Grünstadt Einer von 80 Millionen

«Grünstadt.» Alle zwei Jahre verwandelt sich Deutschland in eine Nation von Bundestrainern. Denn immer wenn ein großes Turnier der Fußball-Nationalmannschaft ansteht, wissen plötzlich rund 80 Millionen Menschen ganz genau, warum DFB-Chefcoach Joachim Löw mit seinen Entscheidungen mal wieder vollkommen daneben liegt. Bevor am kommenden Donnerstag die Weltmeisterschaft in Russland startet, haben wir deshalb mal einem echten Coach aus der Region die Chance gegeben, für einen Tag Bundestrainer zu spielen.

Den Fußball-Landesligisten TuS Altleiningen hat Florian Schwertl als Spielertrainer in der abgelaufenen Spielzeit zur besten Bilanz seit neun Jahren geführt. Das reicht zwar noch nicht ganz für eine Berufung als Bundestrainer – ein versierter Taktiker und fundierter Fußballkenner ist Schwertl aber allemal. Für seine Wunschaufstellung der DFB-Elf in einem möglichen WM-Endspiel musste er deshalb auch nicht lange überlegen. Einige knifflige Knackpunkte hat er dennoch ausgemacht – und sich als Fan eines oft unterschätzten Nationalspielers geoutet. Stabilität oder Offensivkraft – Abwehrriegel oder Dreierkette? In Schwertls Team macht ein Bayern-Trio mit Unterstützung von Kölns Jonas Hector hinten dicht. „Dass Joachim Löw fünf Innenverteidiger mit zur WM nimmt, deutet allerdings darauf hin, dass er auch mit einer Dreierkette spielen lassen könnte“, meint Schwertl. Schon beim Gewinn des Confed Cups 2017 hatte der DFB-Coach mit dieser Variante experimentiert – mit Erfolg. „Gerade gegen eher spielschwache und defensiv stehende Mannschaften kann das ein Schlüssel zum Sieg sein“, so Schwertl. Denn der zusätzliche Mittelfeldspieler garantiere mehr Anspielstationen im Spielaufbau. Seine erste Wahl würde dabei auf den nominellen Rechtsverteidiger Joshua Kimmich fallen. „Er steht eigentlich sinnbildlich für das Nationalteam. Die Spieler sind mittlerweile extrem variabel einsetzbar – das ist wirklich beeindruckend“, so der Altleininger Trainer. „Außerdem macht uns das als Mannschaft auch so unberechenbar. Das könnte eine der Stärken des DFB-Teams werden.“ Wer wird der Partner von Toni Kroos in der Mittelfeld-Zentrale? Champions-League-Sieger Toni Kroos ist bei Schwertl wie bei Löw gesetzt. Die Rolle an der Seite des umsichtigen Strategen und Ballverteilers dürfte aber bis zum Schluss hart umkämpft bleiben. Vor allem Ilkay Gündogan vom englischen Meister Manchester City und Sami Khedira von Juventus Turin rechnen sich Chancen auf einen Platz in der Doppel-Sechs aus. Seine Entscheidung für Khedira begründet Schwertl so: „Letztlich geht es in so einem Turnier vor allem darum, möglichst wenige Tore zu bekommen. Die Stabilität ginge in einem möglichen Finale deshalb vor. Sami Khedira bringt da die nötige Erfahrung und große Qualitäten als Abräumer mit.“ Falls Mesut Özil ausfällt: Es fehlen richtige Zehner In Schwertls 4-2-3-1-System übernimmt Mesut Özil die Rolle des kreativen Regisseurs auf der Zehn. Er soll die entscheidenden Pässe in die Schnittstellen spielen. Die aktuelle Sorge um Özils Gesundheitszustand kurz vor Turnierbeginn gibt allerdings auch Schwertl zu denken. „Außer ihm haben wir eigentliche keinen richtigen Zehner im Kader. Thomas Müller kann das zwar auch, von ihm weiß man aber, dass er diese Position nicht gerne spielt.“ Schwertl nimmt das zum Anlass, eine Lanze für zwei Spieler zu brechen, die nicht mit nach Russland fahren – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. „Lars Stindl wird für mich unglaublich unterschätzt. Er ist der perfekte Mann für diese Position und hat schon beim Confed Cup gezeigt, dass er zu Unrecht abseits des Rampenlichts steht.“ Seine Verletzung könne daher schwerwiegender für das DFB-Team sein, als gemeinhin angenommen, meint der TuS-Coach. Aber auch Mario Götze, der von Bundestrainer Löw nicht nominiert wurde, wäre für Schwertl eine Option als Özil-Ersatz gewesen. Schnelle Trickser auf der Außenbahn: Reus statt Draxler An Selbstbewusstsein mangelt es dem 24-jährigen Julian Draxler von Paris St. Germain sicher nicht. Für einen Stammplatz würde es in Schwertls Stammelf aber dennoch nicht reichen – ihn haben Draxlers Leistungen bei PSG nicht immer überzeugt. „Ich hoffe zudem einfach, dass es das Turnier von Marco Reus wird. Aufgrund seiner langen Verletzungshistorie hat er sich das einfach verdient. Er wird sicher richtig heiß sein.“ Gomez oder Werner – Wer wird die Sturmspitze? Nur zwei gelernte Stürmer wird Löw mit nach Russland nehmen, dabei war die magere Torausbeute bei der letzten Europameisterschaft ein Problem. Schwertl würde sich zwischen diesen beiden für den Leipziger Werner entscheiden. „Mit seiner unglaublichen Schnelligkeit ist er der richtige Mann, um die Schnittstellenpässe der Offensivreihe um Özil verwerten zu können. Bei langen Bällen oder Flanken wäre Gomez natürlich der bessere Mann. Es wird also auch von Löws Philosophie abhängen.“ Die Prognose: Mission Titelverteidigung ist machbar „Das Halbfinale traue ich dem DFB-Team auf jeden Fall zu, danach ist alles möglich. Gute Chancen auf den Titel hat diese Mannschaft aber definitiv“, sagt Schwertl. Trainer Joachim Löw vertraut er dabei völlig: „Die Statistik gibt ihm einfach Recht.“

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