Grünstadt Wir sind jetzt Deutsche

Ein kurzer Gang in den Supermarkt, sich mit Freunden treffen, unbeschwert tun und lassen, was man will. In Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Dass das in anderen Ländern ganz anders sein kann, erzählten Migranten der RHEINPFALZ zu ihrer Einbürgerungsfeier in der Kreisverwaltung Bad Dürkheim – und überraschten mit teilweise sehr bewegenden Geschichten. Vielen wurde der Start in ein neues Leben in Deutschland von der Sprache, Vorurteilen oder der Suche nach Arbeit erschwert. „Jetzt ist alles besser“, davon ist die 25-jährige Nigerianerin Mary Walu überzeugt. Im Jahr 2005 kam sie nach Deutschland - alleine. Im Alter von gerade mal 16 Jahren. Warum hier alles besser ist, erklärt sich für sie quasi von selbst: „Die Temperaturen sind anders, es gibt keine Moskitos und man braucht keine Angst vor Malaria zu haben.“ Walu wuchs in Nigeria auf, ihre Familie lebt dort noch heute. In ihrem Heimatland herrscht ein hohes Malaria-Risiko, es gibt viel Kriminalität und auch die Versorgung mit Benzin, Strom und sauberem Wasser ist laut Informationen des Auswärtigen Amts unzureichend. Mittlerweile lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in Bad Dürkheim. Obwohl sie sich mit der Sprache immer noch schwer tut, fühlt sie sich in Deutschland wohl. Nach ihrem Hauptschulabschluss gestalte sich die Arbeitssuche für die mehrfache Mutter jedoch schwierig. Auf die Frage, ob sich daran mit der deutschen Staatsbürgerschaft vielleicht etwas ändern könnte, fällt ihre Antwort eher skeptisch aus: „Ich glaube nicht, dass es jetzt viel leichter wird.“ Optimistischer zeigt sich dagegen Zuhal Cintrilic. Sie ist in Deutschland geboren, ihre Familie ist türkisch. Mit 19 Jahren geht sie nicht zur Schule, sondern verdient ihr Geld als Reinigungskraft. „Meine Freunde haben gesagt, mit der deutschen Staatsbürgerschaft wird alles leichter“, erzählt Zuhal. Ihre Eltern sprechen kein Deutsch, sie selbst lernte es erst in der Schule. Der Großvater war damals bereits in Deutschland. 1980 kamen ihre Eltern nach. „Hier gibt es einfach bessere Arbeit. Das war besonders für meinen Großvater der Grund, nach Deutschland zu kommen“, erklärt die frischgebackene deutsche Staatsbürgerin. Sie selbst lässt sich die Perspektiven für ihre berufliche Zukunft noch offen. Mit der deutschen Staatsbürgerschaft glaubt sie aber, nun mehr Möglichkeiten zu haben. Landrat Hans-Ulrich Ihlenfeld zufolge hat der Landkreis 2014 insgesamt bereits 177 Migranten aufgenommen. Zum Jahresende wird diese Zahl noch überschritten (siehe „Zur Sache“). Auch den Geschwistern Tomi und Thaomy Ngyuen aus Vietnam überreichte Ihlenfeld mit feierlichem Handschlag die Einbürgerungsurkunde. Thaomy besucht das Werner-Heisenberg-Gymnasium in Bad Dürkheim. Geboren ist sie wie ihr Bruder in Deutschland. „Unsere Eltern wollen, dass wir zu Hause vietnamesisch sprechen, damit unsere Herkunft nicht ganz verloren geht“, erzählt die 17-jährige Schülerin. Ihre Eltern seien damals von Vietnam nach Russland und dann schließlich nach Berlin gezogen, wo Thaomy geboren wurde. „Die sozialen und finanziellen Verhältnisse sind hier einfach besser“, weiß sie. Auch wenn ihre Eltern irgendwann nach Vietnam zurückkehren wollen, steht für sie fest: „Ich möchte hier bleiben.“ Eine besonders tragische Geschichte berichtete der Iraker Youkhana Mamo, dessen Frau Mary Merza ebenfalls zu den eingebürgerten Migranten zählte. Bewegt erklärt er: „Wenn die Leute mich fragen, warum ich nach Deutschland gekommen bin, antworte ich: Hier habe ich Frieden und Freiheit gefunden.“ Beide sind heute 60 Jahre alt. Dass sie dieses Alter überhaupt erreichen, war für sie vor einiger Zeit noch beinahe unvorstellbar. Mamo und seine Frau lernten sich im Irak kennen. Sie war Mathematiklehrerin, er arbeitete als Beamter bei Unicef, stand deshalb sogar unter Verdacht der Spionage gegen das Saddam-Regime. „Ich wusste nicht, ob ich den nächsten Tag überlebe“, sagt er trocken. Ein schwerer Schicksalsschlag riss auch die Welt seiner Frau aus den Fugen. Mary Merza musste zusehen, wie ihre Schwester, deren Mann und Kind bei einem Bombenanschlag ums Leben kamen. Seither leidet sie unter einem schweren psychischen Trauma. „Ich schlief in Angst. Ich konnte nicht einfach einkaufen gehen oder mich mit Freunden treffen. Man verbot uns sogar die Muttersprache“, beschreibt der Iraker die schwierige Situation für ihn und seine Frau verbittert. Mamo nutzt die Metapher „als Lamm zwischen Wölfen“ für die prekäre Lage in seiner Heimat. Umringt von Ländern wie Syrien, Türkei und Iran sei der Irak stets im Zentrum äußerer Konflikte. Dort ist auch Menschenhandel nicht unüblich. „Frauen und Kinder werden verkauft. Rund 16.000 Menschen waren gezwungen zu fliehen.“ Mamo und Merza gehörten dazu. „Bevor wir nach Deutschland kamen, wussten wir nicht einmal, was Familie ist.“ Unvorstellbar sei dies oft für Deutsche, die das Glück hatten, in einer gut behüteten Familie aufzuwachsen. „Man muss bei Null anfangen. Fremde Sprache, keine Arbeit, alles ist anders.“ Hilfe habe er damals wie heute jedoch von Freunden und Firmenkollegen erhalten. Seinen Wunsch nach Frieden konnte sich hier endlich erfüllen. Youkhana Mamo ist bereits seit 2007 deutscher Staatsbürger. Sein aktueller Arbeitsplatz ermöglicht es ihm sogar, trotz einer schweren Gelenkerkrankung für ein geregeltes Einkommen zu sorgen. Dies wäre früher nicht möglich gewesen. Das unbeschwerte Leben in Deutschland möchte er wie andere Einwanderer nie mehr missen. Und doch bleibt der Schatten der Missstände in seinem Heimatland sein ständiger Begleiter.

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