Grünstadt Bach’sche Sternstunde

Zwei starke Partner müssen zusammenkommen, wenn ein Publikum, auch wenn ein Konzert längst im Überlängenbereich angekommen ist, nicht weghören kann: ein starker Komponist und starke Interpreten. Diese Kombination aus Johann Sebastian Bach und Ryo Terakado (Violine) sowie Sungyun Cho (Cembalo) machten den Abschluss des an Höhepunkten keineswegs armen Kirchheimer Konzertwinters zu einer musikalischen Sternstunde.

Gekommen waren aber nur die Stammhörer; viele Bänke blieben leer. Das hängt zweifellos an dem bei dieser Frühlingswärme unattraktiven Konzerttermin um 17 Uhr, aber auch am Programm: Bachs sechs Violinsonaten mit obligatem Cembalo BWV 1014-1019 sind Musik für Spezialisten und keine leichte Kost, auch wenn das Konzert mit „Köthener Tafelkonfekt“ überschrieben ist. Bachs Hörer hätten sich wohl bedankt, alle sechs Sonaten auf einmal vorgesetzt zu bekommen. Und auch heute ist eine solche Ansammlung des Gleichartigen nicht jedermanns Sache. Wahrscheinlich hat erst der enzyklopädische Charakter der Schallplattensammlungen solche monothematischen Live-Programme möglich gemacht – in diesem Fall die regelmäßige Folge von 26 abwechselnd langsamen und schnellen Sätzen, ganz am Schluss nur bereichert durch ein fulminant gebrachtes Cembalosolo, zu dem die Violine nichts sagen muss. Es ändert nichts daran, dass die Anwesenden in ihrer Erfindung fesselnde und höchst mannigfaltige Musik zu hören bekamen, die so packend, konsequent und konzentriert gespielt wurde und zwar zwei Stunden lang ohne erkennbare Ermüdungszeichen, dass die beiden Künstler bewundernder Zustimmung sicher sein konnten. Fein und präzise formte Sungyun Cho am Cembalo funkelnde Akkordvorhänge, ohne die Mittelstimme der als Trio gedachten Musik zu verdunkeln und ohne dass je eine Abweichung vom korrekten Maß zu bemerken war. Und das meint nicht, dass sie mechanisch gespielt hätte, denn alles war von einer eng begrenzten, strengen, aber kontinuierlich merklichen Lebendigkeit durchpulst. Gleiches gilt für Ryo Terakados klanglich klares, ebenmäßiges Violinspiel, das keine romantisierenden Willkürlichkeiten brauchte, um die Musik zu beleben. Auch die oft straffen Tempi wirkten nie gehetzt, sondern gaben der Musik Ernst und Schwere. Vielleicht lässt sich diese Musik auch leichter nehmen, aber in Ryo Terakados und Sungyun Chos Lesart war sie plausibel und makellos. Denn dies war auch bemerkenswert: Dieses „Köthener Tafelkonfekt“ aus Bachs früher Zeit, in der er aber schon über 35 Jahre alt war, ist keineswegs höfisch-unterhaltsame Dutzendware. Das mag sich schon daran zeigen, dass drei der sechs Sonaten in Moll-Tonarten stehen und durchaus passagenweise aus demselben Stoff sind, aus dem der Thomaskantor später – 25 höchst fruchtbare Schaffensjahre bleiben ihm noch – die Trauermusiken der großen Passionen bilden wird. Und es ist eigenartig, wie der zunächst vorherrschende Eindruck weicht, hier handle es sich um hochartifizielle absolute Musik, die allein auf das schöne Spiel von Klang und Form aus ist, aber nichts Außermusikalisches abbilden will. Oder besser bereichert wird durch die Vorstellung, dass hier doch verschiedene Gemütszustände klingen – wobei gerade die Moll-Sonaten besonders sprechend sind. Schon in der Pause war die begeisterte und staunende Zustimmung des Publikums allgemein. Was dann noch kam, konnte sie allenfalls steigern.

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