Kaiserslautern Französisch lehren, weben lernen: Selma Wiesemann leistet ihren Freiwilligendienst in Westafrika

Selma Wiesemann hat im Freiwilligendienst in Natitingou in Bénin Weben gelernt.
Selma Wiesemann hat im Freiwilligendienst in Natitingou in Bénin Weben gelernt.

Seit September vergangenen Jahres arbeitet Selma Wiesemann aus Kaiserslautern im Freiwilligendienst in in einem Ausbildungszentrum für Weberinnen in Westafrika. Wie ihr Alltag dort aussieht, weshalb sie als Atheistin nun gerne Gottesdienste besucht und warum Freiwilligendienste in Ländern des globalen Südens auch kritisch zu betrachten sind, erzählt sie im Gespräch mit der RHEINPFALZ.

Im März 2020 hattest du dein Abitur in der Tasche – anstatt direkt eine Ausbildung oder ein Studium zu beginnen, hast du dich für einen Freiwilligendienst im Ausland entschieden. Warum?
Das war für mich schon immer klar. Bei Schüleraustauschen habe ich gemerkt, dass mir der kulturelle Austausch viel gibt. Außerdem ist es eine gute Möglichkeit, Sprachen zu lernen und selbstständiger zu werden. Hinzu kommt, dass ich noch nicht weiß, was ich studieren möchte. Der Freiwilligendienst verschafft mir Zeit, das herauszufinden.

Wie hast du dir den Einsatzort ausgesucht?
Ich habe das von den Projekten vor Ort abhängig gemacht – ich wollte den Dienst über weltwärts machen und habe mir Einsatzmöglichkeiten in Lateinamerika und Afrika angesehen. Als ich von dem Ausbildungszentrum in Bénin gelesen habe, wusste ich, dass ich dahin möchte. Und mit der Kinderhilfe Westafrika habe ich eine Entsendeorganisation gefunden, die vergleichsweise klein ist und einen engen Kontakt zu ihren Freiwilligen pflegt. Das war mir wichtig.

Was sind deine Aufgaben aktuell?
Alphabetisierung. Ich gebe Einzelunterricht in Mathe, Französisch und Sport für 15 Mädchen und Frauen in einem Ausbildungszentrum für Weberinnen. Fünf von ihnen können noch nicht lesen, da arbeiten wir dran. Außerdem plane ich mit anderen Freiwilligen ein Projekt zum Thema Gesundheit, es soll um die Periode, Verhütung und Schwangerschaft gehen.

Du hast keine pädagogische Ausbildung. Hast du das Gefühl, dennoch gute Arbeit leisten zu können?
Es war schon schwierig am Anfang. Mittlerweile habe ich mich aber eingearbeitet. Der Kritik, dass auch in den Ländern des globalen Südens eher Fachkräfte gebraucht werden, als Schulabsolventen ohne Ausbildung stimme ich zu.

Andere Freiwillige haben auch negative Erfahrungen gemacht, sie langweilen sich oder fühlen sich ausgebeutet. Kennst du das?
Am Anfang habe ich mich überfordert gefühlt. Ich wurde ziemlich ins kalte Wasser geschmissen. Es hieß: Hier ist die Gruppe, unterrichte die mal. Das Selbstbewusstsein und die Herangehensweise musste ich mir erstmal erarbeiten. Auch waren meine Französischkenntnisse am Anfang noch nicht so gut, das war anfangs auch eine Herausforderung. Um die Weihnachtszeit war dann in der Weberei viel zu tun und die Auszubildenden hatten keine Zeit für Unterricht. Da hatte ich quasi zwei Monate lang nichts zu tun, da war mit ziemlich langweilig. Da habe ich mich schon gefragt: Was ist gerade der Zweck davon, dass ich da bin? In dieser Zeit habe ich dann aber auch das Weben gelernt.

Weben, wie funktioniert das?
Das Weben besteht aus drei Arbeitsschritten: Fäden aufspannen, die Fäden am Webstuhl befestigen und dann das eigentliche Weben. Ich habe mit den leichteren Arbeiten begonnen und mich dann rangetastet. Das hat mir viel gegeben: Ich konnte mehr in die Kultur eintauchen und habe das Gefühl, die Frauen nun besser zu verstehen.

Was hast du über die Kultur deines Gastlandes gelernt?
Ich bin Atheistin, gehe hier aber gerne in die Kirche. Religion und Spiritualität hat hier einen ganz anderen Stellenwert. Auch der Gottesdienst ist anders als in Deutschland. Hier kommen die Menschen zusammen, singen und tanzen, so für drei Stunden. Auch die Küche ist eine andere: hier wird zum Beispiel häufig Maisbrei gegessen, der in einem großen Kessel über dem offenen Feuer zubereitet wird. Für mich war auch eine Herausforderung, so schwere Lasten auf dem Kopf zu transportieren. Letztens habe ich da ein persönliches Ziel erreicht: Den Bidon mit 25 Litern zum Haus meiner Gastfamilie zu tragen. Danach konnte ich meine Arme erstmal nicht mehr bewegen.

