Kaiserslautern Früh über Nachfolge nachdenken

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Den Arbeitskittel an den Nagel hängen, das Steuer aus der Hand geben, den Chefsessel freimachen – für eine der wichtigsten Entscheidungen im Unternehmerdasein, die Betriebsübergabe, gibt es im Volksmund eine Vielzahl zutreffender Redewendungen. Die Betriebsübergabe ist neben der Gründungsphase die wichtigste strategische Phase in einem Unternehmen. Im Landkreis Kaiserslautern werden sich in den nächsten Jahren viele Firmeninhaber, die sich dem Rentenalter nähern, mit dieser Thematik befassen müssen. Aufgrund der Komplexität eines solchen Vorgangs kann und sollte auf eine sehr sorgfältige und langfristige Planung nicht verzichtet werden. Das hat auch Sybille Lauterbach erfahren. Für die Hotelbetriebswirtin, die weltweit unterwegs war, stellte das Angebot der Eltern Hildegard und Rudolf Junk, das altehrwürdige, etwas in die Jahre gekommene Familienhotel „Pfälzer Hof“ in der Innenstadt von Kaiserslautern zu übernehmen, keine erfüllende Perspektive dar. „Erst eine befreundete Architektin mit einem Faible für alte Gebäude weckte mit ihren Ideen und Skizzen mein Interesse.“ Erste Gespräche mit Michael Schaum, dem Leiter des Dienstleistungszentrums der Industrie- und Handelskammer Kaiserslautern (IHK), hätten dann gezeigt, „dass meine Vision von einem Hotel der etwas anderen Art durchaus umsetzbar wäre“. Die erste Hochrechnung mit einem Volumen von 1,2 Millionen Euro ließ allerdings Zweifel aufkommen. „Nicht nur unser Steuerberater, sondern auch der Sachbearbeiter der Hausbank legte die Stirn in Falten“, erinnert sich Lauterbach. Das dämpfte jedoch nur kurzfristig ihren Enthusiasmus. Nach neunmonatiger Sanierung und weiterhin fachkundiger Beratung durch die IHK und den Hotel- und Gaststättenverband eröffnete Sybille Lauterbach im September 2009 gegenüber der Fruchthalle ihr „Art-Hotel“. Heute ist in Kunst und Kulturkreisen das „Art“ eine feste Größe. Abwechselnde Ausstellungen und die direkte Nähe zu Pfalztheater und Fruchthalle prägen den Kundenkreis des Hotels. Die familiäre Atmosphäre tut ein übriges. Für Michael Schaum ist es „ein attraktives Musterbeispiel für eine gelungene Übergabe im Hotel- und Gasstättengewerbe“. Schaum ist fast täglich mit Anfragen zum Thema Betriebsübernahmen aus dem Bereich Gewerbe, Handel, Hotel und Gastronomie konfrontiert. „Grundsätzlich bieten wir eine kostenlose, umfassende Einstiegsberatung für angehende Existenzgründer. Dazu zählen auch Jungunternehmer, die vielleicht gerade das elterliche Unternehmen übernommen haben oder übernehmen wollen. Selbstständigkeit kann schön sein, fordert aber viel Einsatz und Flexibilität. Nicht jeder ist dazu geeignet“, sagt der Experte. Eigentlich sei es ein Kompliment an die Eltern, wenn Kinder Interesse am elterlichen Betrieb zeigten. Was Michael Schaum für den Bereich Gewerbe, Handel und Gastronomie anbietet, leistet Bernd Bauerfeld für Handwerker. Der Leiter des Geschäftsbereichs Betriebsberatung und Gewerbeförderung bei der HWK Pfalz in Kaiserslautern ist seit 1989 mit der Problematik Betriebsübergabe bestens vertraut. Allein im Stadtbereich Kaiserslautern sind 1156 Handwerksbetriebe ansässig. Im Landkreis sind es 1580. Im Jahre 2015 wurden über 900 Beratungen eingeleitet. 15 Prozent davon bezogen sich auf Betriebsübergaben im familiären Bereich. Ein Expertenteam aus den Bereichen Betriebswirtschaft, Technik, Arbeits- und Umweltschutz steht Bauerfeld zur Seite, um die täglich eingehenden Anfragen zu bearbeiten und letztendlich den Prozess zur Betriebsübergabe zu steuern, aktiv vorzubereiten und Zahlen zu analysieren. Für Mitglieder der HWK ist das kostenlos. Bauerfeld rät: „Spätestens mit dem 50. Geburtstag sollte ein Unternehmer sich über die Betriebsübergabe ernste Gedanken machen.“ Denn nicht selten erstrecke sich die Zeitspanne zwischen ersten Überlegungen und letztendlicher Übernahme in der Praxis auf circa zehn Jahre. Verschiedene Alternativen müssten durchdacht, rechtliche, erbrechtliche und steuerliche Voraussetzungen berücksichtigt werden. Finanzielle Aspekte, aber auch familiäre, und, nicht zu unterschätzen, emotionale Gründe gelte es zu überprüfen und zu verarbeiten. Zu alledem hatte die Familie Grub keine Zeit. Ein Schicksalsschlag änderte ihr Leben schlagartig. 2015 starb Gert Grub, 59 Jahre alt und Inhaber eines Abschleppdienstes und einer Autoverwertung mit Sitz in Kaiserslautern und Siegelbach. Für Ehefrau Gabriele Grub (58) und die 38-jährige Tochter Nicole stand plötzlich die Zeit still. Auf einmal sahen sie sich in der Verantwortung für zwei Betriebe, die noch immer eine reine Männerdomäne sind. Auch Bernd Bauerfeld bewegte die Nachricht vom Tod des langjährigen HWK-Mitglieds Grub sehr. Also bot er der Familie Beratung an. Die HWK-Mitarbeiter leiteten erste Schritte zum Überwinden der Krise ein. Ausnahmegenehmigungen wurden angefordert, Gutachten erstellt, die Betriebszahlen analysiert. Für Bauerfeld und sein Team war es eine Herausforderung, schnell und gleichzeitig sachkundig die nötigen Maßnahmen für eine Firmenübernahme einzuleiten und zu begleiten. Das scheint gelungen zu sein. Heute, ein Jahr später, leiten Gabriele Grub und Nicole Nonnengart-Grub gemeinsam mit Erfolg die Firma. Fünf Mitarbeiter sind dankbar, dass durch die Übernahme ihr Arbeitsplatz erhalten blieb. Für Bauerfeld steht fest, dass Übernahmen immer dann gut über die Bühne gehen, wenn die Beteiligten immer wieder bis zum Abschluss des Prozesses den Sachstand im persönlichen Gespräch kritisch hinterfragen. Schönfärberei sei bei Nachfolgefragen für beide Seiten eine schlechte Lösung. |Foto: Gillen

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