Grünstadt „Auch ein Schlag gegen unseren Multi-Kulti-Stolz“

91-92941348.jpg

Für den 32-jährigen Marco Diemer war auch in seinem achten Winter in Berlin der Charlottenburger Weihnachtsmarkt die Budenstadt, in der Glühwein und Bratwurst am besten schmeckten. Unzählige Male war der Ex-Ebertsheimer dort zum Feiern. Zum Glück nicht am Montag, als gegen 20 Uhr ein Lkw in die Marktbesucher gerast ist und zwölf Tote sowie mindestens 45 Verletzte gefordert hat.

„Bis vor zwei Jahren hat genau an der Stelle mein Kumpel Jörg Bratwürste verkauft“, kann Diemer das Geschehene noch immer nicht recht glauben. Wie so viele Berliner. „Normal sind die Berliner ja für ihre Schnodder-Schnauze bekannt, aber davon ist derzeit überhaupt nichts mehr zu merken“, sagt der Vertriebsleiter einer Produktionsfirma von Whiteboards. Gedrückte Stimmung überall, im Betrieb, in der U-Bahn, auf den Straßen. Der Terroranschlag war „irgendwie auch ein Schlag gegen den Stolz vieler Berliner, dass bei uns Multi-Kulti gelebt wird und man mit Menschen aller Nationalitäten erfolgreich zusammenarbeiten und gewaltfrei feiern kann.“ Damit sei nun unwiederbringlich Schluss. Ebenso wie in diesem Jahr mit Berliner Weihnachtsmärkten. Im nächsten Jahr jedoch will Diemer mit Lebensgefährtin Anja „gerade erst wieder auf den Weihnachtsmarkt nach Charlottenburg gehen. Es kann ja nicht sein, dass wir uns das von Verrückten kaputtmachen lassen.“ Zum Zeitpunkt des Attentats war Diemer in seiner etwa drei Kilometer vom Unglücksort entfernten Wohnung. Er hat die Berichterstattung parallel im Fernsehen und Internet verfolgt. Und sofort Verwandte und Freunde per Telefon, Whatsapp und Facebook informiert, dass sie wohlauf seien. So gab’s bereits ein paar Minuten nach Bekanntwerden des Terroranschlags übers Internet bange Anfragen einer Freundin aus Australien, der Tante aus Florida oder der Cousine aus Neuseeland. Und natürlich etliche aus seiner alten Heimat Ebertsheim. Diemer: „Gerade vor zwei Wochen war eine größere Gruppe anlässlich einer Geburtstagsfeier eines früheren Ebertsheimers in Berlin. Und die waren alle, wie mit mir in den Jahren zuvor, auf meinem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche.“ Die große Anteilnahme und der Nachfragebedarf aus dem Leininger Land sei daher kein Wunder. Bei einigen Berlinern dagegen habe ein übereifriger Mitarbeiter der Berliner Morgenpost für Zorn und Unverständnis gesorgt, so Diemer: „Der ist vermutlich direkt von der dortigen BZ-Zentrale nach unten gerannt, hat mit dem Handy in die Menge gehalten und die dramatischen Szenen praktisch live im Internet übertragen. Für solch einen skrupellosen Sensationsjournalismus haben selbst die medienerfahrenen Hauptstädter kein Verständnis. Die haben dem auch dann das Handy aus der Hand geschlagen.“ Das Weihnachtsfest wird für Diemer in diesem Jahr „bestimmt mit anderen Gefühlen als sonst“ verbunden sein. Auch wenn er die Weihnachtstage in Ebertsheim bei seiner Mutter Ute Diemer verbringt, damit eine räumliche Distanz zu dem Unglücksgeschehen geschaffen wird. Ein Thema wird der Terroranschlag immer mal wieder sein. Insbesondere wenn er einen seiner Ebertsheimer Kumpels trifft: „De Hotz, de Fabi oder de Jochen mit de Hannah war’n jo grad erscht uff meim Weihnachtsmarkt.“ |lor

91-92941347.jpg
x