Kaiserslautern Der Möglichkeitsraum

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Am Montag entscheidet der Kaiserslauterer Stadtrat über Übermorgen. Über einen Rahmenplan für ein Entwicklungsgebiet. Es geht um ein Sahnestück Innenstadt. Den Möglichkeitsraum der Westpfalzkapitale. Das seit 2009 brach liegende Pfaff-Gelände. Wie es genutzt wird, dafür sind Konzepte wie der Rahmenplan maßgeblich. Er stellt eine städtebauliche Willensbekundung dar. In 30 Jahren wird man wissen, wie gut sie war. Und was das taugt, was darauf gemacht wurde. Eine Geschichte mit Bürgerbeteiligung und Zukunft.

Pfaff? Ja, war mal groß. Eine Nähmaschinen-Firma aus Kaiserslautern, weltberühmt. Eine Identifikationsmarke, Erbgut, K-Town-DNA. „Bei’s Herr Paffe“ arbeiteten zu Hochzeiten 5000 Leute in der Stadt, die Hälfte der Belegschaft insgesamt. Jahresumsatz 1985: eine Milliarde Mark. Das Pfaff-Areal ist rund 20 Hektar groß, die Dimension von an die 30 Fußballfelder. Mittlerweile expandiert hinter der massigen Sandstein-Fabrik-Mauer nur noch Verfall. Büsche wachsen. Scheiben, eingeschlagen. Brandspuren überall. Das Gelände, das die Zukunft der Stadt sein könnte, ist auf den ersten Blick in Agonie begriffen. Pfaff wurde 1862 vom Kaiserslauterer Instrumentenbauer Georg Michael Pfaff (1823–1893) gegründet. Was davon übrig blieb, gehört seit 2013 der chinesischen SGSB Group Co. Ltd. Dazwischen liegen Aufstieg und Fall. Ende der 1980er Jahre stießen die Pfaff-Erben ihre Aktienmehrheit an der G. M. Pfaff AG ab. 2009 war fini. Das Stammwerk stellte seine Produktion ein. Produziert wurde seit 1896 am Galgenberg. Damals Stadtrand. Heute 1A-Lage. Früher Fabrik. Heute Industriebrache. Südlich des Pfaff-Geländes liegt die Technische Universität Kaiserslautern. Der Uni-Park grenzt an. Und die angesiedelten Institute. Das Pfalzklinikum residiert unweit, ebenso fußläufig finden sich die Hussongschen Baudenkmäler, der Rundbau etwa. Ganz nah ist die Innenstadt. Auch naheliegend, dass in dieses Gebiet investiert wird. Das Land Rheinland-Pfalz übernimmt 32 der auf 50 Millionen Euro für den Anfang veranschlagten Investitionen für eine Revitalisierung. Den Rest muss die Stadt mit dem Verkauf der Grundstücke beischaffen. À la longue wird damit gerechnet, dass private Investitionen von 200 Millionen ausgelöst werden. Ein lohnendes Gebiet. „Keine Stadt in Rheinland-Pfalz besitzt eine solche innerstädtische Fläche mit Entwicklungspotenzial“, sagt Landesinnenminister Roger Lewentz. Großes Potenzial sieht auch Markus Neppl, Professor für Stadtquartiersplanung und Entwerfen an der TU Karlsruhe. Neppl ist Gründer von Astoc/Mess Architects and Planners, der Kölner Firma, die den Rahmenplan für das Pfaff-Gelände erstellt, über den am Montag im Kaiserslauterer Stadtrat entschieden wird. Die Grundlage für die weitere Planung. Sie sieht eine Mischnutzung aus Wohnen, Forschung/Technologie, Gesundheit und Dienstleistung vor, Büro- und Gewerbebauten, höchste Höhe: elf Stockwerke. Die „aktive Verdrahtung“ ins Umfeld außerdem. Ein Erschließungsring wird vorgeschlagen, der das gesamte Gelände zugänglich macht. Ein unterirdisches Regenrückhaltebecken, auf dem ein 5000 Quadratmeter großer Park gründet. Die historische Pfaffachse zieht sich durch den Plan, bis zum sogenannten Pfaffbalkon an der Herzog-von-Weimar-Straße. Auch eine Stadtachse ist einkalkuliert. Das Areal habe einfach zu viel Identität und Qualität, um nur ein weiteres Stadtviertel zu werden, lautet die Expertise von Astoc/Mess-Chef Neppl. Die Stadt selbst hat auf ihrer Netzseite plakatiert: „Pfaff – eine einmalige Chance.