Grünstadt „Tagelang im Krisenmodus“

Eine Trümmerlandschaft: Beschädigte Leitungen nach der Explosion im Nordhafen der BASF.
Eine Trümmerlandschaft: Beschädigte Leitungen nach der Explosion im Nordhafen der BASF.
Herr Feid, wo hat Sie die Nachricht von der Explosion erreicht?

In meinem Büro. Welcher Gedanke schoss Ihnen zuerst durch den Kopf? Im ersten Moment konnte ich die Tragweite überhaupt nicht abschätzen. Die Erstinformation lautete: Explosion bei der BASF. Mich haben als Feuerwehrdezernent häufiger unheilvolle Botschaften erreicht, allerdings nicht in dieser Dimension. Wie haben Sie reagiert? Ich habe sofort den Kontakt zum damaligen Feuerwehrchef Peter Friedrich aufgenommen und versucht, mehr Details zu erfahren. Uns ist relativ schnell bewusst geworden, welche Tragweite das Unglück haben könnte, inner- wie außerhalb der BASF-Werkstore. Wir haben früh einen Krisenstab eingerichtet. Danach war ich quasi mehrere Tage im Krisenmodus, zumal die damalige Oberbürgermeisterin Eva Lohse auf Dienstreise in Übersee war und nicht gleich zurückfliegen konnte. Die Explosion ereignete sich gegen 11.30 Uhr. Wann war Ihnen das Ausmaß des Unglücks endgültig klar? Am frühen Nachmittag hat sich das abgezeichnet. Wir haben die Medien umgehend zu einer ersten Pressekonferenz in die Fahrzeughalle der Feuerwehr am Kaiserwörthdamm eingeladen. Es gab ein hohes Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Information. Wir mussten zunächst widersprüchliche Meldungen sortieren. Vielen war nicht klar, was genau passiert ist. Es kristallisierte sich aber schnell heraus, dass es Verletzte gibt, möglicherweise auch Todesopfer, was sich dann leider auch bewahrheitet hat. In Ausnahmesituationen wie dieser muss man als Verantwortlicher vor allem eins: funktionieren. Wie ist Ihnen das gelungen? Ich hatte mit Peter Friedrich und den Kollegen der Berufsfeuerwehr ein professionelles und besonnenes Team um mich. Das hat geholfen, die Lage einzuordnen und Entscheidungen zu treffen. Wir wurden ja zunehmend Beteiligte. Wir erhielten Hinweise aus der Bevölkerung über Geruchsbelästigungen, haben dazu aufgerufen, Fenster und Türen erst mal geschlossen zu halten, und versucht, Risiken und Gefahren abzuwägen. Unter diesem permanenten Druck kommt es darauf an, Fakten von Gerüchten zu trennen und zielgerichtet zu handeln. Sie und Feuerwehrchef Friedrich waren in der Wahrnehmung vieler Beobachter zwei Felsen in der Brandung. Ruhig, besonnen, aber auch klar: Außer Ihnen hat es keiner aus dem Stadtvorstand gewagt, den damaligen Vorstandschef der BASF, Kurt Bock, zu kritisieren, weil er sich auch mehrere Tage nach dem Unglück nicht in der Öffentlichkeit gezeigt hatte. Würden Sie aus heutiger Sicht erneut so handeln? Bei der Brandkatastrophe im Jahr 2008 mit neun Todesopfern haben wir in Ludwigshafen bittere Erfahrungen damit gesammelt, wie es ist, wenn man nicht klar nach außen kommuniziert. Für mich stand daher mit Beginn meiner Amtszeit fest: Bei solchen Ereignissen gilt volle Transparenz und eine möglichst klare Haltung auf der Basis belastbarer Erkenntnisse. Das ist das eine. Und das andere? Was Herrn Bock angeht: Wissen Sie, nachdem sich herausstellte, dass Feuerwehrkameraden der BASF ihr Leben gelassen beziehungsweise viele zum Teil schwerste Brandverletzungen erlitten hatten, war für mich klar: Das ist Chefsache. Das habe ich damals aus der Situation heraus so empfunden und auch gespiegelt bekommen, dass zahlreiche Menschen ähnlich gedacht haben. Es ging darum, ob und wie man seine Verantwortung gegenüber Angehörigen oder Hinterbliebenen der Opfer wahrnimmt. Aus diesem Kontext heraus habe ich mich seinerzeit so verhalten und geäußert. Ich denke, ich würde das wieder so tun. Hat sich Bock bei Ihnen gemeldet? Die BASF als Unternehmen, ja. Herr Bock, nein. Neben einem Matrosen sind vier Männer der BASF-Wehr gestorben, 44 wurden teils schwer verletzt. Als Dezernent waren Sie lange ganz nah dran an den Kollegen der städtischen Berufsfeuerwehr. Was hat das Unglück in der Truppe ausgelöst? Unglaubliche Betroffenheit. Natürlich wissen wir als Verantwortliche wie jeder Feuerwehrmann, dass bei diesem gefährlichen Job trotz der guten Ausbildung immer ein Restrisiko bleibt. Wenn ein solch fürchterliches Unglück passiert, ist man bei einem Einsatz zwar darauf