Kaiserslautern „Ich laufe aus“

Vor einem Jahr erhielt Tex Rubinowitz für einen Auszug aus dem Roman „Irma“ in Klagenfurt den Ingeborg-Bachmann-Preis. Jetzt ist das ganze Buch erschienen. Trägt es?

Tex Rubinowitz, 1961 in Hannover als Dirk Wesenberg geboren und nach über 30 Jahren in Wien auch als künstlerisches Multitalent durch und durch österreichisch, ist als „Witzezeichner“, Gaga-Musiker und Autor von so aberwitzigen Büchern wie „Rumgurken“, „Der Bremsenflüsterer“ oder „Die sieben Plurale von Rhabarber“ bekannt geworden. Kein Wunder also, dass sich ein leises Raunen erhob, als er, wie seine Vorgängerin Kathrin Passig Mitglied der „Höflichen Paparazzi“, vor einem Jahr in Klagenfurt den Bachmannpreis erhielt. Die Jury rühmte seinen Text über die Litauerin Irma, die koreanische Filme liebt, an Batterien lutscht und „pragmatischen“ Sex bevorzugt, als „wilde, schöne und sehr seltene Liebesgeschichte“ voll melancholischer Verzweiflung und existenzieller Lakonie, und das war nicht einmal nur Feuilletongeschwurbel. Rubinowitz ist lustig, aber kein Klamauk-Autor, nicht einmal „Humorist“; dafür ist er viel zu aufrichtig, bescheiden und klug. Allerdings verschwindet Irma rasch wieder aus dem Buch, das nicht zufällig keine Gattungsbezeichnung trägt. „Irma“ ist eine lose Sammlung von „biografischen Tragödien und Slapsticknummern“ aus Rubinowitz’ Leben, eine nichtchronologische Aneinanderreihung von Belanglosem und Wichtigem, Traurigem und Komischem, Jugenderinnerungen und Künstleranekdoten. Mit sieben Jahren wird Tex von einem Pädophilen im Gebüsch sexuell missbraucht (was bei ihm aber wie ein lustiges Kinderspiel aussieht), es folgen turbulente WG-Jahre in Lüneburg, die Zeit als Bremsfallschirmpacker beim Bund, Gelegenheitsjobs, Reisen und Begegnungen mit Frauen wie Silke, Eva, der Finnin Ritva oder der drolligen Dänin Morra. Was erfunden und was wahr ist, lässt sich schwer sagen und ist im Grunde auch egal. Die biografischen Eckdaten, an die wir uns voller Rührung erinnern – der erste Kuss, die erste Wespe im Colaglas, die erste Platte – sind ja nur der Klebstoff, der - „mal mit Zement, mal nur mit Spucke“ – den ganzen trüben Rest zusammenhält, den wir Leben nennen. Vergangenheit ist für Rubinowitz frei interpretierbare Konkursmasse, die Gegenwart interessiert ihn nicht. Was der „Charisma-Radiergummi“ zusammenfabuliert, hat einen sympathisch-anarchischen Charme, der sich allerdings Piefkes nicht unbedingt auf Anhieb erschließt. Man muss das schon mögen: Die wildwuchernden Assoziationen, die vom Hölzchen aufs Stöckchen, von Peter Maffay auf David Lynch kommen, die grotesken Theorien über den amerikanischen Sockenfetischismus und die Geheimbotschaften koreanischer Schirmchengetränke, die Abneigungen des Autors (gegen Klettverschlüsse, Schweden, Tee, Kneipenlärm) und Vorlieben (für die Sparks, obskure DDR-Rockbands, die Almadovar-Ikone Rossy de Palma und den alten Derrick). Man folgt Rubinowitz gern auf seinen mäandernden Umwegen durch seine „verkrüppelte Biografie“ und mit der Transsib bis nach Peking; man bewundert sein beharrliches Wegducken unterm Schicksal, seinen ehrlichen staunenden, gnadenlos entlarvenden Kinderblick, den Reichtum seiner minderheitsfähigen popkulturellen Referenzen und ein wenig auch die Zeichnungen seines Musikerfreunds Max Müller. Aber so schön die „zur Not mit der Brechstange konstruierten“ bizarren Koinzidenzen sind: Wenn Rubinowitz das planlose Erzählen und Assoziieren unterbricht und komplexe metafiktionale Reflexionen über Möglichkeiten und Grenzen autobiografischen Schreibens anzustellen beginnt, wird man schnell ungeduldig. Die Selbstgespräche mit sich und seinem Lektor zeugen von Rubinowitz’ nagenden Zweifeln, aber von seinen Problemen mit dem „ganzen Cut-up-Quatsch“ und der Klagenfurt-Kultur überhaupt will man eigentlich nichts hören: „Bin das ich, der das eben geschrieben hat? War es wirklich so? Habe ich etwas zu sagen? Ich habe es nicht, es ist alles nicht der Rede wert, ich kann nur, nun ja, Worte nebeneinanderstellen, unreflektiert, geplant ist da gar nichts, es passiert, ich laufe gewissermaßen aus.“ Tex Rubinowitz kann alles, höheren Blödsinn, wahre Empfindungen, auf Wirkung hin schreiben. Aber er schämt sich seiner Virtuosität fast, denn eigentlich liebt er das Fehlerhafte, das auf traurige Weise Missglückte mehr als Logik, Effizienz und Perfektion. „Ich brauch ja eigentlich auch keine Pointe“, heißt es einmal. „Pointen sind sowieso nur Fallen. Pointen sind für Bettnässer, zumindest die am Ende ,die Pointen kann man ja auch an den Anfang setzen und danach alles irgendwie versanden lassen“. Eben das ist in „Irma“ passiert. Lesezeichen Tex Rubinowitz: „Irma“. Roman. Rowohlt, Reinbek; 236 Seiten, 18,95 Euro.

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