Kaiserslautern Der Traum vom Weltreich

Die Ausrufung eines Kalifats in den von den Isil-Dschihadisten (die sich in IS, „Islamischer Staat“, umbenannt haben) kontrollierten Gebieten in Syrien und dem Irak versetzt die Welt in Aufregung. Seit der Abschaffung des Kalifenamtes, das zuletzt die sunnitischen osmanischen Herrscher innehatten, durch Kemal Atatürk im Jahr 1924 geistert der Traum von der Wiedererrichtung eines islamischen Weltreichs durch die Köpfe muslimischer Eiferer. Am leidenschaftlichsten wurde diese Institution in ihrer Endphase von indischen Muslimen verteidigt, die den türkischen Kalifen als ihr Oberhaupt verehrten. Sie setzten sich nach dem Ersten Weltkrieg vehement, aber vergebens bei den Briten für die Beibehaltung des Kalifats ein. Doch ihre Anführer hatten – und dies zieht sich seither wie ein roter Faden durch die Geschichte der Kalifatsnostalgie – eine unrealistische Vorstellung von der islamischen Welt, die damals schon gespalten war. Bei den Arabern waren die Türken als Fremdherrscher verhasst. Ihre endgültige Befreiung von der osmanischen Herrschaft förderte in der arabischen Welt den Wunsch, dort das Kalifat wieder auferstehen zu lassen – und der erste Versuch kam prompt. Im März 1924, unmittelbar nachdem die Kemalisten in der neu gegründeten türkischen Republik die Institution des Kalifats abgeschafft hatten, ließ sich der Scherif von Mekka, Hussein Ibn Ali, der sich seit 1916 als „König von Arabien“ betrachtete, zum neuen Führer der islamischen Gemeinschaft ausrufen. Anerkannt wurde er außerhalb seines Anhängerkreises jedoch nicht. Die Wiedererrichtung des Kalifats schrieb sich dann die 1953 von dem palästinensischen Rechtsgelehrten Taqi al-Din al-Nabhani gegründete Fundamentalistenorganisation „Hizb al-Tahrir al-Islami“ (Islamische Befreiungspartei) auf die Fahnen. Al-Nabhanis Kalifatsideologie stützte sich zwar auf die Gedankenwelt des mittelalterlichen Bagdader Gelehrten Abul Hassan al-Mawardi. Doch erweiterte sie der Palästinenser noch um moderne Elemente wie etwa die Gewaltenteilung, was sein Programm in den Augen militanter Islamisten diskreditierte. Diese ließen sich von der Kalifatstheorie des indisch-pakistanischen Publizisten Sayyid Abul Ala Maududi, der sein Konzept von einem islamischen Staat gezielt als Gegenentwurf zur demokratischen Staatsform entwickelte, inspirieren. Bis die ägyptische Terrorgruppe „Islamischer Dschihad“, der auch der jetzige Al-Qaida-Chef Ayman al-Zawahiri angehörte, auf den Plan trat und 1979 das folgenreiche Manifest ihres Anführers Abdelsalam Faradsch, „Die vernachlässigte Pflicht“, veröffentlichte. Es gab der militanten Bewegung eine neue Richtung. Sie sollte nurmehr nicht nur auf einen Umsturz der „abtrünnigen“ arabischen Regierungen hinarbeiten. Faradsch erhob auch die Teilnahme an diesem „Dschihad“ ebenso zur Pflicht eines jeden Muslims wie die aktive Mitwirkung an der Wiederbelebung des Kalifats. Diesen revolutionären Gedanken brachte al-Zawahiri in die Ideologie der Al Qaida ein. In seinem 2001 veröffentlichten Pamphlet „Ritter unter dem Banner des Propheten“ verpflichtete er die Dschihad-Bewegung zur Gründung eines islamischen Staates auf muslimischem Gebiet. In einem solchen sah er allerdings lediglich eine Operationsbasis, von der aus der Kampf um die Wiedererrichtung des Kalifats geführt werden sollte – es sollte sich nach dem Vorbild des Reichs der ersten vier „rechtgeleiten Kalifen“ richten. Von ebendiesem Ideal lässt sich auch IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi, der sich nach dem ersten Kalifen (Abu Bakr) nennt, leiten.

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