Grünstadt Kampf mit den Kilos

Sein Körper ist sein Tempel: unser Autor.
Sein Körper ist sein Tempel: unser Autor.

evin Pannewitz war hungrig. Sehr hungrig. So hungrig, dass er einfach nicht widerstehen konnte, wenn sein Kühlschrank des Nachts mal wieder diese verlockenden Geräusche machte. Und so naschte sich der defensive Mittelfeldspieler durch die Weihnachtstage, nagte hier an einer Hähnchenkeule oder kostete dort von einem köstlichen Truthahn. Am Ende war es dann diese eine Pommes zu viel, die vergangene Woche seine Profikarriere platzen ließ. Denn sein Verein, der Drittligist Carl-Zeiss Jena, teilte ihm zu Beginn der Vorbereitung mit, das Vertragsverhältnis mit dem kleinen Schleckermäulchen aufzulösen. Mit gewichtigem Grund: Der 27-Jährige brachte drei Kilo mehr auf die Waage als gegen Ende der Hinrunde. Offenbar zu viel für die athletischen Ansprüche des Drittligisten an seine Spieler. Dabei ist die Karriere von Kevin Pannewitz schon ohne die neuerliche Kündigung bemerkenswert tragisch. Ausgestattet mit jeder Menge Talent, schien die raue Welt des Profifußballs schon früh den zart besaiteten Pannewitz vor jede Menge unlösbare Probleme zu stellen. In der Kurzversion: steiler Aufstieg bei Hansa Rostock, Alkoholeskapaden, Übergewicht, Kündigung, Vereinswechsel, Ersatzbank, Wechsel in die Landesliga. Pannewitz scheiterte immer wieder an den Mechanismen des Hochleistungssports – und an sich selbst. Zwischenzeitlich wog er über 120 Kilo. Weil er eine Familie ernähren musste, arbeitete er bei der Müllabfuhr. Der Traum vom Bundesligaprofi schien da so weit weg wie Franck Ribéry von einem Integrationsbambi. Doch Pannewitz gab nicht auf. Er kämpfte sich zurück, kam schließlich in der dritten Liga beim ehemaligen DDR-Meister aus Jena unter. Nun also die erneute Entlassung. Wegen eines verhältnismäßig lächerlichen Vergehens. Drei Kilo Gewichtszunahme – das ist selbst in Zeiten wöchentlicher Gewichtskontrollen ein schlechter Witz. Vielmehr scheint es, als sei Pannewitz zum Opfer vereinsinterner Interessen geworden. Zum Vergleich: Gonzalo Hiugain schleppte bei seinem Wechsel von Neapel stattliche zwölf Kilo Übergewicht mit nach Turin. Und das bei schlappen 90 Millionen Euro Ablöse. Nun ist Jena (noch) nicht Turin und Pannewitz bei Weitem kein Kind von Traurigkeit. Dennoch verdient der Mittelfeld-Mops jedwede Solidarität. Pannewitz hat keinen Gegenspieler ins Krankenhaus geprügelt, er ist nicht auf Twitter ausgerastet, er hat noch nicht einmal schlecht gespielt. Sein einziges Vergehen bestand darin, dem ein oder anderen Lebkuchen nicht ganz so konsequent widerstanden zu haben, wie es Ernährungshandbücher vorschreiben. Dieses Problem haben die meisten von uns. Wenn jedoch Spieler in der dritten Liga gleich ihrer beruflichen Existenz beraubt werden, weil sie – aus welchen Gründen auch immer – ein paar Mal zu häufig am Zuckerbaum geschleckt haben, ist dies Ausdruck eines durchaus fragwürdigen Körperkults. Zumal in einer Zeit, in der in schöner Regelmäßigkeit der Mangel an „echten Typen“ und „kreativen Querköpfen“ auf dem Fußballplatz beklagt wird. Und jeder Kreisliga-Kicker weiß: Was einem Spieler an Tempo fehlt, lässt sich durch Stellungsspiel problemlos wieder ausgleichen. Die Kolumne Unser Autor kann auf eine lange und erfolglose Karriere in den Niederungen des Amateurfußballs zurückblicken. Hier schreibt er wöchentlich über Schwalbenkönige, Kabinenrituale und Trainingsweltmeister – rein subjektiv natürlich, denn die Wahrheit liegt sowieso auf dem Platz.

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