Kaiserslautern Blick vom Himmel

Es gibt schon eine Oper und einen Spielfilm namens „Rheingold“. Der gleichnamige Dokumentarfilm, der jetzt in die Kinos kommt, hat mit Richard Wagners Oper und der den Expresszug „Rheingold“ umspielenden Filmhandlung aus dem Jahr 1978 jedoch wenig mehr als den Namen gemein. Der Dokumentarfilm folgt dem Lauf des Flusses von der Quelle bis zur Mündung aus der Vogelperspektive und gibt Erklärungen zu Geografie, Geschichte und Wirtschaft der Rheinlandschaft ab.

Vermutlich haben Peter Bardehle und Lena Leonhardt ihren Film „Rheingold“ genannt, weil sie ihn nicht „Der Rhein von oben“ nennen wollten. Es gibt nämlich schon so viele „Von oben“-Dokumentarfilme, dass man mit ihnen fast den Rhein zuschütten könnte. Erinnert sei nur an „Deutschland von oben“ oder „Die Nordsee von oben“. Der Filmemacher und Fernsehjournalist Peter Bardehle war auch schon maßgeblich an „Der Südwesten von oben“ beteiligt. Zusammen mit der Nachwuchsregisseurin Lena Leonhardt von der Filmakademie Baden-Württemberg zeichnet er außerdem für „Die Alpen – Unsere (!?) Berge von oben“ verantwortlich. In den Alpen, wo die beiden Quellflüsse des mächtigen Flusses entspringen, beginnt jetzt auch die Flugreise über den Rhein. Die bonbonfarben unwirklich wirkenden Bilder des Gebirges bei Sonnenaufgang am Anfang des Films sind zum Glück nur vorübergehend. Der übrige Film besteht aus nicht übermäßig kolorierten Aufnahmen, wenn sie auch merklich auf Effekt getrimmt sind. Bei Ausflügen in die Geschichte haben die Filmemacher außerdem auf WDR-Archivmaterial zurückgegriffen. Der Verdacht drängt sich auf, dass für den Trend zu den „Von oben“-Filmen Hektik und Unrast des modernen Lebens nicht unverantwortlich sind. Der Blick von hoch droben wirft ja eine nicht alltägliche Perspektive auf seinen Gegenstand. Der Betrachter bewegt sich in einer erhabenen Höhe. Andererseits aber und vor allem ist eine Flugreise schnell. Ein Flieger verweilt nicht lange bei einem Gegenstand, rasch löst ein Eindruck den anderen ab. Innerhalb von 94 Minuten legt der Filmflieger in „Rheingold“ so die 1238 Kilometer von der Quelle bis zur Mündung des Rheins in die Nordsee zurück. Auch der Speyerer Dom, der Mannheimer Wasserturm, Ludwigshafen und die Wormser Nibelungenfestspiele sind da schon einen Vorbeiflug wert. An Ludwigshafen allerdings besteht vorrangig ein nächtliches Interesse, wohl weil das Lichtermeer auf dem BASF-Industriegelände das effektvollste Bild abgegeben hat. Basel, der ersten Großstadt, die der Rhein auf seinem Weg passiert, wird da schon ein längerer Aufenthalt gewährt. Selbstverständlich passiert der Flieger den Rheinfall bei Schaffhausen, das Deutsche Eck und den Kölner Dom auf dem Weg des Flusses durch sechs Länder. Und natürlich verweilt der Blick auf dem malerischen Elsass und dem romantischen Mittelrheintal mit seinen Burgen, Weinbergen und der Loreley. Im Kontrast zu solchen Kulturlandschaften stehen Industrieareale mit Containerbergen und rauchenden Schloten etwa im Düsseldorfer Medienhafen und beim Tagebau in Garzweiler. „Der Hunger des modernen Menschen scheint keine Grenze zu kennen“, kommentiert die Schauspielerin Anne Moll als Sprecherin. Lockere Bezüge ergeben sich bei solchen Gelegenheiten zu Wagners „Rheingold“, dieser Oper um hemmungslose Macht- und Besitzgier, an deren Musik auch Steffen Wick und Simon Detel mit ihrer Filmmusik erinnern. Ben Becker, der andere Sprecher, ist der personifizierte Flussgott. Mit seiner Bass-Stimme erzählt der Schauspieler in Ich-Form vom „Vater Rhein“. „Ich schmecke das Salz“, sagt er, nachdem der Flieger Rotterdam passiert hat, dessen Hafen ausgebaut werden muss, um die Schiffskolosse der Zukunft noch aufnehmen zu können. So lässt „Rheingold. Gesichter eines Flusses“ den Betrachter mit einem zwiespältigen Gefühl zurück. In Bann geschlagen von den oft berückenden Landschaftsbildern, frustriert wegen der rasch wechselnden Schnitte. Der Film weckt so die Lust, den einen oder anderen Ort einmal aufzusuchen und dort eine längere Zeit zu verbringen.

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