“ Oberbürgermeister Klaus Weichel, ein promovierter Zoologe, gibt sich kulanter, auch wenn seine Kritiker ihm „keinerlei Erkenntnisgewinn“ attestieren. Bisher war Weichel in dieser Sache kühl aufgetreten. Bei einer öffentlichen Vorstellung des Rahmenplans in der Fruchthalle vor Kurzem zeigte er sich geradezu offensiv angetan. Alle seien jetzt zufrieden, meinte er vielsagend. Nach 2009 und dem Ende der Pfaff-Geschichte jedenfalls dümpelte das Werks-Territorium vor sich hin. Lange. Passierte. Nichts. Bewegung kam auf, als die Besitzverhältnisse sich änderten. Und Fahrt bekamen die Dinge, dieser Eindruck drängt sich auf, erst durch eine Bürgerinitiative, die sich als Kulturinitiative versteht. Vor Ort fällt der Blick vom Eingang in der Königstraße, vorbei an dem Neuen Verwaltungsgebäude durch die klassische Werksstraße tief in die Fabrikanlagen. Zu den Werkshallen. Zum Fabrikschlot. Eine Route durch die Industriearchitektur-Historie. Vom 19. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre. Das älteste Gebäude auf dem Areal ist 121 Jahre alt, die ehemalige Gießerei. Die meisten Hallen datieren von Anfang des 20. Jahrhunderts, Funktionsbauten eher. Aber auch, na ja, karge Schönheiten wie der arg angegriffene Speisesaal. Zwei Gebäude am Eingang des Geländes sind von anerkannt höherem Wert. „Pfaff“, das rote Logo prangt auf der 1950 entstandenen Werktoranlage, die mit den beiden Pförtnerlogen unverwüstliche Repräsentativität ausstrahlt. Mit dem daran anschließenden Neuen Verwaltungsbau, geplant von dem zumindest im Südwesten bekannten Architekten Peter Paul Seeberger (1906 bis 1993), bildet sie ein Ensemble. Eine einheitliche Baugruppe, „die in sehr qualitätvoller Weise die Architekturströmungen der 1950er Jahre widerspiegelt“, wie Roswitha Kaiser urteilt. Sie meint: die typische Klinkerverkleidung etwa, die durchgehenden Glasfronten, der flexible Grundriss, das formschöne Treppenhaus. Kaiser ist die Landeskonservatorin der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, die das Ensemble aus Werktoranlage und Neuem Verwaltungsgebäude noch nicht lang in ihrer Denkmalliste führt. Im Dezember 2014 kaufte die Stadt Kaiserslautern den Großteil des Pfaff-Areals, das zu 80 Prozent versiegelt und zum Teil heftig, mit Asbest und Fluorchlorkohlenwasserstoffen etwa, belastet ist. Verkäufer: der Insolvenzverwalter einer Firma namens Black & Blue GmbH. 16,5 Hektar wechselten den Besitzer. Für einen Euro. Vier Hektar hatten vorher schon andere erworben. Ein Stück vom Kuchen gehört der privaten Pfaff Campus Projektgesellschaft (PCP GmbH & Co. KG). Zudem halten die Stadtwerke (SWK), Vorsitzender des Aufsichtsrats: Oberbürgermeister Klaus Weichel, eine Kaufoption für ein Areal im Südwesten. Noch. Sie sichert Baureife für den 31. Dezember 2018 zu. Die SWK, hieß es immer, wolle auf ihren Teil ihren neuen Firmensitz bauen. Allerdings dürfte das inzwischen passé sein. Gebaut wird ganz woanders. Die SWK will ihre Option jetzt bis Ende des Jahres zurückgeben oder vermarkten. Für die Stadt arbeitet die Referatsleiterin Stadtentwicklung, Elke Franzreb, an dem Projekt Pfaff-Gelände. Federführend ist die städtische Pfaff-Areal Entwicklungsgesellschaft mbH Kaiserslautern (PEG). Einer der beiden Geschäftsführer, Stefan Kremer, ist im Referat Umweltschutz mit Klimaschutzaufgaben der Stadt betraut. Ein grober, eher provisorischer Rahmenplan