Frankenthal Live im Leihamt

Das Programm ist genauso ungewöhnlich wie der Aufnahmeort. Das neue Album „Songs“ des Gitarristen Claus Boesser-Ferrari und des Trompeters Thomas Siffling enthält Liedmaterial vom Barock bis zum 20. Jahrhundert. Eingespielt wurde das Ganze vor kleinem Publikum im Mannheimer Leihamt.

Anders als in den USA ist in Deutschland die lange und umfangreiche Lied-Tradition teilweise politisch vergiftet oder der Vergessenheit anheim gegeben durch die Nationalsozialisten, danach in Misskredit gebracht durch volkstümelnde Schlagersänger. Die Folkbewegung der 1960er-Jahre hat daran wenig geändert, auch vereinzelte Bemühungen um den deutschen Schlager der Vorkriegszeit haben kein Great German Songbook entstehen lassen. Jetzt haben sich der an der Bergstraße lebende Akustikgitarrist, Avantgardemusiker und Komponist Claus Boesser-Ferrari und der Mannheimer Jazztrompeter und Musikproduzent Thomas Siffling beim deutschen Liedgut umgesehen. Fündig geworden sind sie im Barock, in der deutschen Romantik, im Warschauer Ghetto, in der katholischen Kirche und bei linken Komponisten. Für die Auswahl war Boesser-Ferrari zuständig, der sonst Gitarrenfestivals organisiert, fürs Zürcher Schauspielhaus Bühnenmusiken schreibt, mit Hannelore Hoger Hörspiele macht oder in Asien tourt. Ausgesucht hat er zwei Lieder unbekannter Komponisten aus dem Barock, das 1790 entstandene, aber immer noch beliebte Volkslied „Bunt sind schon die Wälder“ des revolutionärem Gedankengut sehr zugetanen preußischen Hofkapellmeisters Johann Friedrich Reichardt. Schuberts Messelied „Heilig, heilig, heilig“ ist Boesser-Ferrari noch aus Messdiener-Zeiten in Erinnerung. Man habe diese Lieder unbedingt live einspielen wollen, erzählt der Gitarrist. Weil es ein paar berühmte Jazzaufnahmen gibt, die „Live at the Pawn Shop“ entstanden sind, kam man auf das Mannheimer Leihamt, dessen Leiter praktischerweise ein großer Jazzfan ist. „Das ist einfach ein klasse Raum“, schwärmt Boesser-Ferrari noch immer von dem Art-Deko-Ambiente und der exzellenten Akustik. Hier hat man das gesamte Album in einem kleinen Konzert aufgenommen, auch die elektronischen Effektgeräte wie Hall, Delay und Verzerrer hat der Gitarrist live eingesetzt. Den Liedern mit ihren wunderschönen Melodien gibt das überraschende Richtungen, es finden sich recht freie Sequenzen mit schrägen Sounds der Gitarre, aber auch getragen-melancholische Tonlinien der Trompete. Die jiddischen Lieder klingen ein bisschen nach Balkan, Reichardts Herbstlied kriegt eine growlende Trompete, das Barocklied „Es geht eine dunkle Wolk herein“ muss sich aus Elektronik-Gewusel herausschälen. „Wir haben da auf den Augenblick vertraut“, sagt Boesser-Ferrari. Der Mut wurde belohnt, die Musik ist großartig, die Vinyl-Version besitzt zudem eine exzellente Klangqualität.

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