von Akif Pirinçci überhaupt Platz einräumen sollen. Warum Werbung für ein Buch machen, das widerwärtige Thesen in einer Porno-Sprache verbreitet? Das Werk ist im obskuren Verlag eines versprengten Irrläufers erschienen, der in einem früheren Leben Gründer eines Kaufhauses war, das die guten Dinge führt, die es noch gibt. Es herrschten beste Voraussetzungen dafür, unterzugehen. Stattdessen ist Pirinçcis „Deutschland von Sinnen“, weil seriöse Medien darüber berichtet haben, ein Erfolg geworden. Kein übermäßig großer, das nun nicht. Ein Thema aber ist das Werk des gelernten Katzenkrimiautors schon. Warum auch wir uns für eine Veröffentlichung einer Kritik entschieden haben? Vielleicht auch, weil wir unseren Lesern vertrauen können wollen. Und uns. Vor allem, weil das so nicht geht. Was diskutiert wird, kann eine Zeitung nicht einfach verschweigen. Sowieso lässt sich kein Thema der Welt mehr einfangen, wenn es einmal in derselben ist. Die Aufmerksamkeit des Publikums flottiert. Unbeherrscht. Ein englisches Partygirl, verkatert, twittert, Barack Obama, den sie „baracco barner“ schreibt, sei doch der „Präsident“ von England, was habe der in Russland zu suchen. Kurze Zeit später steht sie als prominentes Dummchen der Woche im „Spiegel“. Wenn Akif Pirinçci die Grünen in seinem Buch als „Kinderficker-Partei“ bezeichnet, dann kursiert das, das heißt, man muss widersprechen. Mit Glück nur – und mit trotz Internet noch erhaltener Restscham – wird hinter vorgehaltener Hand darüber geredet. Auf jeden Fall aber kann ein Lautsprecher wie der Deutschtürke sich der stillen Bewunderung dafür sicher sein, was er sich traut. Es ist ein Indiz, dass das kalkuliert schmuddelige Buch offensichtlich vorsichtshalber lieber beim Internetbuchhandel bestellt wird, statt im Geschäft, wo einem ein Verkäufer gegenübersteht. Fast folgerichtig führt Pirinçci dort die Bestsellerlisten an. Wie viele Bücher dabei wirklich verkauft worden sind, weiß kaum ein Mensch. Hauptsache, es sind die meisten. Das feuert die Fantasie der Leute an, die glauben, es gäbt eine schweigende Mehrheit für Ressentiments. „Der neue Tugendterror“ heißt das neue Buch ihres Anführers Thilo Sarazzin, das in diese Richtung weist. Es tastet „die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland“ ab, als sei hier Nordkorea. Durch Pirinçci und seine breit gestreuten Tiraden ist es schon wieder widerlegt. Es ist auffallend, wie oft die rhetorische Figur einer Schweigespirale – von einem Meinungskartell gedreht, das gute deutsche Argumente unterbindet –, aufgerufen wird, wenn wie bei Sarazzin und Pirinçci Schrillheit Plausibilität ersetzt. Eine andere Stereotype hat vor kurzem selbst die Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff bemüht, so etwas wie die intellektuelle Speerspitze derer, die ihr Unbehagen an der Moderne ausagieren. Das müsse man doch sagen dürfen, meinte Lewitscharoff. Sie hatte gerade bei einer Rede in Dresden Steiles geäußert. Kinder, die aus einer künstlichen Befruchtung hervorgegangen sind, sagte sie, seien für ihr Leben gezeichnete „Halbwesen“, unrettbar in ihr Zeugungsdilemma verstrickt. Ganz so, sagte sie das, als sei jeder reale Akt, aus dem ein Kind hervorgeht – und sei es eine Vergewaltigung – per se schon beseelt. Soll sie es also sagen dürfen. Warum nicht? Jeder blamiert sich, so gut er kann. Dagegen geht es Akif Pirinçci , anders als Lewitscharoff, vielleicht nur darum, zu glänzen. Egal wie. Er will schnell noch reicher und berühmter werden. Und wenn es sein muss als Nachfolger von Wolf Wondratschek. „Carmen oder Bin ich das Arschloch der achtziger Jahre“ nannte der einen Gedichtband. Pirinçci aber soll schreiben, was er will. Hauptsache, wir kaufen es ihm nicht ab.

x