Kaiserslautern Die Macht der Illusion

Ein doch überraschend deutlicher Sieg des Schauspielerfilms „Birdman“ prägte die 87. Oscarverleihung: Der Film über Größenwahn und Demut gewann vier Haupt-Trophäen. Viel Ehre in Gestalt von vier Oscars gab es zudem für die Optik der in Deutschland gedrehten Komödie „Grand Budapest Hotel“. Und doch setzte die Oscarshow wieder deutliche politische Zeichen – auch in den Reden der Gewinner aus jenen Filmen mit großen Anliegen, die nur eine Trophäe erhielten.

Für die Gleichberechtigung von Frauen und gerechte Löhne wurde da geworben, ein Ende der Diskriminierung der Afroamerikaner in den USA gefordert, auf den großen Beitrag Mexikos zum Einwandererland USA hingewiesen. Junge Menschen, die mit ihrer Homosexualität ringen, wurden ermutigt, und zwei Schauspieler forderten mehr Einsatz für die Erforschung von Krankheiten wie Alzheimer und ALS. Nur „Birdman“-Star Michael Keaton wollte nicht rührselig werden und schloss den Reigen der bewegenden Ansprachen ganz hedonistisch: „Ach, sind wir ehrlich: Das ist einfach ein Riesenspaß.“ Michael Keaton spielt in „Birdman“ ein bisschen sich selbst: einen Schauspieler, der einst durch eine Comicverfilmung berühmt wurde und dessen Karriere danach einbrach. Wie Keatons Batman spricht auch die Figur des Birdman, die ihm in Alejandro G. Iñárritus anarchischer Tragikomödie wie ein kleiner Teufel Allmachtsfantasien ins Ohr flüstert, mit bebend-lächerlicher Heldenstimme: „Birdman“ handelt auch davon, über sich selbst lachen zu können und Film und Leben nicht miteinander zu verwechseln. „Ich nehme meine Arbeit wichtig, nicht mich selbst“, hat Keaton über den Film gesagt, den Regisseur Iñárritu gern als „verrückt“ bezeichnet: In „Birdman“ will ein gealterter Superheldendarsteller als ernsthafter Bühnenautor, Regisseur und Schauspieler reüssieren. Eine Schnapsidee sei das Skript gewesen, kokettierte Iñarritu, als es den Drehbuch-Oscar gab. Bei den Golden Globes, verliehen von der Auslandspresse Hollywoods, lag noch Richard Linklaters Langzeitstudie „Boyhood“ vorn und gewann als „bester Film“. Doch „Birdman“ passt ideal zur Oscar-Academy, in der sich auch jede Menge gealterte Schauspieler tummeln, die sich über Insider-Witze amüsieren konnten. „Warum nur habe ich keine Selbstachtung?“, hadert im Film eine Figur einmal. Die Antwort: „Weil du Schauspielerin bist.“ „Birdman“ hat zwar keine ausgesprochen gesellschaftspolitische Botschaft, ist aber dennoch ein würdiger Oscarsieger. Alejandro G. Iñárritu beweist: Es gibt noch geniale Geschichtenerfinder, und das Kino produziert doch auch 2014/15 noch die schönsten Illusionen. Denn zum Vergnügen, das „Birdman“ beschert, tragen gerade auch die Bilder Emmanuel Lubezkis bei: Der bereits 2014 für die Kamera in Alfonso Cuaróns „Gravity“ geehrte Mexikaner drehte diesmal lange, waghalsige und zu Recht erneut mit dem Kamera-Oscar ausgezeichnete Sequenzen ohne Schnitt. Es ist durchaus bezeichnend, dass zwei Jahre in Folge mexikanische Filmschaffende Hollywood vorführen, wie spannend Kino heute noch sein kann. Vor allem in die Bilder hat sich die Oscar-Academy auch bei Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“ verliebt: Der in Görlitz gedrehte Film gewann in den Kategorien Produktionsdesign, Kostümdesign, Make-up und Filmmusik. Über die Trophäen konnten neben dem Studio Babelsberg und den deutschen Finanziers auch zwei Schauspieler mit Pfälzer Hintergrund jubeln: der im Kreis Kusel aufgewachsene Rainer Reiners (spielte Bäcker Mendl) und die in Speyer aufgewachsene Sabine Urig (als eine von Dmitris Schwestern). Eine deutsche Koproduktion – unter anderem der NDR finanzierte den Film – ist auch „Citizenfour“ über Edward Snowden, ausgezeichnet als beste Dokumentation und das größte Signal der Academy, mit ihren Preisen auch politisch sein zu wollen. Von der Gefahr, die die Überwachung durch Geheimdienste für die Demokratie darstelle, und dem Mut engagierter Journalisten sprachen in der Dankesrede denn auch US-Regisseurin Laura Poitras und das Berliner Produzentenduo Dirk Wilutzky und Mathilde Bonnefoy. Stärker noch als diese Rede wirkten aber die wahrhaft persönlich gefärbten Ansprachen: Graham Moore, der in der Kategorie „bestes adaptiertes Drehbuch“ den einzigen Oscar für „The Imitation Game“ über den homosexuellen Mathematiker Alan Turing erhielt, sprach über seine eigene Jugend: Mit 16 habe er an Selbstmord gedacht, weil er sich so falsch in seinem Körper fühlte. Nun sprach er verstörten Jugendlichen, die sich anders und seltsam fühlen, weltweit Mut zu: „Bleibt euch treu, bleibt seltsam, vielleicht könnt auch ihr einmal hier oben stehen.“ Patricia Arquette, die als Einzige für „Boyhood“ geehrt wurde, wiederum brach eine Lanze für Mütter: für Frauen, die allein eine Familie durchbringen müssen und für ihre Arbeit schlechter bezahlt werden als Männer – wie ihre Filmfigur. Zu Tränen aber rührten erst die Musiker John Legend und Common (bürgerlich: Lonnie Lynn) das Publikum: Ihr Song „Glory“ aus „Selma“ gewann den einzigen Oscar für diesen ersten großen Film über Martin Luther King. Heute säßen mehr Schwarze in den USA im Gefängnis als einst versklavt waren, riefen sie in Erinnerung. Und erneut werde schwarzen Wählern der Zugang zu den Urnen erschwert. Regisseurin Ava DuVernay hatte im Vorfeld die Academy dafür kritisiert, außer „Selma“ keine afroamerikanische Produktion berücksichtigt zu haben. Umso mehr fiel auf, dass sich zumindest die Produzenten der Oscarshow um Ausgewogenheit bemühten: Selten vergaben so viele schwarze Akteure auf der Bühne Oscars wie dieses Jahr. Während die Witze von Moderator Neal Patrick Harris („How I Met Your Mother“), der als „Birdman“-Zitat auch mal nur in Unterhose auftrat, eher brav und trocken blieben, fiel die Vergabe der Schauspielpreise ebenfalls höchst emotional aus: Beide Ehrungen gingen an Filme über schwer Erkrankte. Eddie Redmayne gewann für seine Darstellung von Stephen Hawking in dem recht süßlichen Film „Die Entdeckung der Unendlichkeit“. Der Brite stiftete, begleitet von kleinen Luftsprüngen, die Trophäe allen ALS-Leidenden. Julianne Moore, die nach vier früheren Nominierungen für „Still Alice“ (ab 5. März in den Kinos) ihren ersten Oscar gewann, führte nochmals vor Augen, worum es ihrem Filmteam in diesem Porträt einer noch jungen Alzheimerkranken ging: Ein Leiden, das nur allzu gern verdrängt wird, rückt ins Licht der Öffentlichkeit.

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