wurde erstellt, ein Schnellschuss, kein Vergleich zum jetzigen. Die PEG wollte mit Berufung auf die jetzt wahrscheinlich obsolete Baureife-Zusicherung an die SWK endlich anfangen. Im November 2015 begann sie mit Abrissarbeiten auf dem Pfaff-Gelände, die inzwischen weiter fortgeschritten sind. Gleichzeitig formierte sich dagegen professioneller Widerstand. „Das war unser Einstieg“, sagt zum Beispiel der frühere städtische Denkmalpfleger Dieter Burghaus vom Verein für Baukultur und Stadtgestaltung zu den Abrissarbeiten. Der Stadtplaner hat mit seinem Verein die Initiative „Pfaff erhalten – Stadt gestalten“ (PESG) mitgegründet. Dabei sind auch die gemeinnützige Architekturgalerie, die Künstlerwerkgemeinschaft (KWG), das Kulturkollektiv Kaiserslautern und die „raumpiraten“. Profis wie Peter Spitzley, ein Architekt. Oder Thomas Fischer, ebenfalls an der TU beschäftigt, der Know-how aus seiner Doktorarbeit über „Stadtumbau und Kultur“ mitbringt. Die PESG-Initiative ist ein Glücksfall für die Stadt und das Pfaff-Gelände, wie sich herausgestellt hat. Auch wenn man das im Rathaus womöglich nicht ganz so freudestrahlend sieht. Nach all den Kontroversen. Oft sind sich Stadt und die PESG in der Vergangenheit, um es neutral zu sagen, uneins gewesen, seit die Initiative mit Aktionen, Werkstätten, Symposien wirbelt. Auch die Sache mit dem Denkmalschutz hat sie angestoßen. Eine Online-Petition war so erfolgreich, dass sie als bundesweiter Modellfall erforscht wird. Über 2700 Menschen trugen sie mit. Bis auf drei Ausnahmen stellten dabei auch alle Stadträte ihre Position zum Pfaff-Gelände offen ins Netz. Wie das Gelände an die Innenstadt angeschlossen wird. Wie grün es wird. Wer auf dem Entwicklungsgebiet investierten soll und nach welcher Logik. Die der Investoren, oder sollen gleichberechtigt Kreative, Künstler oder Baugruppen zum Zuge kommen. Auch um den Umgang mit dem Baubestand dreht sich der Diskurs. Alles abreißen? Und wenn nicht, unternimmt die Stadt die notwendigen Sicherungsmaßnahmen? Glaubt man Beobachtern vor Ort, trieb die PESG mit ihrer Aktivität die Verantwortlichen der Kommune längere Zeit regelrecht vor sich her. Seit das Oldenburger Institut für partizipatives Gestalten für die Stadt arbeitet, laufen Bürgerbeteiligung und Diskussionen von Stadtseite in etwas konstruktiven Bahnen. Die Stadt hat in eigenen Werkstätten die Kaiserslauterer zum Mitarbeiten eingeladen. Und – auf Zuruf der PESG mutmaßlich – das erfahrene Stadtplanungsbüro Astoc/Mess für den Rahmenplan engagiert. Zu allererst wurden dafür relevante Akteure wie die Pfaff Campus Projektgesellschaft als Miteigentümer des Areals befragt, die Anwohner, die Generaldirektion Kulturelles Erbe, die PESG auch, klar. Der fertige Plan wurde, nach sanftem Druck, zugegebenermaßen, bevor der Stadtrat am Montag abstimmt, erst auch der Öffentlichkeit und dem Kaiserslauterer Gestaltungsbeirat vorgestellt. Die Stimmung war fast immer gut. Die PESG vermisst verbindliche Aussagen, wie es weitergeht. Dafür sind einige Kernforderungen der vorangegangen Diskussionen enthalten. Die Integration von Baubestand zum Beispiel. Neben dem denkmalgeschützten Entree sollen so auch Kesselhäuser, die Stirnfassade der Gießerei, die alte Verwaltung, das Hansa-Gebäude und der Speisesaal ein Fortleben haben. „Wir sind auf der Qualitätsstufe eines Dialogs angelangt“, sagt PESG-Aktivist Thomas Fischer. Und es klingt nur noch leicht süffisant.

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