Kaiserslautern Angekommen in Mannheim

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Schon vor einem Jahr wollte das Mannheimer Nationaltheater die Flüchtlinge zu einem Themenschwerpunkt im Spielplan machen, dann wurde man ein wenig vom realen Geschehen überrollt. Theatertexte allein schienen da nicht mehr zu reichen. Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski und seine Mitstreiter haben nun einen mehrteiligen Abend geschaffen mit Vortrag, Arthur-Miller-Drama und vielen Mannheimer Flüchtlingen und ihren Geschichten.

Zum Beispiel der Geschichte von Mohamed. Er ist 29 und stammt aus Somalia. Ein blutiger Bürgerkrieg hat sein Land zerrüttet und gespalten, Regierung und Rebellen und eine Vielzahl von Stämmen bekämpfen sich. Als sich Mohamed in ein Mädchen eines anderen Stammes verliebt und dieses heimlich heiratet, gerät er in ein Räderwerk aus Hass und Gewalt. Die Verwandten des Mädchens verprügeln ihn, die Terrormiliz Al Shabaab will ihn rekrutieren. Er lässt die schwangere Frau zurück flieht über Kenia nach Europa, landet nach fünf Jahren in Mannheim. Auch Frau und Tochter sind inzwischen hier gelandet, ein zweites Kind wurde geboren. Die Geschichte von Mohamed ist lang und voll schlimmer Erfahrungen, aber sie hat ein vorläufiges Happy End. Mohamed ist seit einem Jahr anerkannter Flüchtling, seine Frau hofft ebenfalls auf Anerkennung, die Familie darf endlich zusammen sein. Im Nationaltheater lernen wir Mohamed auf der Bühne kennen, seine Geschichte wird uns von dem Schauspieler Jacques Malan erzählt. Insgesamt sieben solcher Geschichten hören wir an diesem Abend. Wir lernen Poulina aus Mossul im Nordirak kennen, die im Restaurant ihres Vaters gearbeitet hat und Biologie studieren wollte und dann vor dem IS fliehen musste, der keine Frauen in der Öffentlichkeit duldet. Oder Fariha und Muna, Töchter von in Libyen lebenden Somaliern, die sich wegen ihrer Multikulti-Herkunft „Cocktail-Leute“ nennen. Oder der 17-jährige Ghafar Nurzaei, dessen Familie vor dem Taliban-Terror in Afghanistan geflohen ist. Oder auch Linda aus dem Kosovo, die mit ihren halbwüchsigen Kindern ein desolates Land und einen gewalttätigen Ehemann verlassen hat und eigentlich gar nicht hier sein dürfte, weil ihre Heimat ja als sicher gilt. Der Journalist und Autor Peter Michalzik hat mit vielen Flüchtlingen in Mannheim gesprochen, hat die Interviews am Ende zu einem dokumentarischen Bühnentext verdichtet. Es sind ganz unterschiedliche und sehr persönliche Fluchtgeschichten, vordergründig geht es um privates Unglück, aber dahinter stehen die großen Probleme unserer Zeit: Krieg, Terror, religiöser Fanatismus, wirtschaftliche Not. „Mannheim Arrival“ zeigt die Folgen, die Menschen, die solche Katastrophen aushalten müssen und die, wenn sie Glück haben, in einem Flüchtlingslager in Mannheim landen. „Mannheim Arrival“ ist das berührende Zentrum dieses vielschichtigen Theaterprojekts. Der mehr als fünf Stunden dauernde Abend hatte mit einem Vortrag des Historikers Klaus J. Bade begonnen. Der Migrationsexperte skizzierte den weltpolitischen Rahmen der aktuellen Flüchtlingsströme, sprach über die von westlichen Wirtschaftsinteressen befeuerten Krisenherde, kritisierte die europäische Abschottungspolitik und warnte vor der Gefahr einer erstarkten Rechten in Deutschland, sollte Merkels Asylpolitik scheitern. Diesen politisch geweiteten Blickwinkel verengt danach Kosminskis Inszenierung von Arthur Millers „Der Blick von der Brücke“ zum familiären Kammerspiel. Im flachen Bühnenkasten von Florian Etti nimmt vor kahlen Wänden mit blätternden Tapeten eine Einwanderer- und Eifersuchtstragödie ihren unaufhaltsamen Verlauf. Kosminski hat die Geschichte durch radikale Kürzungen und ein paar Textergänzungen vom New York der 1950er Jahre in die deutsche Gegenwart verlegt, die Migranten sind auch keine Italiener, sondern sprechen Farsi. Das Stück auf diese Weise gegenwartstauglicher zu machen, gelingt aber nur ansatzweise. Denn dass der brave Eddie heimlich seine von ihm aufgezogene Nichte Catherine begehrt und sie deshalb nicht dem illegal eingewanderten Rodolpho überlassen will, bleibt der Zündstoff dieser doch etwas vom Zeitgeist der Fünfziger umwehten Geschichte. Als Eddie den Rivalen bei der Migrationsbehörde denunziert, löscht er damit auch die Hoffnungen von Rodolphos älterem Bruder Marco aus, der in der Heimat eine Familie zu versorgen hat. Sven Prietz als kommentierender Erzähler, Klaus Rodewald als starrsinnig-dumpfer Eddie, Jacques Malan als grobschlächtig-gutmütiger Marco und der Rest des Ensembles spielen dies mit sozialrealistischer Typengenauigkeit, alles wirkt aber ein wenig hastig auf den Punkt gebracht und recht vorhersehbar. Das ändert nichts an der Kraft dieses Theaterabends, der weniger auf ästhetische Perfektion als auf eine politische Botschaft zielt. Und die liefert vor allem das Rechercheprojekt „Mannheim Arrival“, bei dem die Flüchtlinge, die zuvor schon als Band dabei waren und als anonyme Menge durch die Szene geisterten, nun zum Protagonisten werden. Die sechs Mannheimer Schauspieler, bei der Premiere verstärkt durch ihre prominente Kollegin Ulrike Folkerts, wurden zu ihren Paten, die ihnen eine Stimme gaben, die nüchternen Auftritte nur unterbrochen von Musikstücken der Flüchtlingsband. Am Ende gab es im Foyer ein großes Begegnungsfest. Auch künftig will das Theater die 40 an der Produktion beteiligten Flüchtlinge unterstützen, mit Sprachkursen, Berufsvorbereitung und persönlicher Betreuung, wo es sich ergibt.

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