Bad Dürkheim Mit „Schmackes“ zum Igel

Eigentlich hätte er ja zu tun. In der Werkstatt von Mathias Nikolaus im Triftweg wartet zum Beispiel der Schlussstein fürs Tor zur Saline auf Fertigstellung. Dennoch nimmt er sich einen halben Vormittag Zeit, um seiner Kurzzeit-Praktikantin Julia Plantz die Grundlagen des Bildhauens zu vermitteln.

Es dauert keine fünf Minuten, da sind wir in Gedanken bei Michelangelo. Ich habe die Frage gestellt, die Mathias Nikolaus wahrscheinlich von jedem schon einmal gehört hat: Was passiert, wenn sich der Bildhauer „verhaut“? Wird dann aus dem Ganzkörpermodell ein Torso? „Meinen Sie, die Schüler von Michelangelo haben gleich mit den Armen angefangen“, entgegnet Nikolaus lächelnd. Schon verstanden: Wer’s kann, der kann’s. Wer es nicht kann, sollte die Filigran-Arbeit sein lassen. Daher soll beim Selbstversuch Bildhauen heute ein Igel entstehen. Armlos und daher harmlos für Anfänger. Für seine Praktikanten bricht Nikolaus die dreijährige Steinbildhauerlehre auf eine Woche runter. Bei mir muss aus Zeitgründen ein halber Vormittag reichen. Also ran an den Meisel. Nein halt, so heißt es ja gar nicht. Das erfahre ich noch, bevor ich das erste Werkzeug in die Hand nehme in einem fünfminütigen Theoriekurs. Das Wort „Meisel“ hören Bildhauer und Steinmetze nicht gern. Sie arbeiten mit Eisen. Die jeweilige Vorsilbe sagt an, was damit zu tun ist. Ich lerne heute vor allem Spalt-, Spitz- und Zahneisen kennen. Und einen Modelligel, an dem mir Nikolaus demonstriert, wie ein Bildhauer denkt. Bevor wir anfangen, müssen wir uns die Formen vorstellen. Vorne, das Schnäuzchen, das könnte ein Herz sein, die Seite ist eher ein Tropfen und vom Hinterteil her gesehen ist das Igelchen rund. Auf einem länglichen Stück Sandstein malt Nikolaus mit einem Zimmermannsbleistift ein paar Zeichen zur Vereinfachung. Und macht gleich vor, wie es geht: Mit dem Spalteisen schlägt er hinten zwei Ecken weg, der Igelhintern soll ja schön rund werden. Dann bin ich an der Reihe. Die Erklärungen habe ich im Kopf. Der Stein hat Schichten wie ein Baum, wer mit der Schicht schlägt, hat es leicht, wer in die andere Richtung haut, braucht mehr Kraft. Ich halte das Spalteisen so gut es geht an den Stein. Ein kräftiger Schlag mit dem Hammer. Nichts, nur ein Kratzer im als „weich“ geltenden Sandstein. „Fester“, sagt Nikolaus. Ich haue, die Ecke fliegt weg. Das ist toll, denke ich. Um es abzukürzen: Es ist sehr anstrengend und macht großen Spaß. Wer sonst den ganzen Tag im Büro „eingeschlossen“ ist, für den ist die Kombination Eisen auf Stein, Hammer auf Eisen und Hand in enger Umklammerung um Hammer mal eine echte Erfahrung. Endlich sehe ich mal, was ich gemacht habe – sofort. Leider hat der Büromensch traditionell Defizite im – nennen wir es – „Schmackes“. „Lassen wir es gut sein, sonst brauchen Sie morgen einen Orthopäden“, sagt mein Lehrer zwischendurch mal besorgt. Ich sorge mich auch um mich: Beim Klopfen schaue ich mehr auf meine Hand als auf den Stein. „Das ist auch gut so“, sagt Nikolaus. Hand auf Hammer ist beim Steinehauen nicht so abwegig. Ich darf also vom Fäustel, so nennt der Bildhauer einen Hammer, auf den Knüpfel umsteigen. Der Knüpfel ist ein rundes und weniger kräftiges Schlagwerkzeug als der Fäustel. Dieses Modell ist sogar aus Holz, viel leichter als der schwere Hammer. Je nach Eisen ist sowieso ein Knüpfel statt eines Fäustels nötig. Und: Ich habe nicht mehr die Panik, mich zu verletzen. „Sie brauchen wohl kein Fitnessstudio?“, frage ich Nikolaus. Der verneint, sagt aber auch, dass Technik wichtiger ist als Kraft. Und wer wie ich – inzwischen mit dem Spitzeisen zugange – immer nur von einer Stelle auf die andere abrutscht, der muss noch an seiner Technik feilen. Mein Lehrer freut sich aber über jeden meiner Erfolge. Lässt mich am Köpfchen – inzwischen hat er mit einigen gezielten Schlägen, die Igelproduktion deutlich vorangetrieben – sogar das „Finish“ machen. Also mit dem feinen Nuteisen das Gesichtchen fertigarbeiten. Ehrlicherweise muss ich aber sagen: Mein Anteil am Endprodukt liegt bei maximal fünf Prozent … Fürs Köpfchen knie ich dann auf dem Boden im Staub und passe mich optisch meiner Umgebung an. Die weiße Staubschicht liegt hier über allem. Nur Hund Max, der uns gegen Ende des Kurzpraktikums besuchen kommt, hebt sich mit seinem braunen Fell gut ab. Sonst ist er nicht so oft in der Werkstatt, denn sein Herrchen ist meist mit schwererem Gerät als einem kleinen Spitzeisen zugange – das ist ihm nicht so geheuer. Deswegen bleibt Max wohl auch so sauber. Dem Igel gibt es nun fast nichts mehr hinzuzufügen. Nur noch den Kopf mit dem Korundstein abschleifen. Dadurch wird die Fläche schön glatt. Der Michelangelo, sagt Nikolaus hat das auch so gemacht …

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