Frankenthal „Wirtschaftsfaktor für die Stadt“

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Speyer. Die Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer ist etwas Besonderes. Die kleinste aller Unis gehört allen Bundesländern und dem Bund. 2017 wird sie 70 Jahre alt. Der Historiker Stefan Fisch erklärt die Besonderheiten der Einrichtung.

Herr Professor Fisch, wann wurde die heutige Universität gegründet?

Es gibt zwei Gründungsdaten. Am 11. Januar 1947 wurde von Emile Laffon die Verfügung zur Gründung der Höheren Verwaltungsakademie unterzeichnet. Am 27. Mai 1947, also schon knapp fünf Monate später, begann das Sommersemester. Gegründet wurde sie für den Bereich der damaligen französischen Besatzungszone nach dem Vorbild der École nationale d’administration. ENA ist die Nationale Hochschule für Verwaltung in Paris. Sie ist eine Grande école, die die Elite der französischen Verwaltungsbeamten ausbildet. Und warum erfolgte die Gründung? Dahinter standen drei Überlegungen oder Voraussetzungen: Die Franzosen gingen davon aus, dass es nach den zwölf Jahren Nazizeit in Deutschland keine unbelastete Verwaltung mehr gab. Ziel war, eine demokratisch gesinnte Beamtenschaft heranzubilden. Zweitens wollten die Franzosen ein Mitspracherecht in der Ausbildung und drittens war der Sozialist Emile Laffon, der Gründer und Chef der Militärregierung in der Besatzungszone, in Frankreich im Widerstand aktiv und kannte daher den Gründer der ENA, den Gaullisten Michel Debré. Wie wurde Speyer zum Sitz? Vordergründig, weil die Stadt genau in der Mitte der Besatzungszone lag, die von Remagen bis Lindau reichte. Speyer war aber auch Verwaltungsstadt unter anderem mit LVA, der Oberrechnungskammer, dem Vorgänger des Landesrechnungshofes, der Oberpostdirektion, der Betriebszentrale aller Eisenbahndirektionen in der Besatzungszone sowie weiteren Verwaltungen. Was ist das Besondere an der Neugründung? Dass sie ein einzigartiges Modell ist, eine Mischung aus dem deutschen Universitätswesen von Anfang an mit richtigen Universitätsprofessoren sowie dem französischen, stark praxisorientierten Ansatz. Wir haben heute noch 100 Lehrbeauftragte aus der Praxis an der Uni. Sie ist nach wie vor eine Besonderheit, weil sie auch eine Universität für Studenten nach dem ersten Studium ist. Direkt nach dem Abitur kann keiner bei uns anfangen. Hat sie sich stetig entwickelt oder gab es besondere Schwierigkeiten? Es gab eigentlich nur eine einzige große Schwierigkeit. Das war das Ende der Besatzungszeit. Die Franzosen hatten die Kosten für die Neugründung den drei beteiligten damaligen Provinzen, also den Vorgängern der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, aufgedrückt. Alle Bundesländer sollten nun jedoch als Träger der Einrichtung gewonnen werden. Der Freistaat Bayern trat 1952 als Erster bei. Seit 1961 macht Berlin mit. Nach der Wende 1989 kamen die neuen Bundesländer sofort dazu. Heute wird sie vom Bund und allen 16 Ländern getragen. Rheinland-Pfalz trägt den Löwenanteil. Ist die Speyerer Einrichtung anerkannt in der Hochschulwelt als vollwertiges Mitglied? Absolut, und zwar von Anfang an. Seit 1947 werden Professoren von überall her an die Universität nach Speyer berufen und umgekehrt. Speyer hat nachhaltigen Einfluss auf die Verwaltung in der Republik. Im öffentlichen Recht nenne ich das Verwaltungsverfahrensgesetz von 1976, das unter anderem in Speyer erarbeitet wurde, und jüngst die umfassende Gesetzesfolgen-Abschätzung, die die Verwaltung dazu zwingt, Konsequenzen von Gesetzen für Bürger und Unternehmen zu beachten. Wie viele Studenten zählt die Uni? Aktuell 440, aber sie sind nicht alle immer in Speyer. Teils wohnen sie außerhalb, viele pendeln. Dennoch bleibt die Universität ein großer Wirtschaftsfaktor für die Stadt. Termin „Nachrichtendienste im freiheitlichen Rechtsstaat“ – Festvortrag anlässlich des 70. Gründungstags der Universität in Speyer von Johannes Masing, Richter am Bundesverfassungsgericht, morgen, Donnerstag, 19.30 Uhr, Aula, Freiherr-vom-Stein-Straße 2. Eingeleitet wird der Abend mit einem Kurzvortrag „Rückblick auf unsere Gründung“ von Stefan Fisch, Professor für neuere und neueste Geschichte in Speyer. Zur Person Stefan Fisch (64), München, Oxford, lehrt seit 1996 an der Universität am Lehrstuhl für neuere und neueste Geschichte, insbesondere Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. In diesem Feld von Lehre und Forschung ist der Speyerer Lehrstuhl seit Längerem der einzige im deutschen Sprachraum. | Interview: Stefan Keller

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