Frankenthal „Vielleicht müssen wir die Deutschen integrieren“

Meine Herren, wie gewinnen Sie am besten junge Menschen? Andreas Riedel:

Durch Mundpropaganda und durch die neuen Medien. Schifferstadt und Frankenthal sind kleine Städte. Beide Vereine haben einen guten Ruf. Das spricht sich schnell rum. Boxen und Kampfsport generell boomen momentan. Warum? Marjan Gavrila: Die Leute sehen den Sport im Fernsehen. Sie wollen da hinkommen. Wir wollen nun versuchen, in Flüchtlingsheime zu kommen und den Leuten dort unseren Sport schmackhaft zu machen. Wir haben unsere Ideen den Verantwortlichen der Stadt Schifferstadt erläutert und warten auf die Genehmigung. Kommen die jungen Menschen mit genauen Vorstellungen zu Ihnen? Riedel: Die jungen Menschen kommen mit dem Ziel, ein Klitschko zu werden. Boxen ist aber mehr als nur Hauen. Das ist Disziplin, Kampf, harte Arbeit. Das will aber nicht jeder, deshalb ist die Fluktuation groß. Nur wenige bleiben dann dabei. Und die, die dann in den Ring steigen, sind Leistungssportler. Sie trainieren regelmäßig. Wir bauen sie aber erst einmal ein Dreivierteljahr auf, bevor sie im Ring kämpfen. Leider haben aber nur die wenigsten den Durchhaltewillen. Gavrila: Disziplin ist die Voraussetzung. Wer bei mir zu spät kommt, muss pro Minute zehn Liegestütze machen. Das muss so sein, denn nur wenn es weh tut, bringt es etwas. Geldstrafen sind nutzlos, weil dann die Oma oder der Opa ihnen das Geld wieder geben. Leider ist die Disziplin nicht sehr ausgeprägt. Riedel: Ja, die Kinder sind nicht mehr so diszipliniert. Da sind wir als Trainer gefordert. Allerdings regelt die Gruppe das auch unter sich. Wir Trainer bilden nicht nur den Leistungswillen aus, sondern auch den Charakter des Menschen. Welche Charaktereigenschaften sind das denn? Riedel: Respekt, Fairness, Disziplin. Gavrila: Boxen ist ein fairer Sport. Vor und nach dem Kampf reichen sich die Boxer die Hand. Riedel: Sie kämpfen drei Runden lang, manche nennen es schlagen. Danach ist aber alles wieder gut. Der gegenseitige Respekt ist wichtig. Und den haben die Boxer – gegenüber dem Trainer, den Kampfrichtern, den Betreuern. Sind die ganzen Mätzchen vor den Kämpfen dann Show? Riedel: Oh ja. Bei mir gibt es diesen Firlefanz nicht. Gavrila: Die eifern doch manchmal nur den Stars nach, beispielsweise Muhammad Ali. Profiboxen macht uns irgendwo bekannt, aber dieses Bespucken oder unfaire Verhalten macht den Sport wiederum kaputt. Wie sehr müssen Sie gegen Vorurteile kämpfen? Gavrila: Ich hatte noch nie ein Elternteil hier, das sich beschwert hatte. Die Eltern wollen doch, dass sich ihre Kinder verteidigen können. Riedel: Die, die kommen, wollen Profiboxer werden. Nur, wer kennt denn einen Olympiaboxer? Das sind doch zwei ganz komplett verschiedene Sportarten. Wir kommen aus dem Olympia-Boxen. Es kamen schon Eltern zu mir, die fragten, wo denn die großen, starken und tätowierten Jungs bleiben. Uns fehlen die Zugpferde. Daher hoffen wir, dass es Alberto Mustafi, unser Zugpferd, packt. Ich fördere ihn, wo es geht. Gavrila: Ich bin seit fast drei Jahren in Schifferstadt. Wir haben viele A-Klasse-Boxer. Dahinter drängen Talente nach. Wir Olympia-Boxer sind das Fundament, das Licht im dunklen Keller. Denn die jungen Leute kommen und können nichts. Wir bringen ihnen dann alles bei. Riedel: Unsere Gesellschaft wird immer körperloser, ohne Biss. Früher steckten die Sportler mehr weg. Gavrila: Wir sind gegenüber den anderen Kampfsportarten doch eine Stufe höher. Kickboxen ist für mich Invalidenboxen. Wer sich nicht mit Händen wehren kann, mit