Kaiserslautern Anreiten gegen den Mythos

Eben hat das Historische Museum der Pfalz den 60.000. Besucher in der bis 23. April laufenden Maya-Ausstellung begrüßen können. Hinter den Kulissen hingegen hat längst der Countdown für das Ausstellungsereignis begonnen, dem nicht nur das Speyerer Museumsteam mit Spannung entgegensieht: die kunst- und kulturhistorische Mittelalter-Schau „Richard Löwenherz. König – Ritter – Gefangener“ ab 17. September. Die wird allerdings nicht im Neubau von 1990, sondern im besser den Zeiten trotzenden Altbau von 1910 stattfinden.

„Wenn es ihn nicht gäbe, müsste man ihn erfinden“, sagt Museums-Chef Alexander Schubert über Richard Löwenherz, der erstaunlicherweise noch nie im Mittelpunkt einer großen kulturhistorischen Ausstellung stand. Erfinden für Speyer, selbstverständlich. Denn wie kaum ein anderer steht dieser legendenumwobene mittelalterliche Herrscher für den Anspruch des Historischen Museums, regionale Geschichte international einzubinden. Löwenherz ist zweifellos eine der populärsten Gestalten des Mittelalters. Weltweit, nicht zuletzt dank zahlreicher Hollywood-Streifen, in denen allerdings meist nicht er, sondern ein gewisser Robin Hood die Hauptrolle spielte. Pfalzweit, weil er – so viel steht fest – im April 1193 als Gefangener des Stauferkaisers Heinrich VI. auf den Trifels kam. Um Dauer sowie Art und Weise dieser „Gefangenschaft“, bei der es vor allem um sehr hohe Lösegeldforderungen ging, spinnen sich bereits früh die Legenden. So dicht, dass man Richard Löwenherz beinahe zum Pfälzer ehrenhalber erklären könnte. Dabei sollte man zunächst vielleicht sämtliche Grenzen – real existierend oder im Kopf bestehend – beiseite lassen und auf das von mächtigen Familien regierte Europa des 12. Jahrhunderts blicken. Ist der am 8. September 1157 in Oxford geborene Richard nun Engländer oder Franzose? Sein Nachname lautet Plantagenêt, die Familie stammt aus der Region um Orléans und aus dem Anjou, also aus der Mitte des heutigen Frankreich, und heißt so, weil der Ahnherr, Graf Gottfried von Anjou, seinen Helm mit einem Zweig Ginster (französisch „plante genêt“) geziert haben soll. In die Geschichte ein gingen die Plantagenêts jedoch als jenes englische Königsgeschlecht, das mit dem dank Shakespeare unsterblich gewordenen Richard III. 1485 erlosch. Aber sie waren auch Nachfahren jener Normannen, die erst 1066 die Angelsachsen besiegt hatten. Richards Großmutter Mathilde war die Enkelin von Wilhelm, „dem Eroberer“ von Hastings. Aber auch die Witwe des letzten Salierkaisers, Heinrich V., und danach in zweiter Ehe Gattin jenes Grafen von Anjou mit dem Ginsterzweig. Ihr Sohn, Heinrich II., herrschte dann nicht nur über England, sondern über weite Teile Frankreichs von der Normandie bis zu den Pyrenäen, denn dessen Gattin Eleonore, die Mutter Richards – vom französischen König Ludwig VII. aus der Familie der Kapetinger geschieden – brachte das Herzogtum Aquitanien mit in die Ehe. Verglichen mit dem „Angevinischen Reich“, das die Franzosen Empire Plantagenêt nennen, dem Erbe Richards, wirkt das Königreich Frankreich um 1180 recht schmächtig. Eine solche Machtfülle muss bei anderen Herrschern auf dem Kontinent Begehrlichkeiten geweckt haben, auch wenn sie alle gemeinsam – der Stauferkaiser Friedrich, der Kapetinger-Erbe Philipp und Richard Löwenherz – 