Kaiserslautern Ein Klassiker im Plural

Heute wird der Welttag des Buches gefeiert – unter anderem, da der 23. April der Todestag von William Shakespeare ist. Über seinen Geburtstag ist etwas weniger bekannt, er soll aber auch in diesen Tagen liegen. Zwischen 23. und 26. April vor 450 Jahren soll der größte Literat der Welt geboren worden sein, über dessen Identität jedoch noch immer gestritten wird.

Preisfrage: Wer war „Sheik Zubayr bin William“? Der größte Dichter der Weltliteratur, meinen manche. Der arabische Gelehrte soll im späten 16. Jahrhundert durch einen Schiffbruch nach England gekommen sein, rasch die Landessprache erlernt und zwischen 1591 bis 1611 als „William Shakespeare“ eine Menge Dramen verfasst haben. Diese märchenhaft klingende Gestalt ist nur einer von 79 Kandidaten, die als Verfasser von Shakespeares Werken diskutiert werden, berichtet die Münchner Anglistin Ina Schabert in ihrem aktuellen Shakespeare-Buch. Historisch belegt ist jedenfalls der Schauspieler, getauft am 26. April 1564 in Stratford-on-Avon als Sohn des Handschuhmachers John Shakespeare auf den Namen William. Daneben werden Königin Elisabeth I. und ihr Nachfolger, König Jakob I., genannt, William Stanley, Earl of Derby, Edward de Vere, Earl of Oxford, der Philosoph Francis Bacon und der Dramatiker Christopher Marlowe. „Shakespeares“ hat Schabert ihr Buch benannt: Der Name im Plural. Eine „unendliche Vielfalt der Shakespeare-Bilder“, selbst dann, wenn man zu dem Schluss kommt, vermutlich sei es doch der Handschuhmachersohn gewesen, der das grandiose Werk verfasst hat. Nach seinem Aufbruch von Stratford sei Shakespeare zunächst als Erzieher in einem vornehmen Haushalt tätig gewesen, bevor er ans Globe-Theater ging, vermuten viele Biografen. Dort habe er den adligen Lebensstil kennengelernt und die Bibliothek nutzen können. Alles möglich – und alles unbeweisbar. Fallen in diese Jahre auch die „two loves“, von denen die Sonette so geheimnisvoll erzählen? Also die Beziehungen zu dem „sweet boy“, einem androgyn gezeichneten jungen Mann, dem der Dichter seine Huldigungen entgegenbringt, und der „dark lady“, die ihn anzieht und zugleich abstößt? Biografen und Romanciers haben versucht, die beiden Figuren namhaft zu machen. Dabei ist völlig ungewiss, ob den Sonetten wirklich Autobiografisches zugrunde liegt. Alle Entschlüsselungen seien „rein fiktionale Kreationen“, schreibt Schabert. Die „two loves“ sind eben vor allem Dichterlieben, mit allen Reizen des „Vielleicht“, die der Leser darin sehen will. Schabert zitiert ein „Dichtergespräch“ von Arno Schmidt. Darin sagt Shakespeare: „Sie haben viel an mir herumgerätselt, aber ich bin ihnen entkommen; nur meine Dramen stehen noch da – dies genügt!“ Der Gesprächspartner widerspricht: „Nein, Shakespeare, dies genügt nicht. Immer wird beim Leser der Wunsch bestehen, auch die Persönlichkeit kennenzulernen: vom Buch zum Dichter vorzustoßen.“ Und da bleibt im Fall Shakespeare eben nur die höchst fragwürdige Methode der Rekonstruktion aus den Versen; die erhaltenen Dokumente zu Shakespeares Leben betreffen nur Äußerlichkeiten. Einen Höhepunkt dieses Verfahrens brachte Sigmund Freuds Psychoanalyse: Zur Entstehungszeit des „Hamlet“ seien im Dichter frühkindliche ödipale Vorstellungen wieder virulent geworden. Nicht nur der Mann, auch sein Werk wird unterschiedlich wahrgenommen, führt Schabert aus. Für Engländer stehe das Bild der starken, notfalls zu kriegerischem Kampf bereiten Nation aus „Heinrich V.“ im Vordergrund; der Vers vom „Edelstein, gefasst in die Silbersee“ aus „Richard II.“ fehlt in keiner patriotischen Rede. Mit dem „kontinentalen Shakespeare“ dagegen lässt sich kein Empire gründen oder verteidigen. Sein Repräsentant ist der grüblerische Hamlet, der weiß, dass etwas faul ist im Staate Dänemark, in der eigenen Familie, im Grunde in der Welt selbst. Doch „Shakespeares“ will auch so etwas wie den „wahren“ Shakespeare hinter den vielen Bildern aufspüren. Vieles weise darauf hin, meint Schabert, dass Shakespeare „hauptsächlich für seine Kunst lebte, in dieser Kunst aufging“. Für viele von uns erhält Shakespeare denn auch sein Gesicht durch die Schauspieler, die seine Figuren verkörpert haben. 1991 brachte der 86-jährige John Gielgud den Zauberer Prospero in dem vielleicht letzten Stück, das Shakespeare ohne Ko-Autoren verfasst hat, dem „Sturm“, auf die Leinwand. Ist der Zauberer, der am Ende seiner magischen Kunst entsagt, ein Selbstporträt des Dichters? Generationen haben es so gesehen. Die „innere Biografie“, die der Philologe Edward Dowden 1875 entwarf, wurde beinahe kanonisch. Dieser Darstellung zufolge „gelangte der Dramatiker nach einer Komödien-Phase des unbekümmerten Experimentierens, einer Historien-Phase des disziplinierten Realitätsbezugs und einer seelischen Krise, der die Tragödien Ausdruck verleihen, mit den Romanzen und dem ,Sturm′, zu einer fast schon jenseitigen Distanz zum menschlichen Treiben.“ Der „Sturm“ schließt disharmonisch. „Verzweiflung ist mein Lebensend′“, sagt Prospero. Dutzende von Biographen haben das als das letzte Wort auch des Autors genommen. Aber auch das ist eben nur eines von vielleicht unendlich vielen Shakespeare-Bildern.

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