was dann? Wir sind als Amateurboxer populär. In welchem Alter steigt man am besten ein? Riedel: Es gibt kein optimales Alter. Eine gute Grundvoraussetzung ist wichtig. Es sollte nicht zu früh sein. Ab zehn Jahren wäre es sehr gut. Ab diesem Alter darf man boxen. Wenn jemand zuvor schon eine Sportart, beispielsweise Leichtathletik, betrieben hat, dann wird er auch mit 15 Jahren anfangen können. Die entscheidende Frage ist, was will er erreichen? Gavrila: Zwischen zehn und 13 Jahren lernen sie alles spielerisch. Das sind dann die Beweglichkeit und die Koordination. Der erste Schritt ist, den Kindern Mut zu machen: ,Jetzt gehe ich kämpfen’. Wenn das Kind den hat, dann kann man darauf aufbauen. Wie sieht es mit Mädchen, Frauen aus? Gavrila: Als Boxen noch nicht olympisch war, boxten mehr Frauen. Seit es olympisch ist, ist die Zahl zurückgegangen. Frauen sollen allerdings nicht boxen. Sie soll man lieben. Ich jedenfalls halte nicht viel davon. In Deutschland gibt es wenige Boxerinnen. Sie werden allerdings auch nicht so sehr unterstützt. Es gibt Stützpunkte in Deutschland, da trainieren nur Jungs. Sie sagten, vieles laufe über Mundpropaganda. Müssen Sie dann überhaupt in Schulen gehen, um Nachwuchs zu gewinnen? Gavrila: Wir würden viel lieber beim Stadtfest einen Wettkampf austragen, wo wir unsere Jungs präsentieren können. Außerdem würde ich gerne eine AG an Schulen in Schifferstadt einrichten. Riedel: Wir sind ein kleiner Klub mit etwa 120 Mitgliedern, davon aber alle aktive Sportler. Wir haben ein intaktes Vereinsleben, veranstalten Läufe und sind im Stadtleben präsent. Für einen Stand auf einem Fest sind wir aber zu klein, und es wäre auch zu viel Arbeit. Obwohl wir so klein sind, haben wir keine Nachwuchsprobleme. Die jungen Leute kommen. Gavrila: Wir Olympiaboxer sind zu wenig präsent in den Medien. Im Olympiastützpunkt in Heidelberg trainiert Weltmeister Erik Pfeifer. Doch nur die Insider kennen ihn. Wie weit sind Sie mit der Integration? Riedel: Die praktizieren wir seit vielen Jahren. Das ist ganz normal bei uns. Wir haben viele Boxer mit Migrationshintergrund. Wir sind da wesentlich weiter als andere Sportarten. Viele Menschen aus Osteuropa sind bei uns, weil in diesen Ländern Boxen populärer ist als in Deutschland. Gavrila: Vielleicht sollten wir die Deutschen integrieren. Riedel: Wie gesagt, die Integration ist bei uns tägliche Arbeit. Das beste Beispiel ist Alberto Mustafi. Er kam damals zu uns und ist voll dabei. Wir haben Regeln. Es gibt mal Probleme, aber die werden einmal angesprochen, und dann ist es auch gut. Gavrila: Vor 28 Jahren waren es die Türken und Bulgaren, die kamen und boxten. Heute sind es die die Albaner und Russen, aber auch Schweizer. In der Nationalmannschaft haben wir einige Deutsch-Albaner. Riedel: Ein Wladimir Klitschko, Felix Sturm, Arthur Abraham, Luan Krasniqi haben alle einen Migrationshintergrund. Das ist vielen nicht bewusst. Lieber habe ich einen bunten Haufen als nur eine große Nation geballt. Fühlen Sie sich als Missionare? Gavrila: Ja, weil ich versuche, mein Wissen, meine Gabe an andere Menschen weiterzugeben. Was ich tue, mache ich gerne und bin stolz darauf. Riedel: Missionar ist vielleicht das falsche Wort. Ich würde eher sagen, wir halten die Fackel im Dunkeln hoch. Früher war der Südwesten die Talentschmiede im Olympia-Boxen. Ich kämpfe gerne gegen die Vorurteile, die die Menschen gegenüber dem Boxen haben. Manchmal mache ich mich auch lustig darüber. Interview: Marek Nepomucky und Christian Treptow

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