Kaiserslautern Auf Zeitreise

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„Wir machen eine kleine Zeitreise zusammen“, kündigt Scorpions-Sänger Klaus Meine beim ausverkauften Konzert der „50th Anniversary Tour“ vor 11.000 Fans in Mannheim an. Am Ende der 100 Minuten Jubiläumsshow ist klar: Die Hannoveraner sind tatsächlich noch immer eine Rock’n’Roll-Band, lauter und unmittelbarer als auf den Alben. Klaus Meine singt mit 67 weiterhin tadellos, wenn er auch nicht mehr so gut zu Fuß ist – wie auch etliche Fans, die auf ihren Sitzplätzen teils eher stoisch zuhörten.

„Time. It needs time to win back your love again“.

Eine Zeitreise? Ok, sind dabei. Oktober 1984: Scorpions in Saarbrücken, Saarlandhalle. Vorher Zahnarzt, es wird gleich gezogen, doppelt. Mit 14, in der Vorfreude auf das allererste Live-Konzert, macht das gar nichts. Auch, dass Klaus Meines Stimme bisweilen nah an diesem hohen, durchs Mark fahrenden Bohrergeräusch sein kann, fällt an diesem Abend nicht auf. Mit 14, da wird der Musikgeschmack des älteren Bruders nachgeahmt. Immerhin drei Jahre Hardrockkonzerte folgen. Bei diesem ersten wartet das Feuerzeug natürlich auf „Still Loving You“, die größte Ballade der Band, ein Gänsehautstück. 1984: Verzückung. 2016: Der Hit für die Ewigkeit kommt als erster von zwei Zugabensongs eine Spur zu routiniert. „Love At First Sting“ von 1984 ist die beste Platte der Scorpions. „Rock You Like A Hurricane“ und „Big City Nights“ fehlen auch 2016 nicht, klingen druckvoll wie einst. Die Gedanken schweifen wieder zurück. Mit 14, da ging es nicht ums Anhimmeln, sondern um die Musik, die bei aller Lautstärke doch so schön melodisch war. Kopfnicken, mitschunkeln, mitsingen. Über Texte, in denen echte Männer willige Frauen aufreißen, und über fragwürdige Albumcover ging der Blick noch hinweg. Die nackte Zehnjährige („Virgin Killer“, 1976), die Frau mit Kaugummifaden an entblößter Brust („Lovedrive“, 1979) und jene hündisch vor ihrem Herrchen knieende Liebesdienerin („Animal Magnetism“, 1980) lösten noch keine Empörung aus. Politisch korrekt war da nichts. Auch wenn es mehr Pose war, die Band selbst wirkte irgendwie brav. Für Feministinnen sind die Scorpions aber auch heute nichts, selbst wenn bei den Tourbechern mit Albummotiven nur eine sich Räkelnde („Savage Amusement“, 1988) dabei ist. Bei „Big City Nights“ lockt auf der Videowand die Rückansicht einer Lapdance-Fachkraft. Und Rudolf Schenker trägt ein einschlägiges Achselshirt mit der Silhouette zweier Verführerinnen. Auf der Flying-V-Gitarre des Obermachos prangt als Ausgleich aber ein putziges Herzchen zu Tigerenten-Streifenmuster. Und war es nicht gerade diese Gitarre, die 1984 so beeindruckte, dass zumindest einige Wochen Gitarrenunterricht folgten? So ein Flying V steht nicht nur Kerlen. „Here I Am“. Mindestens in drei Scorpions-Songs taucht diese Zeile auf. „Hier bin ich.