konditioniert, seine Aufgabe zu erfüllen. Aber in stilleren Momenten berührt einen ein dermaßen tragisches Ereignis mental ganz erheblich. Zu den Verunglückten bestanden persönliche Beziehungen oder man kannte sich von Lehrgängen. Das war für uns alle ein schwerer Schlag. Sie waren am Unglücksort, der Nordhafen glich einer Trümmerlandschaft. Wie bekommt man solche Bilder wieder aus dem Kopf? Gar nicht. Diese Bilder und die Eindrücke von den Beerdigungen der verstorbenen Kameraden, die ich alle besucht habe, bleiben. Die kriegen sie nicht mehr weg. So etwas prägt einen. Das Erlebte hat mir aber auch den großen Zusammenhalt innerhalb der Feuerwehr-Familie bewusst gemacht. Der Prozessauftakt rückt näher. Wie blicken Sie dem Termin entgegen? Wenn solche Unglücke in einem Rechtsstaat geschehen, müssen die Ereignisse auch juristisch aufgearbeitet werden. Seit dem Tag der Explosion ist viel darüber geschrieben und über Ursachen spekuliert worden. Jetzt folgt der letzte Schritt, um Klarheit zu schaffen. Wäre es aus Ihrer Sicht verantwortbar, die Schuld für das Unglück nur einem Mann anzulasten, also jenem externen Mitarbeiter, der die falsche Leitung angeflext haben soll? Ich kenne die Ermittlungsergebnisse nicht, die werden erst im Prozess vorgestellt. Es gab Gutachten, ich habe viel gelesen, es wurde innerhalb der Feuerwehr viel darüber diskutiert. Es war ein schreckliches Unglück. Möglicherweise hat ein Mensch einen großen Fehler gemacht. Dieser Mensch war aber nicht alleine. Ich habe im Nachgang an vielen Veranstaltungen und Gesprächen teilgenommen und mir danach gedacht: Nach allem, was ich gehört habe, hätte das Ganze nie passieren dürfen. Es ist trotzdem passiert. Die Verkettung unglücklicher Umstände oder persönliches Versagen haben zu diesem Unglück geführt, aber aus meiner Sicht passiert das vermutlich nicht nur, weil ein Einzelner einen Fehler macht. Hat die BASF die richtigen Lehren aus dem Unglück gezogen? Es ist ja kein Geheimnis, dass es damals zwischen den Verantwortlichen der Stadt und der BASF Spannungen gegeben hat. Es ging dabei darum, ob wir bestimmte Warnungen aufrecht erhalten oder nicht und wie man mit bestimmten Informationen umgeht. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass das Unternehmen vieles richtig gemacht hat. Es war aber auch gut, dass die Stadt eigene Einschätzungen getroffen und selbst Messungen getätigt hat. Damit konnten alle auf Augenhöhe miteinander reden, und es wurden klare Grenzen gezogen. Welche denn? Die BASF ist für ihr Werksgelände zuständig, die Stadt für alles drum herum, insbesondere für den Schutz der Bevölkerung. Und da gibt es keine Kompromisse, wenn man gewisse Risiken nicht ausschließen kann. Was meinen Sie damit? Na ja, wenn ich unsicher bin, welche Stoffe freigesetzt wurden, dann warne ich die Bevölkerung, führe Messungen durch, analysiere sie und kläre die Unsicherheit auf. Dieser Prozess hat eine Weile gedauert. Die anzuschneidende Rohrleitung sollte leer sein, die Rohrleitung, die angeschnitten wurde, war es nicht. Und dann stellen sich Fragen: Was war drin? Was ist durch die Explosion möglicherweise noch ausgetreten? Was floss durch andere Leitungen? Die Feuerwehren hatten einen Schaumteppich aufgebracht. Hätte es geregnet, wäre er zusammengefallen und hätte seine Funktion nicht mehr gewährleisten können. Im Nachgang und in der Analytik wurden die meisten Fragen zwar beantwortet, aber in dem Moment, in dem ich das nicht weiß, geht der Schutz der Bevölkerung vor. Und dann muss man warnen und zu präventiven Maßnahmen aufrufen, ob das jetzt dem Unternehmen passt oder nicht. Insoweit gab es damals unterschiedliche Bewertungen. Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Ereignissen vom 17. Oktober 2016? Für mich gibt es zwei Schlussfolgerungen. Erstens: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Das müssen wir uns immer wieder klarmachen. So wie wir uns klarmachen müssen, dass es in Ludwigshafen mit täglich 16.000 Gefahrguttransporten ein gewisses Risikopotenzial gibt, selbst wenn gemessen an dieser Zahl verhältnismäßig wenig passiert. Klar ist auch: Sicherheit kostet Geld. Und zweitens: Wir müssen immer wieder Prozesse überdenken und bei einem Schadensfall hinterfragen, was wir verbessern können. Südwest

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