1189 erst einmal zum Dritten Kreuzzug gegen Sultan Saladin aufbrachen, jene Reise, die den Staufer Barbarossa das Leben kostete und Richard in die Geiselhaft von dessen Nachfolger Heinrich VI. führte. Und noch eine Familie sollte auf dem politischen Schachbrett um König Richard genannt werden: die Welfen, manchmal Rivalen, manchmal Verbündete der Staufer um die Macht im Heiligen Römischen Reich – und mit dem Plantagenêt verschwägert: Seine Schwester Mathilda war verheiratet mit Heinrich dem Löwen, sein Neffe Otto wurde 1198 römisch-deutscher König und 1208 bis 1211 Kaiser, der erste und einzige Welfe auf dem Thron des Reichs. Zwischen eine von mehr oder weniger parteiischen Chroniken gespeiste Geschichtsschreibung und die Ausstellungsbesucher von Speyer schiebt sich das bildgewaltige 19. Jahrhundert mit seinen manchmal nationalistisch eingefärbten und legendenverliebten Darstellungen: der Mythos Löwenherz. In Speyer sieht man das nicht unbedingt negativ und bedient sich auch dieser Bilder, zum Beispiel auf dem Ausstellungsplakat mit dem heldisch blickenden Königskopf des großen Reiterstandbilds vor dem Westminster Palace. Wobei sich die gesamteuropäische Perspektive hier fortsetzt: Der Schöpfer dieses Denkmals ist der in Turin geborene sardische Baron und französische Staatsbürger Carlo Marochetti, der in Paris den Altar für die Madeleine und das Grabmal für den Komponisten Vincenzo Bellini auf dem Père-Lachaise-Friedhof entwarf, bevor er dem Bürgerkönig Louis-Philippe 1848 ins englische Exil folgte und dort zum Lieblingsbildhauer von Queen Victoria wurde. Eine Bronzestatue des großen Reiterstandbilds im Kleinformat wird in Speyer zu sehen sein, darüber hinaus aber auch kostbarste Leihgaben von Museen und Bibliotheken aus all jenen Regionen, die mit Richard in Verbindung zu bringen sind – wie gesehen nicht wenige. Aus Deutschland, England, Frankreich, Österreich kommen Handschriften, Goldschmiedearbeiten, Kriegsgerät. Alexander Schubert berichtet von großer Zustimmung bei den Leihgebern angesichts eines Ausstellungsprojekts, über das die unisono erklingende Meinung lautet: „Das war schon lange fällig.“ Und Speyer, gewissermaßen an der Schnittstelle aller betroffenen Länder gelegen, ist ohne Zweifel der geeignete Ort. Wären da nicht die Sorgen um den 1990 mit einer anderen Großausstellung – über die Salier – eröffneten und jetzt geschlossenen Neubau, in den die Nässe eindringt. Die Speyerer Museumsleute machen aus der Not eine Tugend, denn der alte Seidlbau von 1910 ist bestens geeignet für Ausstellungsrundgänge – und dicht. Kein Quadratmeter weniger Fläche für Sonderausstellungen wird es geben, versichert Alexander Schubert, der mit der Öffnung der ehemaligen Bibliothek für kleinere Präsentationen – derzeit die „Weltbühne Speyer“ – sogar noch außergewöhnlich sehenswerte neue Räume zugänglich gemacht hat. Nachgedacht wird derweil über die Dauerpräsentation der pfälzischen Geschichte, die irgendwann als Rundegang erlebbar sein soll. Wenn alles gut geht, werden die Weichen für die Sanierung in diesem Jahr gestellt, 2018 könnte Baubeginn sein ... Optimale Bedingungen sehen anders aus. Das hindert das Speyerer Museumsteam nicht daran, bereits eine andere Familiengeschichte rund um einen Pfalz-Europäer zu planen: Auf Richard folgt Rudolf – auf den Plantgenêt ein Habsburger.

x