“ Zu allererst war eben dieser Rudolf Schenker da. 1965 hat er die Vorläufer der Scorpions gegründet, habe ein Blick ins alte Kassenbuch der Mutter gezeigt, erklärt der Hauptkomponist der Band die neue Jubiläumstour zum 50-jährigen Bestehen. Klaus Meine ist „erst“ seit 1975 dabei. Aus diesem Jahr stammt „Top Of The Bill“, in Mannheim an vierter Stelle platziert: Meine hat zum knackig nach vorn gehenden Song das Rautenmustersakko vom Beginn gegen die Lederjacke getauscht, die Sonnenbrille abgenommen und erzählt von Keilriemen-Bandbuspannen an den Kasseler Bergen auf dem Weg in den Rosengarten. Aus der Frühphase bis 1980 sind auch „Make It Real“ – auf der dazu in Deutschlandfarben getauchten Bühne – und „The Zoo“ nun in der SAP-Arena zu hören, später das Instrumental „Coast To Coast“: Ausufernde Gitarrensoli sind noch immer beliebt bei der Band aus der City of Music Hannover, die sich hier, in der City of Music Mannheim, ehrenwert ums Publikum bemüht: „Macht ein bisschen Krach, Mannheim“, ruft Meine, nicht mit vollem Erfolg. Vielleicht sind doch zu viele eher nostalgische als brennend begeisterte Fans über 40 im Publikum. Und Väter, deren Söhne eher gelangweilt dem Treiben zuschauen, sich bei „Still Loving You“ aber doch vom emotional aufgewühlten Papa umarmen lassen und noch ein Handyfoto machen. „I follow the Moskva. And down to Gorky Park.“ „Wind Of Change“ aber ist das Lied, auf das die Arena gewartet hatte. Platziert als Herzstück in der Mitte des Sets, nach einer Balladenrunde mit dem neuen „Eye Of The Storm“, in dem sich Meine an die Jugend erinnert, und „Send Me an Angel“ aus dem gleichen Album von 1990 wie der Glasnost-Song mit dem Gepfeife, das so schnell nicht mehr aus dem Hirn geht. Auch heute „können wir ein bisschen Hoffnung gebrauchen, und der Song steht genau dafür – Hoffnung“, verkündet Klaus Meine. Und dirigiert einen sehr großen, schönen Chor aus einigen tausend Stimmen. „I’m in a rock’n’roll band. Yes, I am.“ Das zentrale Stück des aktuellen Albums „Return to Forever“ folgt direkt auf „Wind Of Change“. Das Publikum aber ist nach dem großen emotionalen Moment eher still, obwohl Song und Album auch 30 Jahre alt sein könnten. „We Built This House (On A Rock)“ oder „Hard Rocking The Place“ heißen die neuen Songs, die alte (Un)-Tugenden feiern und teils tatsächlich aus den 80ern stammen. Auf CD klingen sie allerdings recht poppig, nicht nur die beiden Balladen dürften auch Helene-Fans gefallen. Live aber rocken die Scorpions, vor allem dank Schlagzeuger James Kottak, der eine Spur Wahnsinn in die ansonsten eher geradlinige Bühnenshow bringt. „Rock & Roll Forever“ hat sich der US-Amerikaner, der „erst“ seit 1996 dabei ist, auf den Rücken tätowiert. Und strahlt diese Parole mit jeder Pore aus. Er könnte gut auch im Punk unterwegs sein. Klaus Meine dagegen hat „Rock & Roll Forever“ nach der Solo-Drumshow, die er zum Durchschnaufen nutzt, nur auf der Lederweste stehen. Dreimal hat er sich umgezogen. Anders als Schenker und Gitarrist Matthias Jabs, die solide Rockposen wie weiland 1984 zeigen, wirkt Meine weniger rockig, er trippelt und, ja, watschelt fast. Die Stimme aber ist immer da. Und als Sympathieträger der Band geizt er auch nicht mit Geschenken. Über ein Dutzend Schlagzeugstöcke verfüttert er an die Menge. Auch zum Abschied, zu „Rock You Like A Hurricane“. Da aber sind einige Besucher schon verschwunden, wie schlechte Fußballfans. Der letzte Zug drängt vielleicht. Die Scorpions aber werden weiter spielen.

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