Dass du deinen Freiwilligendienst in Bénin machen kannst, kostet Geld. Einen Teil bezahlt der Bund, 3000 Euro musst du selbst über Spenden einwerben. Von dem Geld, was du zahlst, könnte aber auch ein Arbeitsplatz finanziert werden.
Das Geld wird ja auch in die Hand genommen, damit ein kultureller Austausch zu Stande kommt, dass man einen Eindruck gewinnt, wie es vor Ort ist. Durch den Dienst wird man sich noch mal bewusst, dass wir alle auf einer Welt leben und globale Probleme lösen müssen. Außerdem engagieren sich viele Freiwillige auch nach dem Dienst noch entwicklungspolitisch. Letztendlich muss ich aber auch sagen: egoistische Motive spielen mitunter eine Rolle, der Dienst bringt mich in meiner persönlichen Entwicklung weiter.

Rwothomio Gabriel, Social Media Manager bei No White Saviors, sagt in einem Interview mit der ZEIT: „Wenn weiße Menschen die Probleme Afrikas lösen wollen, sollten sie bei sich zu Hause anfangen.“ Ist da was dran?
Ich persönlich habe nie den Anspruch gehabt, die Probleme Afrikas zu lösen, ich habe mich nie als Helferin gesehen. Ich denke, dass der Dienst dazu beiträgt, junge Menschen zu bilden und zu sensibilisieren und das auch als „zu Hause anfangen“ gesehen werden kann. Ich kann die Kritik an solchen Freiwilligendiensten im Allgemeinen nachvollziehen. Auch, dass postkoloniale Denkmuster reproduziert werden. Ich meine, Bénin hat nicht um Freiwillige gebeten. Aber weltwärts reagiert auch auf die Kritik: neben dem „Nord-Süd-Projekt“ gibt es auch das „Süd-Nord-Projekt“. Darüber können Freiwillige aus Bénin einen Dienst in Deutschland machen.

Viele Freiwillige finden durch ihren Dienst auch ihren Traumberuf. Du auch?
Nein, leider nicht. Ich möchte zum Wintersemester anfangen zu studieren und bewerbe mich gerade auf verschiedene Studiengänge. Da ich gerade noch sehr weit weg bin und mit dem Kopf ganz woanders, ist es nicht leicht, sich damit auseinander zu setzen.

Zur Sache: Der Freiwilligendienst

Kultureller Austausch, etwas für andere tun, Sprachen lernen, Orientierung finden, die Komfortzone verlassen – die Gründe, aus denen sich junge Erwachsene nach ihrem Schulabschluss für einen Freiwilligendienst entscheiden, sind vielfältig. Für Selma Wiesemann (20) stand fest: nach dem Abitur im März 2020 in Kaiserslautern geht es für ein Jahr nach Bénin, Westafrika. Das Angebot an Freiwilligendiensten für Schulabsolventen ist groß: Es gibt acht verschiedene, staatlich geförderte Dienste. Die bekanntesten sind wohl das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) und der Bundesfreiwilligendienst. Selma Wiesemann hat sich für „weltwärts“ entschieden, den entwicklungspolitischen Dienst des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Über das Programm reisen Freiwillige zwischen 18 und 28 Jahren für sechs bis 24 Monate in Länder des globalen Südens. Welche Arbeiten vor Ort verrichtet werden, hängt davon ab, für welche Entsendeorganisation und welchen Einsatzort sie sich bewerben. Selma hat sich für ein Projekt der Kinderhilfe Westafrika entschieden und unterrichtet Weberinnen in Ausbildung in Mathe, Französisch und Sport. Ein Dienst kostet mit Unterkunft, Transport, Verpflegung und Betreuung der Freiwilligen etwa 12.000 Euro. Drei Viertel der Kosten trägt dabei der Bund, die verbleibenden 3000 Euro sollen von den Freiwilligen als Spenden eingeworben werden. Selma Wiesemann hat dafür mit einer Freundin Motivkuchen gebacken und in der Nachbarschaft verkauft, oder in der Kaiserslauterer Fußgängerzone Flöte gespielt. Während des Diensts schreibt sie einen monatlichen Newsletter an Nachbarn und Verwandte, die sie unterstützen. Wer für ihre Arbeit Spenden möchte kann dies tun unter Kinderhilfe Westafrika e.V.; Sparkasse Gera-Geiz; IBAN: DE03 8305 0000 0000 6521 64; BIC: HELADEF1GER; Verwendungszweck: Selma/Webzentrum, Name Spender und Adresse

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