Kaiserslautern Die nicht so ferne Zukunft

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Eine Energiekrise bringt Europa an den Rand eines Krieges: Der intensive Politthriller „Occupied“ aus Norwegen hat den neuen Wettbewerb „Internationale Serien“ des Filmfestivals Mannheim-Heidelberg gewonnen. Erste Preisträger des „New Creators Award“ sind Autorin Karianne Lund und ihr Regisseur Erik Skjoldbjærg. Lobende Erwähnungen gingen nach Dänemark für den ebenfalls starken Politthriller „Follow The Money“ und nach Deutschland für die gelungene Neonazi-Satire „Familie Braun“.

Wir schreiben die nahe Zukunft. Auf der arabischen Halbinsel wird nach schweren Bürgerkriegen kein Öl mehr gefördert. Die USA sind aus der Nato ausgetreten und energiewirtschaftlich autark. Norwegen erklärt nun das Zeitalter der fossilen Brennstoffe für beendet. Das Land stellt unter Ministerpräsident Jesper Berg die Gas- und Ölförderung ein, setzt stattdessen auf Thorium-Energie und stürzt so die EU in eine Energiekrise. Doch dann wird Berg entführt und „umgedreht“ – von der EU, die Russland als „Helfer“ einschaltet. Norwegen wird russisch besetzt, doch stört sich die Bevölkerung überhaupt daran? Schließlich geht es wirtschaftlich wieder voran. „Occupied“ lässt schaudern. Ist das Szenario – die Serie basiert auf einer Idee von Krimiautor Jo Nesbø – tatsächlich so unwahrscheinlich, wie es zunächst klingt? Wie labil ist das politische Gefüge der Welt? Karianne Lund und Erik Skjoldbjærg, der vom Kino kommt („Insomnia“, „Pioneer“), zeigen Norwegen als ein Land, das alles richtig machen will und doch auf die Katastrophe zusteuert: ein Land, in dem Hautfarbe und Geschlecht keine Rolle spielen und sogar Militärs bei heißen Reden besonnen die Merkel-Raute machen. Die Pilotfolge ist hochspannend, exzellent gespielt, erschütternd aktuell und macht Lust auf mehr: nachzuprüfen ab 19. November auf Arte, wo „Occupied – Die Besatzung“ donnerstags ab 20.15 Uhr laufen wird. „Occupied“ war klar der beste Beitrag des Wettbewerbs, der insgesamt ein sehr hohes Niveau hatte. Kurator ist der Medienjournalist Torsten Zarges vom Fachmagazin DWDL, der acht Beiträge ausgesucht hatte: aus Schweden eine Komödie über eine abgehalfterte Boygroup („Boy Machine“), eine atmosphärische Mysteryserie aus der französischen Schweiz („Anomalia“), eine ernüchternde Serie über Schulgewalt aus Australien („The Principal“), ein komplexes Rachedrama aus Kanada („Le Clan“), die Politthriller aus Norwegen und Dänemark, die beide den Energiewandel als Ausgangsszenario wählen (zu „Follow The Money“ siehe RHEINPFALZ von 12. Oktober) und aus Deutschland zwei Beiträge: Die Vox-Jugendserie „Der Club der roten Bänder“ über schwer kranke kindliche Krankenhauspatienten arbeitet mit flapsigem Humor und einem Hauch von magischem Realismus. Treffender im Humor noch und verdient mit einer lobenden Erwähnung ausgezeichnet ist die Webserie „Familie Braun“ (acht mal 5 Minuten), die zusammen mit dem ZDF entstand: Neonazi Thomas Braun (Edin Hasanovic) muss sich plötzlich um die sechsjährige Lara kümmern, seine ihm bis dahin unbekannte Tochter. Lara ist schwarz, was Thomas’ Mitbewohner Kai, einen noch strammeren Nazi, fassungslos macht. Doch die putzige Lara bringt das wirre Weltbild der tumben Tore bald ins Wanken. „Familie Braun“ ist ein geglücktes Wagnis, das anarchischen Charme statt platten Witz bietet. „Als ich die Idee hatte, wusste ich nicht, wie aktuell die Serie werden würde. Ich hoffe, dass sie auch ein bisschen hilft bei den Diskussionen, die wir nun führen müssen“, sprach Entwickler Manuel Meimberg bei der Preisverleihung die aktuelle Flüchtlingsdebatte an. Nicht nur um Umhaltung geht es den neuen Serienmachern also, sondern auch um gesellschaftliches Engagement. Und um Filmkunst. In Serien können sich Kreative austoben, haben genug Zeit, um Figuren zu entwickeln und um mit langem Atem zu erzählen. Serien sind damit derzeit auch für große Kinoregisseure als Raum der Innovation verlockend. Tom Tykwer arbeitet gerade an der Serie „Babylon Berlin“, David Fincher schrieb mit „House Of Cards“ TV-Geschichte, Steven Soderbergh („The Knick“) will gar kein Kino mehr machen, und Cary Fukunaga drehte nach „Sin Nombre“ und „Jane Eyre“ die beliebte Serie „True Detective“. Sind Serien die neue langfristige Beziehung, während das Kino nur noch ein kurzes Date ist? Der Roman des 21. Jahrhunderts, während die Kurzgeschichte ausstirbt? Sind sie das neue verbindende Gesprächsthema im Alltag oder führen sie zu neuer Vereinsamung, da ganze Wochenenden vor Bildschirmen verbracht werden? Zumindest sind sie „Neuland“ fürs Filmfestival, wie Festivaldirektor Michael Kötz sagt, der sich durchaus sorgt: „Man muss das Kino nicht totsagen, aber es ist zu einem Ort des Events geworden und hat seine Königsposition verloren.“ Von zwei Welten spricht er, die erst noch zueinander finden müssen. Die Expertenjury des Festivals, die vor der Verleihung des neuen Preises über den neuen Serienboom diskutiert hat, sieht weniger Gegensätze. „Es sind für mich keine getrennten Welten mehr“, meint der Mannheimer TV-Produzent Nico Hofmann, der auch Impulsgeber des neuen Serienwettbewerbs auf dem Festival in Mannheim ist, dessen lange Tradition als Plattform für Innovationen der ideale Rahmen für die neue Reihe sei. „Grenzen gibt es nicht. Die Leute werden auch wieder zurück ins Kino gehen.“ Doch ziehe es Kreative eben immer dort hin, wo gerade die Entwicklungen stattfinden. „Kino und Fernsehen werden sich ergänzen, Kino lebt durch die große Leinwand und das Gemeinschaftserlebnis“, sagt auch Marcus Ammon, Senior Vice President Film von Sky Deutschland und zuständig für alle Serieneinkäufe. Beim Filmfestival allerdings fremdelt das Publikum mit dem neuen Serienwettbewerb noch: Die Zuschauerzahlen sind bescheiden, obwohl es sogar vergünstigte Eintrittskarten gibt. Sinniger als Einzelfolgen anzusetzen, wäre jedoch wohl ein kleiner Serienmarathon gewesen, zwei vierstündige „Events“, um Appetit zu machen auf die tatsächlich vielversprechenden Serien, von denen es eben meist noch keine kompletten Staffeln gibt. Andererseits ist das Nein zum Serienformat auf dem noch bis Samstag laufenden Festival vielleicht auch als Ja zum guten alten Kinofilm zu verstehen.

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