Frankenthal Angepackt und ausgepackt

Ob als Schauspieler, Bühnenbauer, Weglotse oder Regisseur: 200 Lambsheimer sind am Stationentheater „Ausgepackt – Lambsheimer Ko
Ob als Schauspieler, Bühnenbauer, Weglotse oder Regisseur: 200 Lambsheimer sind am Stationentheater »Ausgepackt – Lambsheimer Koffergeschichten« beteiligt. Hier eine Szene im Schlosshof.

Zwei Jahre Vorbereitung stecken in dem Stück „Ausgepackt – Lambsheimer Koffergeschichten“, das am 21. September Premiere hat. Weil die Nachfrage riesig und alle geplanten 25 Aufführungen an den zwei letzten Septemberwochenenden schon vor der Premiere ausverkauft sind, gibt es noch zwei Zusatzvorstellungen. 1620 Zuschauer wandern von Szene zu Szene durch das Dorf. Der Zuspruch ist gerechter Lohn für die 200 Ehrenamtlichen auf und hinter der Bühne, die jede Menge Arbeit und viel Herzblut in das Projekt investiert haben. Am Anfang steht im Herbst 2016 die Überlegung, zum Jubiläum mehr zu bieten als „Weck’, Worschd un Woi“. Angestoßen vom Ensemble des Theaters am Türmchen und mit Unterstützung der Gemeinde und vieler Ehrenamtlicher reift die Idee zu einem Stationentheater. Unterstützung holt man sich bei Walter Menzlaw und Felix S. Felix vom Theater Chawwerusch in Herxheim, das in der Pfalz schon mehrere Dorfgeschichts-Inszenierungen begleitet hat. Um Stoff zu sammeln, stöbert die Theatergruppe in Archiven und befragt Zeitzeugen – von alteingesessenen Lambsheimern über türkische Gastarbeiter, die in den Wirtschaftswunderjahren aus der Metropole Istanbul ins Pfälzer Dorf kamen, bis hin zu rumänischen Erntehelfern, die heute auf den Gemüsefeldern rund um die Gemeinde ackern. Nach gut einem halben Jahr Recherche und etwa 40 Interviews kristallisiert sich heraus: Es soll ums Weggehen und Ankommen gehen, darum, wie Integration gelingen kann. Und so steht am Ende der Aufführung, nach sechs Szenen, die 150 Jahre Dorfgeschichte Revue passieren lassen, der Satz: „Ihr, wir, alle sind Lambsheimer.“ Auch wenn die einzelnen Szenen inszeniert und einstudiert sind, erzählen sie alle historisch verbürgte Episoden. Etwa die Geschichte von Fritz Lang, Jude, Lambsheimer, Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz, Gründer der Goldpfeil Kofferfabrik. Der Urgroßvater kommt als Krämer aus dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt, schon er wird als Jude im 18. Jahrhundert ausgegrenzt, muss ein gelbes Abzeichen tragen und hohe Steuern zahlen. In der gut 80-köpfigen jüdischen Gemeinde Lambsheim erhofft er sich ein Leben in Frieden und Freiheit. Oder die Geschichte von der Leinweber-Familie, die Mitte des 19. Jahrhunderts ihr Glück in den Vereinigten Staaten von Amerika sucht, dem gelobten Land, wo die Grumbeere im Fett schwimmen. Die Kartoffelfäule entzog nach 1844 vielen vorderpfälzischen Familien die Lebensgrundlage. Als Wirtschaftsflüchtlinge verließen sie die Heimat und fanden eine neue anderswo. Oder die Geschichte der mutigen Jüdin, die dem Nazi-Bürgermeister den Persilschein verweigert. Eindringlich ermahnt sie die Zuschauer, nicht zu vergessen, „damit das nicht wieder passiert“. Die Stücke, die in privaten Höfen, in der Kirche und auf öffentlichen Plätzen spielen, entlarven die vermeintlich gute alte Zeit, zeigen aber auch Zusammenhalt und Toleranz quer durch die Epochen. Zugleich leistet das Stationentheater wertvolle Erinnerungsarbeit. Skript und Interviewtexte sollen in einem Buch veröffentlicht werden, das die Theaterumsetzung und deren historischen Bezüge darstellt. Das gemeinsame Projekt hat die Dorfgemeinschaft näher zusammengebracht. „Es gibt etliche Gruppen, die sich weiter regelmäßig treffen“, sagt Rafael Barth vom Organisationsteam.

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