Kaiserslautern Der Frühlings-Macher

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In Heidelberg dauert der Frühling etwas länger. Fast 20 Jahre nun schon. 1997 gab es die erste Auflage des Klassikfestivals „Heidelberger Frühling“. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte, wie sie im Klassik- und Festivalbetrieb der jüngeren Vergangenheit fast schon einzigartig ist. Und der Erfolg hat einen Vater, auch wenn er nicht das alleinige Sorgerecht hat: Festival-Intendant Thorsten Schmidt.

Besuch in der „Frühlings“-Zentrale am Heidelberger Friedrich-Ebert-Platz. Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm. Die grünen Flaggen, die dann wieder das Stadtbild bestimmen werden, sind noch eingelagert. Frühlingsgefühle wollen sich bei der momentanen Kälte noch nicht einstellen. Noch gut drei Wochen bis Festivalbeginn. Am 2. April startet die 20. Auflage des Heidelberger Frühlings mit einem Geburtstagskonzert, das sich das Festival selbst als Geschenk macht. Man erwartet alte Bekannte, Künstler, die den Frühling geprägt haben: den Bariton Thomas Hampson, den Pianisten Igor Levit. Wie viele andere kommen sie seit Jahren in die ehrwürdige Universitätsstadt am Neckar, haben als Leiter von Festival-Akademien längst auch eine über den Auftritt als Interpret hinausgehende wichtige Funktion beim „Frühling“ übernommen. Damit hat man auch schon gleich eine Besonderheit des Festivals beschrieben, die sicherlich auch zu seinem Erfolg beigetragen hat. Es gibt eine Art „Frühlings“-Familie, zu der keineswegs nur die Künstler und die Macher gehören, sondern genauso die Menschen, die dem Festival seit jetzt schon 20 Jahren die Treue halten, als Publikum wie als Sponsoren. „In den ersten vier Jahren hatten wir gar kein Budget, es gab keine städtischen Mittel. Wir mussten Gelder akquirieren und dabei mit unserer Idee überzeugen“, erzählt Thorsten Schmidt von den Anfängen. „Und wir mussten mit dem Publikum kommunizieren, mussten den Kontakt suchen, wodurch diese große Bindung des Stammpublikums zum Festival entstanden ist.“ Das Festival, das heute Gäste aus ganz Deutschland anzieht und internationale Künstler präsentiert, war zunächst eine rein Heidelberger Angelegenheit, geprägt und getragen vom Philharmonischen Orchester der Stadt unter dem damaligen Generalmusikdirektor Thomas Kalb. Und mit dem Hauptsponsor HeidelbergCement war auch schon der wichtigste Geldgeber mit an Bord. „Der Start mit dem Philharmonischen Orchester gab uns zunächst einmal auch Sicherheit. Sonst hätte der ,Frühling’ die erste Phase gar nicht überstanden.“ Seit dieser Zeit kennt Schmidt eigentlich nur eine Richtung. Es geht immer nach vorne. Mittlerweile kommen 40.000 Menschen an den Neckar, es fließen auch öffentliche Gelder, wenngleich noch immer über 70 Prozent des 3,1 Millionen-Euro-Etats vom Festival selbst erwirtschaftet werden. Kann man einen solchen Erfolg planen, vorhersagen? „Es war wohl eher der Mut und die Zuversicht der Naiven. Ich war vollkommen davon überzeugt, dass Heidelberg ein idealer Festspielstandort ist“, sagt der Festival-Chef. Von Beginn an verfolgte Schmidt mit seinem Team ein klares Konzept: „Ausgehend von dem Potenzial, das Heidelberg hat, wollten wir in Bezug auf alle Darstellungsformen von Musik ein internationaler Treffpunkt und eine Plattform werden. Das war die Vision. Und das hat sich auch nie geändert.“ Der Blick in das aktuelle Programm beweist dies mit Nachdruck: Liederabende, Kammermusik, Klavierrecitals, Orchesterkonzerte, und das sind nur die klassischen Formate, die der Frühling im Angebot hat. Es gibt aber auch Brunch- und Teatime-Konzerte, Podiumsgespräche und After-Work- sowie Late-Night-Konzerte. Musikjournalisten diskutieren über ihren Beruf und ihre Berufung, für Familien mit Kindern finden besondere Veranstaltungen ebenso statt wie immer wieder Crossover-Versuche gewagt werden. Mitunter scheint es, als wolle der „Frühling“ alle Schranken niederreißen, Grenzen abbauen zwischen Podium und Parkett, zwischen Künstlern und Publikum. Die klassische Musik wird herausgeholt aus ihrer bildungsbürgerlichen Ecke und mitten hinein platziert: in die Gesellschaft. In die Stadt. So vielfältig, abwechslungsreich, so mutig auch ist kaum ein zweites Klassikfestival, schon gar keines in der Metropolregion. Der Frühling ist überall, auch wenn sein Herz in der Stadthalle schlägt. Die Alte Aula der Universität, der Karlstorbahnhof, das alte Hallenbad, die Hebelhalle, das Hotel Europäischer Hof: Die unterschiedlichsten Konzertformate bekommen ihre unterschiedlichen Konzert-Orte, und ganz Heidelberg wird zu einem einzigen großen Festival. Thorsten Schmidt ist es gelungen, dass Frühling und Heidelberg eine Symbiose eingehen. Auch inhaltlich. Denn natürlich kann beispielsweise das „Neuland.Lied“ oder die Lied-Akademie von Thomas Hampson an Heidelbergs Tradition als Liederstadt nicht erst seit der Romantik anknüpfen. Wer den Erfolg des „Frühlings“ verstehen will, der muss sich auch auf die Suche nach dem Mythos Heidelberg machen, der irgendwo zwischen Philosophenweg, Universität und Schloss zu verorten ist. Der Standortvorteil der Stadt am Neckar ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Es gab in den 20 Jahren auch Rückschläge, gab 2006 eine kritische Situation, als Thorsten Schmidt ein Defizit verkraften musste. „Diese Geschichte ist mir sehr an die Substanz gegangen. Es war eine Schock, dass Menschen, von denen man vorher noch gefeiert wurde, einen nun ans Messer liefern wollten. Andererseits war es großartig zu erfahren, dass die Unternehmen, die unsere Geldgeber waren, hinter mir standen. Das war ein Meilenstein, weil ich da auch begriffen habe, wie viele Menschen an unsere Idee glaubten. Da wurde mir bewusst, dass ich eine Verpflichtung habe, obwohl meine Frau damals glaubte, dass ich alles hinwerfe.“ Er hat nicht hingeworfen, ist vielmehr quasi eins geworden mit dem „Frühling“. „Man wächst und reift mit dem Festival, das zu einem Teil der eigenen Identität wird. Man verschreibt sich mit Haut und Haaren einer Sache.“ Und so geht der Blick in die Zukunft. Ausruhen auf irgendwelchen Lorbeeren jedenfalls will sich Thorsten Schmidt nicht. Das Träumen geht weiter: von einem neuen Konzertsaal für Heidelberg. Oder einer Art Villa Massimo für das Lied, in der sich Künstler aus aller Welt zusammenfinden, um diese Kunstform neu zu beleben, immerhin hat Schmidt das Internationale Liedzentrum nach Heidelberg geholt. „Die Vision ist Wirklichkeit geworden, aber wir sind noch längst nicht am Ziel.“

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